Kfz-Haftpflichtversicherungen: Sparen mit System

Jedes Autohaus weiß aus eigener Erfahrung oder aufgrund von Kundenbeschwerden um die heutige Regulierungspraxis von Kfz-Haftpflichtversicherungen. Hier ist es keinesfalls mehr die Regel, dass geltend gemachte Schadensbeträge kurzfristig und ohne Beanstandung an den Geschädigten ausbezahlt werden. Etwa bei einem Drittel bis zur Hälfte aller Fälle - die Schätzungen differieren etwas - werden bei einzelnen Schadenspositionen Streichungen oder Kürzungen vorgenommen. Die Haftpflichtversicherungen erzielen so ein systematisches Sparergebnis im vielfachen Millionenbereich. Allzu oft sind diese Streichungen rechtswidrig und es lohnt sich, hiergegen vorzugehen, wie der nachfolgende Praxisfall zeigt. Der Fall Der Privateigentümer eines dreieinhalb Jahre alten Porsche 911 erlitt im Oktober 2013 einen unverschuldeten Verkehrsunfall. Der geschädigte Eigentümer ließ von einem renommierten Sachverständigenbüro ein Gutachten für die einstandspflichtige Haftpflichtversicherung erstellen. Das Gutachten kam bei einem Wiederbeschaffungswert von 52.000 Euro brutto unter Berechnung von Stundensätzen einer Porsche-Fachwerkstatt auf Instandsetzungskosten von 4.719,15 Euro netto. Das Sachverständigenbüro berechnete für die Erstellung des Gutachtens ein Honorar von 908,80 Euro brutto. Der Geschädigte bezahlte den Sachverständigen und rechnete über seine Anwaltskanzlei gegenüber der Haftpflichtversicherung auf Netto-Gutachtensbasis ab. Der Geschädigte hatte seinen Porsche nach dem Unfall in unrepariertem Zustand verkauft. Die Versicherung erstattete Gutachterkosten in Höhe von lediglich 719 Euro brutto. Die Nettoreparaturkosten aus dem Sachverständigengutachten wurden unter Bezugnahme auf ein Prüfgutachten mit einem gekürzten Betrag von 3.381,16 Euro bezahlt, wobei Abzüge vorgenommen wurden bei den Stundenverrechnungssätzen, den Lackierkosten für eine Farbtonangleichung zur Vermeidung von Farbtondifferenzen und den Kosten für die Verbringung zum Lackierbetrieb. Der Geschädigte ließ sich diese Abzüge von 1.527,79 Euro nicht gefallen und reichte Klage zum zuständigen Amtsgericht ein. Bevor es zur Gerichtsverhandlung kam, leistete die Versicherung "freiwillig" vollständige Zahlung. Sachverständigenhonorar Die Haftpflichtversicherung erklärte in ihrem Abrechnungsschreiben von Ende November 2013, die Sachverständigenrechnung würde in einem Teilbetrag von 189,80 Euro gestrichen, da das Honorar den "erforderlichen" Aufwand zur Schadensbeseitigung gemäß § 249 BGB übersteige. Hinsichtlich der Bemessung des Honorars legte die Versicherung das "Honorartableau 2012 - HUK-Coburg, basierend auf der BVSK-Honorarbefragung 2010/2011", als Maßstab zu Grunde. Die in diesem Honorartableau veröffentlichten Bruttoendbeträge würden sich an der Schadenhöhe orientieren und die erforderlichen Nebenkosten und die Mehrwertsteuer enthalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) könne ein Geschädigter nur diejenigen erforderlichen Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in seiner Lage zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen würden. Der Geschädigte sei zwar grundsätzlich nicht zur Marktforschung verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen, allerdings verbliebe - so die Versicherung - bei ihm das Risiko, dass er ohne nähere Erkundigungen einen Sachverständigen beauftrage, der sich später im Prozess als zu teuer erweise. Mit dieser falschen Begründung konnte die Versicherung eine Kürzung des Sachverständigenhonorars nicht vornehmen, insbesondere diente die Bezugnahme auf die BGH-Rechtsprechung lediglich einer Verwirrung. Maßgeblich für die Beurteilung der Erforderlichkeit eines Sachverständigenhonorars ist richtigerweise die Sicht des Geschädigten. Sofern dieser aus einer "exante-Sicht" - also bei Beauftragung des Sachverständigen - nicht erkennen kann, dass das Sachverständigenhonorar willkürlich und/oder eindeutig erkennbar überhöht ist, ist der Versicherer, so auch im vorliegenden Fall, zur Erstattung des Sachverständigenhonorars verpflichtet. Die Versicherung kann sich im Einzelfall wegen überhöhter Gutachterkosten gegebenenfalls selbst an den Sachverständigen wenden und Rückerstattung verlangen. Stundenverrechnungssätze Zur Kürzung der Stundenverrechnungssätze bezog sich die Haftpflichtversicherung auf ein Prüfgutachten der DEKRA. Hierin wurde ausgeführt, dass das Schadensgutachten des Sachverständigenbüros einem Werkstattvergleich unterzogen worden war. Es wurden zwei Referenzbetriebe in der räumlichen Nähe des Geschädigten benannt. Bei diesen Referenzbetrieben handelte es sich nach Behauptung im Prüfgutachten um zertifizierte Kfz-Meisterfachbetriebe, die auf Karosserie- und Lackiererarbeiten spezialisiert seien und darüber hinaus höchsten Qualitätsanforderungen unterlägen. In diesen Betrieben würden unter Beachtung der Richtlinien der Fahrzeughersteller alle Arbeiten an allen gängigen Fahrzeugtypen mit Originalersatzteilen mindestens gleichwertig zu einer markengebundenen Fachwerkstatt ausgeführt. Im Prüfgutachten wurden die sich aus dem Gutachten des Sachverständigenbüros ergebenden Stundenverrechnungssätze für Karosserie- und Lackiererarbeiten mit 150,40 Euro netto und für Mechanikerarbeiten mit 135,10 Euro netto herabgesetzt auf generell 96,00 Euro netto. Hierdurch ergab sich eine Herabstufung der Stundenverrechnungssätze um einen Betrag von 489,40 Euro. Die Versicherung hatte allerdings geflissentlich übersehen(?), dass bereits im Schadensgutachten des Sachverständigenbüros nachgewiesen worden war, dass der Porsche lückenlos in Herstellervertretungen gewartet worden war. Wenn nun aber der Eigentümer eines Fahrzeugs - egal welchen Fabrikats - grundsätzlich Wert darauf legt, dass sein Fahrzeug in Fachbetrieben gewartet und repariert wird, so kann im Schadensfall eine Versicherung ihn gerade nicht auf irgendeinen Referenzbetrieb verweisen, zu dem er kein Vertrauen hat. Die Versicherung hatte daher die Stundenverrechnungssätze einer Porsche-Werkstatt zu bezahlen. Lackierkosten für Farbtonangleichung Im Prüfgutachten wurde ausgeführt, die im Schadensgutachten als erforderlich betrachtete Farbtonangleichung zur Vermeidung von Farbtondifferenzen sei bei einer fiktiven Abrechnung auf Gutachtenbasis "aus Sicht der Assekuranz" in Abzug zu bringen. Eine eventuelle Erforderlichkeit der Lackierung angrenzender Bauteile zur Vermeidung von Farbtondifferenzen könne sich erst im lackierten Zustand zeigen. Es sei demnach nicht im Vorfeld "zweifelsfrei" zu prognostizieren und generell nicht zwingend erforderlich, ob eine solche Lackierung durchzuführen sei. Eine Erstattung habe nach Aufwand zu erfolgen. Es wurde im Prüfgutachten ein Abzug für den Lackierlohn mit 475,96 Euro netto und für das Lackmaterial mit 222,23 Euro vorgenommen. Die Begründung im Prüfgutachten ist allerdings fehlerhaft. Richtigerweise ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Reparaturkosten ohne Prognosevorschau fiktiv auf Gutachtensbasis abgerechnet werden können - unabhängig davon, ob überhaupt eine Reparatur durchgeführt wird oder ob bei Vornahme einer fachgerechten Reparatur tatsächlich genau die im Gutachten bezifferten Kosten anfallen. Das Amtsgericht Landshut in seinem Urteil vom 25.03.2013 - Az. 10 C2155/12 - hierzu wörtlich: "Es ist nicht ersichtlich, warum für die Lackierkosten etwas anderes gelten sollte." Dementsprechend waren der Lackierlohn sowie das Lackmaterial vollumfänglich zu bezahlen und gleichermaßen die Kosten der - fiktiven - Fahrzeugverbringung mit 150,40 Euro, weil in der Regel kein Reparaturbetrieb eine eigene Lackierabteilung unterhält. Kurzfassung 1. Eine Kfz-Haftpflichtversicherung ist nicht berechtigt, das für die Erstellung eines Schadensgutachtens angefallene Sachverständigenhonorar pauschal mit der Erklärung zu kürzen, das Honorar stelle keinen erforderlichen Aufwand zur Schadensbeseitigung dar.2. Maßgeblich für die Beurteilung der Erforderlichkeit des Sachverständigenhonorars ist die Sicht des Geschädigten. Kann er bei Beauftragung des Sachverständigen nicht erkennen, dass dessen Honorar willkürlich und/oder eindeutig erkennbar überhöht ist, ist die Haftpflichtversicherung zur Erstattung des Sachverständigenhonorars verpflichtet.3. Hat ein Geschädigter sein Fahrzeug vor dem Unfall generell in einer Fachwerkstatt reparieren und warten lassen mit dem Vertrauen auf dortige fachgerechte Arbeit, kann ihn die Haftpflichtversicherung nicht auf einen nicht markengebundenen Referenzbetrieb mit günstigeren Stundenverrechnungssätzen verweisen.4. Lackierkosten einschließlich der Kosten für die Verbringung zur Lackierung stellen normale Reparaturkosten dar, die fiktiv auf Gutachtenbasis abgerechnet werden können. Dies gilt auch für Kosten einer im Schadensgutachten als erforderlich aufgeführten Beilackierung. Kommentar Es ist das gute Recht einer Versicherung, eine Schadensforderung im Detail zu überprüfen. Es gibt schließlich auch schwarze Schafe, die sich aus dem "Topf der Versichertengemeinschaft" ungerechtfertigt bereichern wollen. Bedenklich jedoch ist bei der heutigen Regulierungspraxis der Kfz-Haftpflichtversicherungen der Umstand, dass in zunehmendem Maße die Kürzung oder gar Streichung einzelner Schadenspositionen zur Normalität wird. Gibt es gegebenenfalls ein pauschales Spardiktat, welches von den Schadenssachbearbeitern und extern beauftragten Prüfgutachtern nach Vorgabe umzusetzen ist? Wie anders soll beispielsweise die Aussage in DEKRA-Prüfgutachten verstanden werden, dass ein bestimmter Abzug "aus Sicht der Assekuranz" vorzunehmen sei? Weshalb wird der Abzug bei einer objektiven (?) Prüfung nicht "aus eigener Sicht" der DEKRA durchgeführt? Bei gekürzten Schadensabrechnungen lohnt sich in jedem Fall ein genaueres Hinsehen.Rechtsanwalt Walter Sattler

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