Geschäftsmodell Automobilhandel: "Der Handel muss sich neu erfinden!"

Noch nie in den vergangenen Jahrzehnten war es für die Branche ähnlich schwierig, einen verlässlichen Blick in die nächste Zukunft zu werfen oder gar eine präzise Prognose über die mittelund langfristige Entwicklung abzugeben. Am Horizont zeichnen sich jedoch die Konturen vielfältiger Umbrüche und nachhaltiger Veränderungen unter der Überschrift "der Handel muss sich neu erfinden" bereits ab. Und es gibt Ergebnisse aus Untersuchungen, Erklärungen der Hersteller und der Händler sowie Einschätzungen von Experten, die - wenn sie nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern auf haltbaren Fakten aufbauen - für eine differenzierte Auseinandersetzung mit den anstehenden Entwicklungen herangezogen werden können. Diese AUTOHAUS-Serie unternimmt auf Basis dieser ebenso vielfältigen wie zumeist ungeordneten Informationen den Versuch, mehr Klarheit in die Thematik zu bringen. In drei Folgen klopft sie die zukünftigen Entwicklungen des Handels in den einzelnen Geschäftsbereichen Verkauf Neuwagen, Verkauf Gebrauchtwagen und Aftersales ab. Und zwar jeweils aus zwei Blickwinkeln: Es wird zunächst die derzeitige Verfassung der genannten Geschäftsbereiche aufgearbeitet; dann werden die aus heutiger Sicht erkennbaren und notwendigen Veränderungen sowie ihre Auswirkungen in den direkten Zusammenhang dazu gestellt (der Übergang in die neue Welt wird die Branche mehrere Jahre herausfordern und findet nicht blitzartig statt). Die verwendeten realen Zahlen, Daten, Fakten der Händler einer Premiummarke und einer Volumenmarke bilden die repräsentative Grundlage für die Serie. Zentrale Fragestellungen zum Neuwagengeschäft Das konjunkturelle Umfeld der Branche ist bekanntlich grundsätzlich positiv und wird es aller Voraussicht nach auch bleiben. Die Finanzierung des automobilen Geschäftsmodells mit niedrigen Zinsen ist so günstig wie noch nie - und auch das wird sich zunächst kaum ändern. Der Absatz bewegt sich auf hohem Niveau - bei Neuwagen und erst recht bei den gebrauchten Fahrzeugen, die im Teil 2 der Serie behandelt werden. Trotzdem hat die Branche im Neuwagengeschäft im wahrsten Sinne des Wortes "durchschlagende" wirtschaftliche Probleme, die Quersubventionen aus den anderen Geschäftsbereichen des Autohauses notwendig machen. Es stellen sich deshalb zwei elementare Fragen, auf die es im Folgenden klare Antworten zu finden gilt: 1. Warum lässt sich die Rendite im Neuwagengeschäft trotz der guten Rahmenbedingungen nicht positiv auf ein wirtschaftliches Niveau entwickeln? 2. Was passiert in der Branche mit dem Neuwagengeschäft, wenn die gravierenden Veränderungen voll zum Tragen kommen - allen voran natürlich die "Digitalisierung", aber auch die Problematiken der "Submarken" oder der "freien Neuwagen-Vertriebsachsen" über Sixt & Co.? Ursachenanalyse Zunächst zur heutigen Situation im Verkauf Neuwagen. Im bisherigen Jahresverlauf 2016 sind per November deutlich positive Entwicklungen bei den Neuzulassungen (rd. 3,10 Mio. Einheiten per 11/2016; +4,6 % gegenüber dem Vorjahr) zu verzeichnen. Für den Handel direkt wurden per 10/2016 nur 2,26 von rd. 2,82 Mio. Einheiten wirksam - einschließlich der vielen von ihm produzierten Tageszulassungen. Der große Rest sind die Werksdienstwagen der Hersteller und deren Direktgeschäfte mit den großen Autovermietungen sowie die Jahreswagen der Firmenangehörigen. Wurde die positive Entwicklung der Neuzulassungen im bisherigen Verlauf des Jahres 2016 durch den Privatmarkt mit einem überdurchschnittlichen Plus von 6,6 % getragen, ist aufgrund der zunehmenden Verunsicherung der Verbraucher durch die Diskussionen um drohende Fahrverbote, blaue Plaketten oder die Elektromobilität in 2017 mit einem deutlichen Rückgang in diesem Segment zu rechnen. Das wird nicht ohne Auswirkungen auf die Entwicklung des Gesamtmarkts bleiben. Nach voraussichtlich über 3,3 Mio. Neuzulassungen in 2016 werden für 2017 insgesamt nur rd. 3,2 Mio. neu in den Verkehr gebrachte Fahrzeuge erwartet. Vom Markt werden somit im nächsten Jahr sehr wahrscheinlich keine positiven Impulse für das Neuwagengeschäft ausgehen. Umsatzrendite auf niedrigem Niveau Die Markt- und Absatzentwicklung ist aber ohnehin nur die eine Seite der Medaille, die Renditeentwicklung ist die andere. Beide Seiten bewegen sich schon lange nicht mehr im Gleichklang. Die schlechte Renditesituation im Neuwagengeschäft lässt sich am besten an der Kennzahl Deckungsbeitrag III festmachen (siehe Schaubild 1). Die Zahlen werden auf Basis des Gesamtjahrs 2015 abgebildet, in dem die Branche im Durchschnitt eine Umsatzrendite von 1,4 % erwirtschaftete. Die für diese Serie herangezogenen Marken waren zwar besser unterwegs als der Durchschnitt aller Marken. Die Händler der ausgewählten Premiummarke erzielten im Durchschnitt eine Rendite von 2,2 %, die der Volumenmarke eine von 1,7 %. Im Neuwagenverkauf liegt die entscheidende Marke für ein schwarzes oder aber ein rotes Ergebnis bei einem Deckungsbeitrag III von mindestens +5,0 %. Mit einem Wert von durchschnittlich nur +3,3 % lag die Branche im vergangenen Jahr deutlich unter dieser Schwelle, was dazu führt, dass bei den meisten Händlern ein Verlust entstanden ist. Daran hat sich auch in 2016 trotz der positiven Markt- und Absatzentwicklung nach bisher vorliegenden Informationen kaum etwas geändert. Vier zentrale Gründe Warum ist das so? Die Probleme im Neuwagenverkauf sind nicht neu, sondern seit Jahren bekannt und lassen sich auf vier hauptsächliche Gründe zurückführen: - Überbesetzte Vertriebsnetze und der damit einhergehende Intrabrand-Wettbewerb. - Mengendruck der Hersteller (Push-Strategie) über hohe Jahresziele der Händler und vielschichtige Verkaufsförderungsprogramme. - Unprofessioneller Umgang der Händler mit den zur Verfügung stehenden Margen und Boni zu Lasten ihrer Ergebnisse. - Kostenträchtiges Geschäftsmodell Neuwagen, das im krassen Missverhältnis zu der wirtschaftlichen Situation der Händler im Bereich Neuwagen steht (siehe Schaubild 2) Was kann der Handel dagegen tun? Mit guter handwerklicher Arbeit lassen sich zweifellos Verbesserungen der wirtschaftlichen Situation erreichen. Am konsequenten Einsatz der in früheren Artikeln in AUTO-HAUS dargestellten Instrumente führt deshalb kein Weg vorbei (siehe vor allem AH 19/2015). Markt- und ertragsorientierte Volumenplanung, systematische Marktbearbeitung, Einhaltung der definierten Sollbestände, Ausschöpfung der Leistungsboni der Hersteller und nicht zuletzt ein aktives Management der Finanzdienstleistungen sind ein Muss für jeden Händler. Aber selbst dann bleiben die Renditen im Neuwagenverkauf in der Regel immer noch völlig unzureichend. Die Frage lautet deshalb: Wo ist der Königsweg, über den sich die Wirtschaftlichkeit des Neuwagengeschäftes hinreichend sicherstellen lässt? Derzeit wird dazu in der Branche der Slogan "Wachsen oder Weichen" propagiert. Das auch von vielen Herstellern getragene Plädoyer für weniger, aber dafür größere Händler ist im Ansatz gewiss richtig, reicht aber allein auch nicht aus. Denn wenn die neuen Megadealer das Neuwagengeschäft in allen übernommenen Betriebsstätten so weiterbetreiben wie vorher, dann entsteht außer geringfügigen Skaleneffekten kein wirklicher wirtschaftlicher Vorteil. Weniger Standorte mit Neuwagenverkauf Ein anderes Bild zeigt sich, wenn aus den bisherigen Komplettbetrieben - mit allen ihren herkömmlichen Geschäftsbereichen - ein flächendeckender Verbund mit Haupt- und spezialisierten Zweigbetrieben entsteht und bei dieser Neuausrichtung überzählige und vor allem auch unwirtschaftliche Betriebe geschlossen werden. Im Rahmen eines solchen Verbunds von Betriebsstätten wird dann nicht mehr an allen Standorten das Neuwagengeschäft betrieben. Es findet stattdessen eine klare Differenzierung der Leistungen an den Standorten statt. Der Neuwagenverkauf wird je nach Größe und Potenzial des zu betreuenden Gebietes auf wenige regionale Schwerpunkte (z. B. Städte ab einer Größe von > 60.000 Einwohner = 145 Städte in Deutschland) konzentriert, die statt der heutigen Glaspaläste über kleinere, aber hoch attraktive und voll digitalisierte Showräume, z. B. im Innenstadtbereich, verfügen. Und in den Metropolen werden die Hersteller eigene digitale Autowelten für die Kunden vorhalten. Mit diesen Entwicklungen sind wir mittendrin in dem anstehenden grundlegenden Wandel. Aber alles der Reihe nach. Der stationäre Handel bleibt - aber er wird anders! Der stationäre Handel im Autohaus ist deshalb trotzdem kein Auslaufmodell. Ganz im Gegenteil - die Hersteller werden nicht umhinkommen, Mehrkanalstrategien zu verfolgen. Also Verkauf über alle zur Verfügung stehenden Schienen und dann gehört das Autohaus auch in Zukunft mit Sicherheit dazu. Die Kunden werden sich zunehmend in der digitalen Welt bewegen, sich dort vor allem detailliert informieren und vergleichen, ihre Wunschautos konfigurieren und auch hin und wieder mit einem Klick online kaufen wollen. Die meisten von ihnen werden jedoch das Autohaus aufsuchen, denn nur im stationären Schauraum können sie das Auto selbst erfahren, das bisherige Fahrzeug in Zahlung geben sowie das neue übernehmen. Alles zusammen verändert in der Zukunft den Flächenbedarf und die Ausstattung in den Schauräumen der Autohäuser, die nichts mehr mit den gewohnten Auftritten von gestern und heute zu tun haben werden. Eine jahrzehntelange Fehlentwicklung, immer größere Ausstellungshallen zu bauen und trotzdem nicht das gesamte Typen-, Baureihen-, Ausstattungs- und Farbensortiment präsentieren zu können, geht damit zu Ende und auch das zentrale Reizthema der zu hohen baulichen Investitionen für den Verkauf Neuwagen ist vom Tisch (siehe Schaubild 3). Human Touch geht nur im Autohaus Gestützt auf ein erlebnisorientiertes Kundenbeziehungsmanagement kann in dieser neuen Umgebung der vom Kunden bereits über das Internet begonnene Kaufprozess beim Händler fortgesetzt und final abgeschlossen werden. Die kaufentscheidenden Prozesse des "Human Touch" werden damit weiterhin im Autohaus gemanagt. Dem Kunden wird ein Einkaufserlebnis virtuell und real geboten. Damit kommt die für den Handel der Zukunft in den Autohäusern gültige Überschrift der "Location-based Services" zum Tragen. Reale und virtuelle Welten werden verschmelzen - mit allen Chancen für den stationären Handel. Sie sind nicht Gegensatz, sondern ergänzen und bedingen einander. In Zukunft werden nicht nur Autos mit allem Drum und Dran wie heute, sondern auch alternative Mobilitätskonzepte in vielfältiger Ausprägung verkauft. Dabei muss klar sein, dass an den meisten Standorten der Händler in diesem Szenario nur noch der Service der Fahrzeuge angeboten wird. Wie lange der Übergang in diese neue Welt dauert, hängt vor allem von dem Tempo der digitalen Entwicklung ab. Die Pläne dafür liegen bereits auf den Tischen der Hersteller. Notwendiges Gesamtkonzept Selbst diese umfassende Neustrukturierung bietet aber noch keine Gewähr, dass das Neuwagengeschäft auf einem stabilen wirtschaftlichen Fundament steht. Warum nicht? Weil das Problem der Rabattschlachten mit den Neuwagen und ihren hohen Nachlässen damit nicht gänzlich beseitigt wird (siehe Schaubild 4). Deshalb müssen weitere Lösungsansätze und ein Gesamtkonzept her. Damit sind wir bei dem bestehenden Geschäftsmodell angekommen, an dem grundlegende Veränderungen einzuleiten sind. Die Preisverantwortung muss von den Herstellern übernommen werden, denn die Preisstrategie erfordert Fingerspitzengefühl und sie darf online und offline nicht unterschiedlich sein - nirgendwo in Deutschland. Das Vergütungssystem für den Handel wird sich u. a. deshalb ändern. Der Handel wird hauptsächlich für seine wichtigen Dienstleistungen an der Kundenfront - und deren hoher Qualität - bezahlt werden. Aussicht auf Erfolg werden die notwendigen Anpassungen jedoch nur haben, wenn es nicht zu einseitigen Verlagerungen entweder zu Lasten der Hersteller oder der Händler kommt. Sonst sind alle noch so guten Ansätze von vornherein zum Scheitern verurteilt. Eine klare Win-Win-Situation für Hersteller und Handel in einer echten Systempartnerschaft muss das Ziel sein. Vor diesem Hintergrund dürfen die Kosten innerhalb des Vertriebsmodells nicht einfach verschoben, sondern müssen eingespart und in der Prozesskette Vertrieb in neue Lösungen investiert werden, damit die Kundenanforderungen im digitalen Zeitalter rundum erfüllt werden und dabei auch noch Geld verdient wird. Das und nicht weniger ist der Anspruch und zugleich die Herausforderung, der sich alle Beteiligten stellen müssen (Schaubild 5). Grundsätzliche Weichenstellungen Bekanntlich entstehen die Vertriebskosten des heutigen Geschäftsmodells nicht nur auf der Händlerseite, sondern im großen Umfang auch auf der Herstellerseite. Dort sind sie hauptsächlich auf die etablierten komplexen Steuerungssysteme und -prozesse und den aufgeblähten Außendienst zurückzuführen. Hier können durch grundlegende Veränderungen in der Führung und Steuerung der Handelsorganisationen hohe Kosteneinsparungen erzielt werden - nicht zuletzt mit Unterstützung der fortschreitenden Digitalisierung. Damit lassen sich die notwendigen Änderungen im Handel größtenteils gegenfinanzieren. Auch lassen sich dabei Lösungen für die neuen Submarken der Hersteller darstellen. Handlungsbedarf besteht vor allem in Bezug auf die Senkung der Kosten für die Lagerhaltung im Handel. Auch kann die Logistik viel effizienter gestaltet und die Kommissionierung der Autos signifikant verbessert werden. Dabei muss nur der Grundsatz gelten: Die Hersteller übernehmen das Bestands- und das Vorführwagen-Management. Denn das kann der Handel nicht leisten. Die Hersteller verantworten aber auch - wie oben bereits ausgeführt - die Preise sowie die Restwerte und bestimmen die Organisation und den Ablauf der Prozesse im Neuwagenverkauf. Zudem definieren sie den Markenauftritt am Point of Sales und konzipieren das Kundenbeziehungsmanagement. Neue Vertragsgrundlage Das Ganze kann jedoch nur auf Basis einer neuen Vertragsgrundlage funktionieren. Es muss eine Partnerschaft entwickelt werden, die den neuen Anforderungen im Geschäftsmodell standhält. Die Vertragsgrundlage sollte beinhalten, dass der Unternehmer im Autohaus nicht mehr der Alleskönner sein darf, sondern Teil eines vielgliedrigen Systems wird. Er muss sich vor Ort ganz auf den Kunden konzentrieren können. Die Weiterentwicklung und die Gesamtsteuerung des Systems liegen bei den Herstellern. Lösungen dafür können aus der Kombination von Elementen aus Franchise- und aus Agentensystemen entstehen, die selbstverständlich so ausgestaltet werden müssen, dass sie den wettbewerbsrechtlichen Bedingungen standhalten. Das ist machbar und man darf gespannt sein, welcher Hersteller als erster mit der konkreten Umsetzung beginnt - wünschenswerterweise nicht im Alleingang, sondern von vornherein im engen Schulterschluss mit seiner Handelsorganisation. Der Autor Walter Missing kennt den Autohandel seit Jahrzehnten aus Hersteller- und aus Handelssicht. Mit seiner Unternehmensberatung "Missing Management" hat er sich auf die Sanierung und Restrukturierung sowie die Management-Vermittlung im Automobilhandel fokussiert und begleitet Unternehmensverkäufe auf der Verkäufer- und auf der Käuferseite. www.missingmanagement.com Serie Geschäftsmodell In einer dreiteiligen AUTOHAUS-Serie analysiert Unternehmensberater Walter Missing die Neugestaltungsoptionen für die drei zentralen Geschäftsfelder im Autohaus: Neuwagen, Gebrauchtwagen und Aftersales. Ausgehend vom jeweils aktuellen Status quo werden so die Konturen für ein neues Geschäftsmodell im Automobilhandel aufgezeigt, das vor allem durch die Umbruchsituation im Zuge der Digitalisierung dringend notwendig wird.1. Verkauf Neuwagen2. Verkauf Gebrauchtwagen3. Aftersales

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