Zur Zukunft des Automobilhandels: "Es gibt Wege - man muss sie nur gehen!"

Prof. Dr. Bernd Gottschalk ist in der Branche als ehemaliger VDA-Präsident vielseitig vernetzt, von der Industrie über die Zulieferer bis zum Handel. AUTOHAUS-Herausgeber Prof. Hannes Brachat sprach mit ihm in seinem Büro in Frankfurt über die Zukunft des Automobilhandels und seine Beratungsofferte für die Automobilwirtschaft. AH: Herr Gottschalk, wie kritisch sehen Sie die Zukunft des Autohandels? B. Gottschalk: Der Grad der Zuspitzung lässt sich schon an den Zahlen ablesen: Vor zehn Jahren gab es in Deutschland über 20.000 Autohäuser, die weitgehend selbständig waren. Heute sind es noch ca. 8.000 Händlerbetriebe. Die Prognosen namhafter Institute sind erschreckend, denn sie gehen davon aus, dass sie sich bis 2020 nochmals halbieren. Das Bewahren des Status quo oder Warten auf Entspannung ist also keine Lösung. Die Betriebe müssen umdenken, sich neu orientieren und neu aufstellen. Der Handel als Puffer AH: Wie ändert sich die Rolle des Handels im Zusammenwirken mit den Herstellern? B. Gottschalk: Börsennotierte Hersteller sind zwangsläufig renditeorientiert. Sie brauchen deshalb profitables Wachstum und damit Volumenwachstum. In der jüngsten Vergangenheit kommt dies aus China. Nachdem auch dort die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen, wird der Druck auf den deutschen Markt noch mal größer. Mengenwachstum kann hier nur über Marktanteilsgewinne stattfinden. Um ihre Produktionskapazitäten konstant und stabil auszulasten, müssen die Hersteller den Weg der Push-Strategie einschlagen. Dem Handel als schwächerem Glied in der Kette fällt damit die Rolle als Puffer zu. Er muss die aus dieser Strategie resultierenden Risiken und Kosten aus der sich daraus ergebenden Lagerhaltung tragen. Durch zunehmende Flottenverkäufe, exorbitant zunehmende Modellvielfalt sowie die sich verbreitende Digitalisierung und Online-Käufe muss die Rolle des Händlers neu definiert werden. AH: Mit welchen Strategien und Instrumenten kann der Händler das Dilemma der Push-Strategie des Herstellers und des dadurch entstehenden Kosten- und Margendrucks lösen? B. Gottschalk: Lagerhaltung kostet Geld. Nachlässe bzw. Erlösschmälerungen steigen weit über das ohnehin übliche Nachlassniveau. Dies zehrt noch weiter an der Marge. Verlängerte Zahlungsziele können dieses Problem nicht lösen. Der Neufahrzeugverkauf ist oft nicht mehr profitabel. Bereits jeder 3. Händler muss die dadurch entstehenden Verluste in der Neufahrzeugsparte durch den Service quersubventionieren. Ein Weg ist die Kostenoptimierung und Effizienzsteigerung. Dies kann in einer konzentrierten Marktbearbeitung erfolgen. Dies ermöglichen Händlergruppen, die in der Lage sind, optimierte Filialstrukturen herbeizuführen. Ein Händlerverbund kann die Vertriebskosten im Vergleich zu Stand-alone-Betrieben um bis zu 15 % reduzieren. Der Händlerbetrieb mutiert zur Werkstatt und zur Filiale einer großen Händlergruppe. Die Betriebe bleiben erhalten, Eigentümerstrukturen verändern sich, Verwaltungsaufgaben werden zentralisiert. Der Händlerbetrieb muss damit seine Prozesse neu definieren. Themenfelder wie Markenkommunikation werden nur noch beim Hersteller betrieben. Der Händlerbetrieb muss sich zukünftig auf den Kundenprozess konzentrieren und diesen neu ausrichten. Der Point of Sales muss die Marke beim Kunden erlebbar machen. Da es den klassischen Autokäufer nicht mehr gibt, weil er zum digitalen Kunden mutiert, muss der Autohändler in die Digitalisierung investieren. Es gibt also Wege. Man muss sie nur gehen! AH: Kann ein kleiner und mittlerer Händlerbetrieb die vom Hersteller geforderten Investitionen überhaupt noch tragen? Beschleunigt das nicht die Konsolidierung? B. Gottschalk: Eindeutig ja. Wie will ein kleinerer oder mittlerer Händler, der zwischen 50 und 500 Fahrzeuge im Jahr verkauft, die wachsende Produktvielfalt mit über 60 verschiedenen Fahrzeugmodellen präsentieren? Die hierfür notwendigen Investitionen in Gebäude und Ausstattung sind nicht finanzierbar. Herstellerseitige finanzielle Unterstützungen werden zudem immer seltener aufgrund der hohen Investitionen in die neuen Themen Elektromobilität, autonomes Fahren und Konnektivität. Allein das Thema der Fahrzeugpräsentation führt in den Ballungszentren zum Entstehen von Mega-City-Stores, in denen die Marke erlebt werden kann. Während das Produktangebot immer größer, vielfältiger und komplexer wird, wird gleichzeitig das Markenerlebnis immer wichtiger. Wie in den USA oder in Großbritannien liegt die Zukunft des Automobilhandels in den Händen der Mega-Dealer. Der neue Point of Sale AH: Ist die Standortfrage für ein Autohaus heute existenzentscheidend? Verändert sich das Showroomkonzept in Richtung Erlebnispark? B. Gottschalk: Der Point of Sales wird auch in den nächsten fünf Jahren noch kaufentscheidend sein, allerdings in anderer Form. In den ländlichen Gebieten oder am Stadtrand wird es das klassische Autohaus mit angeschlossener Werkstatt als Filiale einer Händlergruppe weiterhin geben. Neben den Megastores in den Städten entstehen neue Verkaufslandschaften wie City-Shops, Pop-up-Stores, Showrooms am Flughafen oder Konfigurator-Shops in der Fußgängerzone. In Kalifornien hat Lexus ein Luxus-Autohaus eröffnet mit Beauty-Salon, Kunstatelier, Bibliothek, Golfsimulator, Gourmetrestaurant und einer Boutique für Kleider- und Heimdekoration. Mercedes hat in Hamburg und München einen "mestore" installiert mit regelmäßigen Fotoausstellungen, Afterwork-Clubs und Warehouse-Partys. In der Audi-City in Berlin wird eine Erlebniswelt mit interaktiven Videowalls und Multi-Touch- Tischen gestaltet. Eine Ultra-Powerwall mit 3D-Bildschirmen überragt alles. AH: Sind Digitalisierung und Big Data nur Themen für die Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen oder sogar nur Modeerscheinungen? B. Gottschalk: Natürlich sind Digitalisierung und Big Data seit geraumer Zeit ein ungeheurer Hype. Aber Vorsicht: Firmen wie Google, Apple oder Amazon werden unsere Zukunft maßgeblich bestimmen. Mit den neuen Medien werden auch im Vertrieb die Prozesse erheblich verändert werden. Die Generation Y ist bereits die digitale Endverbrauchergruppe. Diese Käufergruppe im Alter von 19 - 30 Jahren greift bereits heute über 200 Mal pro Tag zum Smartphone. 2020 wird diese Klientel ihr Fahrzeug online kaufen. Der Kauf, die Finanzierung und die Versicherung sind heute getrennte Prozesse. Die Digitalisierung wird diese Prozesse integrieren, weil der Kunde dies so will. Connectivity, elektronische Plattformen und damit verbundene Dienste werden wichtige Kaufkriterien. Ein bedeutendes Feature werden Kunden-Service-Dienstleistungen in Echtzeit. Spätestens wenn die digitale Möglichkeit den Interessenten erlaubt, den Ort der Probefahrt selbst zu bestimmen, steigt die Wahrscheinlichkeit eines Online-Kaufs enorm. Digital wird das neue Normal AH: Warum ist die Digitalisierung bzw. sind die Neuen Medien für die Existenz des klassischen Autohauses unabdingbar? B. Gottschalk: Der Kundenkontakt wird zukünftig hauptsächlich über die elektronische Kommunikation erfolgen. Dabei hilft die Positionierung des Händlerbetriebes über die hauseigene Homepage. Dies erfordert nun die Verknüpfung mit den Neuen Medien. Die Digitalisierung des Verkaufs erfordert Investitionen in Tablets, Smartphones, Powerwalls für die Verkaufsmannschaft. Die Konnektivität der Fahrzeuge erzwingt die elektronische Aufrüstung des Service und der Servicemitarbeiter. Auch eigene Internet-Plattformen für das Gebrauchtfahrzeuggeschäft werden zum Basisgeschäft gehören. Klassische Handelsmarketing-Aktionen müssen durch Social-Media-Aktivitäten ergänzt oder ersetzt werden. Soziale Netzwerke können und sollten als effektives Kundenservice-Instrument eingesetzt werden. Ohne diese Instrumente wird kein Autohaus überleben. AH: Sind die Autohäuser mit Kostensenkungen zukunftsfähig zu machen oder muss es ein strategisches Umdenken geben? B. Gottschalk: In jeder Neuausrichtung hat Kostenmanagement absoluten Vorrang. Dabei hat der Kundenprozess am Point of Sale die höchste Kundenrelevanz und stellt zudem den kostenintensivsten Prozess dar. Ein wesentlicher Ansatzpunkt zur Kostenoptimierung ist der Einsatz der neuen Medien zur Unterstützung des persönlichen Kundenmanagements. Das Management des persönlichen Kundenprozesses, die individuelle Kundenberatung und Betreuung beim Kauf und Service seines Fahrzeugs ist die entscheidende Überlebensfrage für den Automobilhandel. Geht dieses Fundament verloren, bedeutet dies das Ende des Autohandels in seinen heutigen Strukturen. Das traditionelle "hard selling" muss durch modernes mediengestütztes, ganzheitliches Customer Relationship Marketing ergänzt werden. Wichtiger noch ist, dass die strategische Neuausrichtung eine dominante Stellung einnimmt. Die Zukunft gehört den großen Händlergruppen. Die Konsolidierung wird weitergehen. Um zu überleben, müssen sich kleinere Händler in diese Unternehmen integrieren. Damit bleiben ihre Betriebsstätten erhalten. Die Digitalisierung über die Neuen Medien werden die Prozesse beeinflussen und stark verändern. Die Assets, die dem klassischen Händlerbetrieb bleiben, sind die Probefahrtangebote, die professionelle Werkstatt mit dem Hol- und Bring-Service sowie der persönliche Kundenkontakt. Diese Bereiche müssen erhalten und gepflegt sowie ergänzt werden durch Investitionen in die Neuen Medien, in die sozialen Netzwerke verbunden mit entsprechenden Ausbildungsprogrammen für die betroffenen Mitarbeiter. Mit der Einleitung dieses evolutionären Wandels wird die Zukunft des Autohandels in neu strukturierter Form gesichert. So bleiben die Betriebsstätten im Einzelnen erhalten. Allein wird es ein einzelner Händlerbetrieb nicht schaffen. Er sollte sich professionellen Rat holen. Seine Zukunft ist es wert. AH: Herr Prof. Dr. Gottschalk, zum Schluss noch eine persönliche Frage: Sie sind seit Jahren mit AutoValue im Beratungssektor aktiv. Wer aus unserer Branche ist in Ihrem Hause an der richtigen Adresse? B. Gottschalk: Während wir bisher auf den Gebieten Strategie, Restrukturierung und M&A unterwegs waren, werden wir zukünftig unser Tätigkeitsfeld um den Vertrieb erweitern. Wir wollen uns um Händlerbetriebe kümmern, die ihr Unternehmen zukunftsorientiert ausrichten wollen. Diese Betriebe möchten wir benchmarkfähig machen. AH: Herr Prof. Gottschalk, vielen Dank für das Gespräch! Interview: Prof. Hannes Brachat Autovalue Die AutoValue GmbH von Prof. Dr. Bernd Gottschalk in Frankfurt hat sich einen Namen gemacht auf den Feldern:- Strategieberatung- Interim-Management- M&A- ZuliefererErgänzt wird dieses Portfolio aktuell um das Thema Vertrieb. Das neue Vertriebsteam besteht aus Experten mit langjähriger operativer Erfahrung. Beraten werden Händlerbetriebe im Hinblick auf Benchmarkfähigkeit und Entwicklung zukunftsfähiger Konzepte.Kontakt: www.autovalue.de

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