Zukunft im Autohaus-Bau: Qualität statt Quantität

Es ist eine Kulturrevolution, die sich die Menschheit derzeit selbst ausrollt: Die Digitalisierung und Vernetzung aller Lebensbereiche erfasst dabei auch das Automobil, den Autofahrer und den Autohandel. Connected cars, Assistenzsysteme und autonomes Fahren, dazu neue Antriebstechnologien wie die E-Mobilität machen aus dem Automobil einen ganz neuartigen Baustein unserer individuellen Mobilität. Der Autofahrer selbst wird in seinem Informations-, Entscheidungs- und Kaufverhalten bereits seit Jahren massiv durch das Internet und mobile Devices wie Smartphones und Tablets umgepolt. Seine "Customer Journey", wie man diese neuen Verhaltensmuster nennt, ändert sich permanent und wird sich künftig unter dem verstärkten Einfluss "künstlicher Intelligenz" noch dynamischer verändern. Welche Folgen haben diese Entwicklungen für den stationären Autohandel und für das Format Autohaus? Wie werden sich Verkaufs- und Werkstattprozesse vor dem Hintergrund der Digitalisierung ändern? Welche Konsequenzen wird das für den Showroom und den Werkstattbereich haben? Über diese Fragen haben wir mit Jürgen Papadopoulos gesprochen, der mit seiner Papadopoulos Associates GmbH in gut 25 Jahren eine profunde Expertise rund um die Thematik Planen, Bauen und Einrichten von Autohäusern aufgebaut hat, von der Standort-Analyse über Baukonzeptionen, CI-gerechte Sanierungen und Neubauten bis hin zum Facility Management u.v.m. Upgrading im Showroom AH: Herr Papadopoulos, welche Konsequenzen hat die Digitalisierung für die Schauräume der Autohäuser? J. Papadopoulos: Die Schauräume werden derzeit bei fast allen Marken mit Digital-Signage-Elementen aufgerüstet, von der interaktiven Stele über Tablet-Computer für den Verkäufer, Virtual-Reality-Brillen bis hin zu komplexen Modulen wie z. B. der Private-Customer-Lounge bei Audi. Es findet also eine qualitative Aufwertung der Verkaufsräume statt, ein upgrading, das massive Investitionen für den Handel bedeutet. Dabei gibt es vielerorts typische Kinderkrankheiten wie z. B. Schnittstellenprobleme, die eine reibungslose Implementierung der neuen Tools in den Verkaufsprozess erschweren. Hier wird es darauf ankommen, ein professionelles, hochintegriertes Datenmanagement auf der Achse Hersteller-Handel zu implementieren, um den Kunden auf seiner Customer Journey abzuholen und diese vor Ort im Autohaus bis zum Kaufabschluss fortzuführen. AH: Was wird dabei aus dem klassischen Verkäuferarbeitsplatz im Autohaus? J. Papadopoulos: Den wird es in der starren Form künftig nicht mehr geben. Er wird mobiler werden, komplexer, differenzierter, um auf die immer individueller werdenden Kundenwünsche adäquat eingehen zu können. Konkret: Ich benötige als Verkäufer viele Optionen, um meine Kunden abzuholen: Der internetaffine 25-Jährige kommt mit seinen mobile devices und QR-Codes ins Verkaufsgespräch, der betagte Rentner wünscht sich einen bequemen Stuhl bei der Beratung oder ein diskretes Büro für sein Finanzierungsgespräch. Für all das braucht der Verkäufer flexible Optionen im Schauraum, an seinem Schreibtisch, an den interaktiven Beratungs- und Konfigurationstools im Showroom. Und auch der Automobilverkäufer selbst wird seine Kompetenzen neu justieren müssen: Er wird künftig nicht so sehr das wandelnde technische Lexikon sein, das alles über alle Modelle weiß und den unbedarften Kunden belehrt, sondern er muss über eine ausgeprägte Medienkompetenz verfügen, die ihn in die Lage versetzt, sich zusammen mit dem Kunden über das schlau zu machen, was der Kunde auf seiner Customer Journey bisher noch nicht erkundet oder berücksichtigt hat. AH: Da kommen ja ganz neuen Anforderungen auf den Verkäufer zu. J. Papadopoulos: Ja, die neue Medienkompetenz muss kombiniert werden mit einer ausgesprochenen Sozialkompetenz, das heißt, der Verkäufer muss ein Gespür dafür entwickeln, wie und mit welchen Medien und Argumenten der Kunde im Echo-Raum seiner individuellen Customer Journey angesprochen und betreut werden möchte. Wenn das gelingt, hat der Verkäufer die zentrale Herausforderung gemeistert, die die Digitalisierung für den Verkaufsprozess bedeutet: Online-Interessenten durch professionelles Lead- Management ins Autohaus zu holen und dort durch Vertrauensaufbau zu zufriedenen Offline-Kunden zu machen. Probefahrt als "analoger Anker" AH: Mit welchen Pfunden kann denn der Verkäufer im stationären Handel noch wuchern gegenüber den immer besser werdenden Möglichkeiten, den kompletten Verkaufsprozess bis hin zum Abschluss im Internet zu absolvieren? J. Papadopoulos: Da gibt es nach wie vor einige effektive "analoge Anker", die der Verkäufer zugunsten des stationären Automobilverkaufs aktivieren kann. Zum Beispiel die Probefahrt, die gerade im Kontext "Autonomes Fahren" und alternative Antriebstechnologien in den nächsten Jahren für den Kunden immer wichtiger und wertvoller werden wird. Denn das sind ja für die meisten Autofahrer ganz neue Features, die man nicht "blind" kaufen, sondern testen will. Am besten unter kundiger Anleitung eines guten Automobilverkäufers oder "Product Genius" oder wie immer diese Betreuungsperson im Autohaus auch heißen mag. Wenn Hersteller und Handel von der wachsenden Wertigkeit der Probefahrt überzeugt sind, wird man überlegen müssen, wie man sich dafür optimal aufstellt. Denn mit dem heutigen System der Probefahrten im Rahmen des klassischen Händlervertrags - Stichwort: Kunde fährt beim Händler kostenlos Probe und kauft dann billig im Internet - wird man die Stärken des stationären Handels gegenüber dem reinen Online-Kauf nicht ausspielen können. AH: Worauf kommt es denn konkret bei der Ausgestaltung der Probefahrt an? J. Papadopoulos: Es wird a) darauf ankommen, dass Hersteller und Handel gemeinsam attraktive und wertige Probefahrt-Offerten machen, z. B. auch mit Hilfe neuer attraktiver Bauformate wie regionalen Competence-Centern für Probefahrten. Und es wird b) darauf ankommen, die Probefahrt als wertige, eigenständige Verkaufsleistung sichtbar zu machen, zu bepreisen und zu honorieren. Das Beispiel Probefahrt zeigt auch, dass künftige Margensysteme anderen Konstruktionsprinzipien folgen müssen als heutige: Sie müssen verstärkt dienstleistungsorientiert sein, das heißt jede identifizierte Verkaufsleistung des Handels muss mit einem Preis, einer fixen fee hinterlegt sein, die der Handel dann auch erhält. Voraussetzung dafür ist wiederum ein hochintegriertes, professionelles Datenmanagement, das die Dokumentation der einzelnen Leistungsbausteine des Handels lückenlos ermöglicht. An dieser Stelle wird man sich auch fragen müssen, ob auf diesem Wege aus dem eigenständigen Händler nicht ein Agent des Herstellers wird bzw. werden muss, aber das würde hier wohl zu weit weg von unserem Thema führen. AH: Richtig, aber Ihr Beispiel hat schön gezeigt, wie Prozesse, Bauformate, Händlerverträge etc. wie in einer komplexen Wechselwirkungs-Matrix zusammenhängen. Zurück zum Showroom: Sie sprachen vorhin von einer digitalen Überformung und qualitativen Aufwertung - kann der Handel angesichts seiner bekannten Renditeschwäche neben "Bricks & Stones" denn diese neuen Investitionen in "Bits & Bites" überhaupt stemmen? J. Papadopoulos: Es ist derzeit sicher eine zusätzliche Investition, aber das dürfte nicht so bleiben. Es kommt beim künftigen Showroom vermehrt auf die Qualität an und nicht so sehr auf die Größe, wie das bisher der Fall ist. Das heißt, der Automatismus, dass der Händler mit wachsender Modellpalette alle paar Jahre mehr Ausstellungsfläche realisieren muss, wird künftig nicht mehr greifen. Es wird wohl nicht so weit kommen, dass nur noch ein Stellvertreter-Auto in einem Mini-Showroom steht, aber ein kompakter Showroom mit sechs bis acht Präsentationsfahrzeugen und daneben umfassenden digitalen Präsentations- und Konfigurationsmöglichkeiten, das könnte ein Modell für die nahe Zukunft sein. Bestehende Autohäuser können entsprechend umgestaltet werden. Bei Neubauten sollte man bei der Planung auf eine flexibel nutzbare Struktur Wert legen, z. B. durch eine intelligente Modulbauweise. Generell gilt: Die Aufenthaltsqualität muss dabei hoch sein, zum Teil mit Lounge-Atmosphäre, es muss die genannte Vielfalt an Möglichkeiten vorhanden sein für die Fortsetzung der virtuellen Customer Journey des Kunden im Autohaus. Aber als Ausgleich für die Investitionen in die Digital- und Aufenthaltsqualität können die Schauräume deutlich kleiner als heute dimensioniert werden. AH: Kommen wir zum Werkstattbereich. Was sind hier die Veränderungstreiber und welche Wirkungen entfalten sie? J. Papadopoulos: Haupttreiber ist wiederum die Digitalisierung, die aus dem Auto ein connected car macht sowie die Serviceprozesse im Aftersales massiv verändert. Dazu kommen technische Entwicklungen wie die E-Mobility oder der Leichtbau mit komplexem Materialmix, neue Fügetechniken etc. In Summe wird das Werkstattgeschäft dadurch wesentlich komplexer, die Notwendigkeit der Spezialisierung wächst, die klassische Vollfunktionswerkstatt wird die wachsende Investitionslast in alle Spezialbereiche nicht mehr leisten können. Auf Verbraucherseite wird es langfristig einen Paradigmenwechsel geben, der sich mit dem Stichwort "Nutzen statt Besitzen" umschreiben lässt, das heißt der Autofahrer von morgen ist nicht mehr in dem Maße wie heute Besitzer seines Fahrzeugs, er kauft sich kein Auto, sondern Mobilität. Das wird unterm Strich kontraproduktiv sein für das, was wir Qualitätsanspruch für Werkstattleistungen und Kundenloyalität nennen. Werkstätten werden fokussierter AH: Was heißt das fürs Raumprogramm im Werkstattbereich? J. Papadopoulos: Generell werden die Werkstätten spezialisierter und kleiner werden. Der klassische Dreipunkt ist heute schon kein Thema mehr, die Schnittstellen im digitalen Zeitalter müssen verstärkt über ein professionelles Datenmanagement laufen, z. B. müssen Vertrieb und Service - da wo sie noch unter einem Dach vereint sind - viel besser miteinander verlinkt werden. Dass da noch viel zu tun ist, zeigt das Beispiel Kundenräderlager, das heute fast jedes Autohaus baut, dieses dann aber viel zu wenig als Kundenkontaktpfleger und Umsatzkatalysator nutzt. Zudem müssen neue Angebote wie die E-Mobility-Infrastruktur ins Raumprogramm integriert werden. Mit der E-Mobility werden auch wichtige Ertragsquellen rund um den Antriebsstrang oder das Ölgeschäft minimiert werden. Es wird sich wohl auch eine zweite Lohnebene in der Werkstatt etablieren: Neben hochqualifizierten Mechatronikern wird man für den wachsenden Bereich "Diagnose&Tauschen" auch mit angelernten Monteuren arbeiten. Trennung Service und Vertrieb AH: Sie sagten eben "da wo Vertrieb und Service noch unter einem Dach vereint sind": Heißt das "noch", dass Sie hier eine neue Trennlinie wachsen sehen? J. Papadopoulos: Zumindest in den Metro Areas wird das der Fall sein, weil es für flächenintensive Aftersales-Bereiche einfach keinen bezahlbaren Baugrund mehr gibt. Das verdichtete Bauen in die Höhe über fünf, sechs Stockwerke wird zu teuer, besser ist es dann mit dem Servicebereich ein paar Kilometer weiter ins Gewerbegebiet zu gehen, denn ein Hol-und-Bring-Service ist wesentlich billiger als (zu) teures Bauen in der City. Apropos Hol-und-Bring: Ich halte es für nicht unwahrscheinlich, dass der Servicekunde von morgen dieses Angebot für notwendige Wartungs- und Reparaturarbeiten verstärkt für sich in Anspruch nehmen wird, nicht zuletzt im Kontext mit der Entwicklung zum "connected car". Das bedeutet zwar, dass dieser Kunde dann nicht mehr ins Autohaus bzw. die Werkstatt kommt, dafür aber kommt das Autohaus vielleicht in die Wohnung des Kunden, und das kann ganz neue Kundenkontaktchancen eröffnen. Denn das ist ja ein ganz zentraler Punkt und Wettbewerbsvorteil, den das Autohaus vor allen anderen Marktteilnehmern hat: Die Autohaus-Mitarbeiter kennen ihre Kunden von Angesicht zu Angesicht, von Mensch zu Mensch, und diese menschliche Brücke wird gerade im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung immer wichtiger werden. Es geht also für die Autohäuser gar nicht so sehr um die oft gestellte Frage: Wem gehören die Kundendaten? Denn in Sachen Datenmanagement à la Amazon wird der Markenhandel gegenüber den Automobilherstellern oder spezialisierten Internet-Plattformen immer die schlechteren Karten haben. Das Alleinstellungsmerkmal des Handels ist die persönliche Kontaktschiene zum Kunden, auf der sich ein stabiles Vertrauensverhältnis aufbauen lässt. Wie im Verkauf wird also auch im Service die Sozialkompetenz der Mitarbeiter und die Währung Vertrauen ein immer wichtigerer Wettbewerbsfaktor im Autohaus. Ein bisschen Sciencefiction ... AH: Wir haben bisher über die absehbare Zukunft gesprochen. Haben Sie auch eine Sciencefiction-Perspektive für die fernere Zukunft in 30, 40 Jahren? Gibt es dann noch Autohäuser? J. Papadopoulos: Das musste ja kommen (lacht). Versuchen wir es: Das autonome Fahren und die E-Mobilität werden dann Standard sein, es wird mehr Mobilitäts-Nutzer als Auto-Besitzer geben, die Emotionalität der Fahrzeuge sinkt, es geht um das pragmatische Von-A-nach-B-Kommen, und das in einem vernetzten System aller Verkehrsmittel, vom E-Bike und ÖPNV über das Auto bis zu Fernbus, Bahn und Flugzeug. Künstliche Intelligenz wird dann den Automobilverkäufer und Serviceroboter werden den Mechatroniker ersetzt haben. Es werden zwar auf dem Land etliche klassische, familiengeführte Autohäuser überlebt haben und in den Städten vielleicht einige Spezialisten für Oldtimer oder Sportwagen etc. Die Regel aber wird eine neuartige, großflächige Depot- und Hallenbetreiberstruktur für den Vertrieb und Service von Automobilen bilden. Wer dabei die Systemführer sein werden, ist derzeit völlig offen: Vielleicht Google oder andere Internet-Plattformen, vielleicht Uber oder andere Mobilitätsanbieter. Vielleicht aber auch eine neuartige Allianz, die aus einer Symbiose der klassischen Autohersteller mit den Markenhändlern hervorgegangen sein wird, die es geschafft hat, ein innovatives Partnerschafts- und Geschäftsmodell auf die Beine zu stellen, das die heutigen Stärken von Herstellern und Handel zusammenführt und in der digitalisierten Gesellschaft optimal zur Geltung bringt. AH: Wow, Herr Papadopoulos, danke für das Gespräch! Interview: Dieter Radl Kurzfassung Kleinere, aber digital aufgewertete Schauräume, eine "Mobil"-Machung bei den Verkäuferarbeitsplätzen, kleinere, aber hochspezialisierte Werkstätten, regionale Competence-Center für Probefahrten - das sind nur einige der Folgen für das Planen und Bauen von Autohäusern, die Jürgen Papadopoulos aus der Digitalisierung und E-Mobilisierung für die nahe Zukunft ableitet. Und langfristig malt er ein Menetekel an die Wand: In 30 bis 40 Jahren wird künstliche Intelligenz den Automobilverkäufer ersetzt haben, werden Roboter die Mechantroniker überflüssig gemacht haben. Auch die Tage des klassischen Autohaus-Formats dürften dann gezählt sein.

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