EuGH-Urteil: Rückwirkende Rechnungsberichtigung

Welcher Unternehmer kennt nicht das Szenario, dass bei einer Betriebsprüfung Rechnungen vom Betriebsprüfer bemängelt werden und der Vorsteuerabzug verworfen wird. Zwar ist es bisher schon möglich, die Rechnung zu korrigieren. Nach Ansicht der Finanzverwaltung kann der Vorsteuerabzug aber erst zu dem Zeitpunkt in Anspruch genommen werden, in dem die Berichtigung erfolgte. Wird folglich eine Rechnung aus dem Jahr 2013 während einer Außenprüfung 2016 korrigiert, ist nach der Finanzverwaltung die Vorsteuer auch erst im Jahr 2016 zu berücksichtigen. Auf dem Zinsschaden bleibt der Unternehmer daher sitzen. Dieser kann bei 6 Prozent Zinsen und bei einigen Jahren zurückliegenden Rechnungen sehr hoch sein. EuGH-Vorabentscheidungsersuchen Das Niedersächsische Finanzgericht wollte vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) wissen, ob, untechnisch gesprochen, die Ergänzung einer unvollständigen Rechnung rückwirkend, oder ob die Berichtigung nur für die Zukunft wirkt und bis zu welchem Zeitpunkt die Vorlage der berichtigten Rechnung zu erfolgen hat. In dem zu entscheidenden Fall hatte das Finanzamt im Rahmen einer Außenprüfung bemängelt, dass der Steuerpflichtige aus Rechnungen den Vorsteuerabzug vorgenommen hat, obwohl die Steuernummer beziehungsweise die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer fehlten. Noch während der laufenden Außenprüfung wurden die Rechnungen um die fehlenden Rechnungselemente ergänzt und dem Betriebsprüfer übergeben. Gleichwohl erließ das Finanzamt geänderte Steuerbescheide für die Vergangenheit, da die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug in den vergangenen Jahren nicht vorlagen, sondern erst im Zeitpunkt der Berichtigung der Rechnung. EuGH: Rückwirkende Berichtigung ist zulässig Der EuGH stellt zunächst klar, dass die Mehrwertsteuersystemrichtlinie eine Berichtigung von Rechnungen vorsieht. Weiterhin führt er aus, dass das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich für den Zeitraum auszuüben ist, in dem zum einen dieses Recht entstanden ist und zum anderen der Steuerpflichtige im Besitz einer Rechnung ist. Dies folgt unter anderem aus dem Mehrwertsteuersystem, nach dem der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll. Weiterhin hat der Gerichtshof entschieden, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat. Keine Rückwirkung einer erstmalig erstellten Rechnung Der EuGH stellte aber noch einmal ausdrücklich klar, dass der Steuerpflichtige eine Rechnung, wenn auch mit formellen Fehlern, für den Vorsteuerabzug benötigt. Das erstmalige Vorlegen der Rechnung begründet keinen rückwirkenden Vorsteuerabzug auf den Leistungszeitpunkt, sondern wirkt nur ex nunc, also für die Zukunft. In diesem Fall hat der Steuerpflichtige weiterhin die Nachzahlungszinsen von 6 Prozent p. a. zu entrichten. Sanktionen möglich Die deutsche Finanzverwaltung stellte sich bisher auf den Standpunkt, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs eine Sanktion wäre, um die Nichtbeachtung formeller Anforderungen zu ahnden. So sei eine ordnungsgemäße Rechnung unter anderem auch notwendig, um Steuerhinterziehung effektiv zu bekämpfen. Der EuGH war aber der Meinung, dass ein Vorsteuerabzug für die Zukunft, sprich ab Vorlage der berichtigten Rechnung, eine zu weit gehende Sanktion ist. Nach Ansicht der Richter ist etwa die Auferlegung einer Geldbuße oder einer finanziellen Sanktion, die in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Verstoßes steht, als Sanktion ausreichend. Zeitpunkt der Berichtigung Leider hat der EuGH die vorgelegte Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die berichtigte Rechnung vorgelegt werden muss, offen gelassen. Der EuGH stellte fest, dass die berichtigte Rechnung unstreitig während einer laufenden Außenprüfung vorgelegt wurde. Dieser Zeitpunkt ist auf jeden Fall rechtzeitig. Ob eine Vorlage noch im Einspruchsverfahren beziehungsweise im Klageverfahren rechtzeitig ist, hat der EuGH ausdrücklich offen gelassen. In diesem Zusammenhang ist ein Urteil des FG Münster interessant, nach dem die Vorlage der berichtigten Rechnung im Einspruchsverfahren rechtzeitig und daher ein Vorsteuerabzug rückwirkend möglich sei, dagegen die Vorlage im Klageverfahren verspätet sei. Für die Praxis kann es aus Sicherheitsgründen aber nur bedeuten, dass die Berichtigung der Rechnung so früh wie möglich vollzogen und vorgelegt wird. EuGH zum Inhalt einer Rechnung Zeitgleich zu obigem Urteil hat der EuGH auch noch ein Urteil zu dem Inhalt einer Rechnung gefällt. Dem EuGH lag ein portugiesischer Sachverhalt vor, in dem eine Anwaltskanzlei in seinen Rechnungen nur Folgendes vermerkte: "Rechnung vom 17. Dezember 2008, Honorare für von Juni bis zum heutigen Tag erbrachte juristische Dienstleistungen." Der EuGH hat entschieden, dass diese Angaben für sich allein genommen nicht die Merkmale einer Rechnung im europäischen Sinne erfüllen. Entscheidend in diesem Fall war aber, dass es Annexe zu den Rechnungen gab, in denen Informationen über die Tätigkeiten enthalten waren. Dabei stellte der EuGH klar, dass sich die Steuerverwaltung nicht auf die Prüfung der Rechnung selbst beschränken darf, sondern auch zusätzliche vom Steuerpflichtigen beigebrachte Informationen zu berücksichtigen hat. Beide Entscheidungen gehen in die richtige Richtung und stellen sich dem puren Formalismus, der in der Praxis so häufig von der Finanzverwaltung angewendet wird, entgegen. Kurzfassung - Der EUGH hat ausdrücklich geurteilt, dass eine Rechnungsberichtigung zurückwirkt, und somit der deutschen Finanzverwaltung widersprochen.- Wurde im Jahr 2013 ein Vorsteuerabzug auf Grund einer fehlerhaften Rechnung vorgenommen und wird die Rechnung 2016 korrigiert, so ist der Vorsteuerabzug von Anfang an zulässig gewesen.- Beachten Sie aber, dass die erstmalige Vorlage einer Rechnung keinen rückwirkenden Vorsteuerabzug zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs begründen kann. Kommentar Dieses Urteil ist für jeden Unternehmer von Vorteil und nur begrüßenswert. Zwar wird von der Politik immer wieder das hehre Ziel Bürokratieabbau in den Medien ausgebreitet. Betrachtet man aber die Praxis, dann sieht man nur größere formalistische Hürden und ein Aufblähen der Bürokratie. Dieses Urteil muss nun direkt national umgesetzt werden, eine Versagung des Vorsteuerabzugs für die Vergangenheit, nur weil z. B. die Rechnungsnummer auf einer Rechnung gefehlt hat, ist endlich vorbei. Für 6 Prozent pro Jahr Nachzahlungszinsen bleibt kein Raum mehr, es ist aber davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung sicherlich bald eine Gesetzesänderung vorlegt, in der dem Steuerpflichtigen Sanktionen (z. B. Geldbuße) auferlegt werden, wenn die formellen Voraussetzungen nicht eingehalten werden. Interessant wird hier aber vor allem sein, ob der Aspekt der "Angemessenheit" von der deutschen Verwaltung eingehalten wird. Der EuGH hat ausdrücklich klargestellt, dass die Sanktion in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Verstoßes stehen muss.Peter Harbauer, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater www.raw-partner.de

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