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BGH-Urteil: Restwert-Klartext aus Karlsruhe

01.02.2017 21:10 Uhr
BGH-Urteil: Restwert-Klartext aus Karlsruhe
Das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe kommentiert RA Henning Hamann exklusiv für AUTOHAUS-Leser.
© Foto: BGH, ETL-Kanzlei Voigt

Der Geschädigte darf sein totalbeschädigtes Fahrzeug zu dem im Gutachten ausgewiesenen Restwert verkaufen, ohne dem Versicherer die Möglichkeit einzuräumen, ein höheres Angebot zu finden. So lautet der Kern einer aktuellen BGH-Entscheidung. Das Urteil kommentiert nachfolgend RA Henning Hamann.

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Seit vielen Jahren kam es rund um die Ermittlung von Restwerten immer wieder zu Gerichtsstreitigkeiten. Die Assekuranzen pochten auf ihr Recht, über den regionalen Markt hinaus nach möglichst hohen Kaufangeboten für Unfallfahrzeuge zu suchen. Dabei besteht laut Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 27. September 2016 (VI ZR 673/15) keine Verpflichtung für den Geschädigten, beim Verkauf seines Totalschadens bestimmte Fristen einzuhalten.

Zum Hintergrund: Im Fall eines Totalschadens muss der Versicherer den Wiederbeschaffungsaufwand ersetzen, also die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert (Wert des Fahrzeugs eine Sekunde vor dem Unfall) und Restwert (Wert des Fahrzeugs eine Sekunde nach dem Unfall). Daher hat die regulierende Gesellschaft natürlich ein gesteigertes Interesse daran, dass der Restwert so hoch wie möglich ist – denn desto niedriger ist gleichzeitig der Wiederbeschaffungsaufwand und damit der finanzielle Aufwand für den Versicherer.

Zankapfel Restwert
Daher tobt zwischen Geschädigtem und Schädiger, bzw. dessen Versicherer, regelmäßig ein Streit über die (a) ordnungsgemäße Restwertermittlung und (b) die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Geschädigte sich auf höhere Restwertangebote verweisen lassen muss. Der Bundesgerichtshof hatte erstmalig in dem Urteil vom 13. Oktober 2009 (VI ZR 318/08) Angaben darüber gemacht, in welcher Form der vom Geschädigten beauftragte Schadengutachter den Restwert ermitteln und dokumentieren muss. Dazu heißt es in der Entscheidung: "Der vom Geschädigten mit der Schadensschätzung zum Zwecke der Schadensregulierung beauftragte Sachverständige hat als geeignete Schätzgrundlage für den Restwert im Regelfall drei Angebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt zu ermitteln und diese in seinem Gutachten konkret zu benennen."

Keine deutschlandweite Suche nötig
Es genügt also, wenn der Restwert auf dem regionalen Markt ermittelt wird und der Gutachter zumindest drei Restwertangebote eingeholt und konkret benannt hat. Was unter "regionalem Markt" zu verstehen ist, bestimmen die regionalen Besonderheiten. Im Ballungsgebiet München dürfte damit die Stadt München gemeint sein, in ländlicheren Gegenden ist der Umkreis sicherlich etwas größer zu ziehen. Der Schadengutachter muss aber insbesondere keine Restwertangebote einer Internet-Restwertbörse ermitteln und eben auch keine sonstigen überregionalen Anbieter anfragen. Hintergrund dieser Entscheidung und Motivation des BGH – bezogen auf die Regionalität – ist, dass dem Geschädigten die Möglichkeit gegeben werden soll, das Fahrzeug einer ihm vertrauten Werkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler beim Erwerb eines Ersatzwagens in Zahlung zu geben. Das hat natürlich regelmäßig zur Folge, dass die vom Gutachter des Geschädigten in einem begrenzten Umfeld ermittelten Restwerte niedriger sind als solche Angebote, die deutschlandweit gesucht werden.

Besteht eine Prüffrist?
Zugunsten der Versicherer hat der BGH aber schon immer entschieden, dass der Geschädigte eine sich ihm mühelos darbietende, bessere Verwertungsmöglichkeit nicht einfach ausschlagen kann. Wenn der Versicherer dem Geschädigten zu einem Zeitpunkt, in dem das totalbeschädigte Fahrzeug noch nicht veräußert war, obgleich eine Verkaufsabsicht besteht, ein höheres Restwertangebot unterbreitet, welches der Geschädigte mühelos annehmen kann, dann muss er das auch tun.

Aus diesem Grundsatz haben die Versicherer nun abgeleitet, der Geschädigte müsse VOR einer Veräußerung des totalbeschädigten Fahrzeugs zunächst einmal die Möglichkeit einräumen, ein höheres Restwertangebot zu finden. Anderenfalls würde die grundsätzliche Möglichkeit der Überprüfung ja unterwandert. Dazu sei eine Prüffrist von mindestens sieben Tagen angemessen. Verkaufe der Geschädigte das Fahrzeug vor Ablauf dieser Prüffrist, verletze er seine Schadenminderungspflicht und erhalte daher nur den um einen (fiktiv) höheren Restwert reduzierten Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt, auch wenn der Geschädigte tatsächlich weniger erlöst hat. Wasser auf die Mühlen der Versicherer gab eine Entscheidung des OLG Köln aus 2012 (13 U 80/12), die in diesem Sinne ausgefallen war.

Geschädigter darf vorher verkaufen
Der Bundesgerichtshof hat mit der Entscheidung vom 27.09.2016 jetzt Klartext gesprochen und klargestellt, dass es eine solche Prüffrist nicht gibt. Vielmehr darf der Geschädigte im Vertrauen auf die Richtigkeit des im Gutachten ausgewiesenen Restwertes das Fahrzeug zu diesem Preis verkaufen, ohne dem Schädiger bzw. dessen Versicherer die Möglichkeit zu geben, ein besseres (höheres) Restwertangebot einzuholen und dem Geschädigten vorzulegen. Damit darf der Geschädigte das Fahrzeug sogar vor Übersendung des Gutachtens an den Versicherer verkaufen, wenn der Restwert ordnungsgemäß nach Vorgabe des BGH ermittelt wurde. RA Henning Hamann

Zur Person
Der Autor des vorstehenden Kommentars, RA Henning Hamann, ist seit 2004 zugelassener Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Verkehrs-, Ordnungswidrigkeiten-, Verkehrsstraf- sowie Versicherungsrecht. Von 2004 bis 2013 arbeitete er als selbstständiger Sozius einer Bielefelder Anwaltskanzlei, ehe er 2013 die Leitung der Bielefelder Niederlassung der Kanzlei Voigt übernahm. Seit 1. September 2016 ist Hamann Geschäftsführer der Kanzlei Voigt Rechtsanwalts GmbH, arbeitet zudem als Vertrauensanwalt des Volkswagen und Audi Händlerverbandes und ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV).   (wkp)

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