Gastkommentar: Analoger Zwischenruf

Ich weiß, wie wichtig das Thema "Digitalisierung" ist. Deshalb sei Folgendes vorausgeschickt: - Die Digitalisierung verändert die Branche nachhaltig. Sie bedroht den stationären Autohandel und bietet gleichzeitig neue Möglichkeiten in allen Bereichen. - Eine professionelle Digitalisierungsstrategie ist Erfolgsfaktor für das Überleben eines Autohauses. - Digitalisierung ist Chefsache. - Es gilt, die digitalen Kompetenzen der Mitarbeiter der Generationen Y und Z zu nutzen, und gerade kleine und mittlere Autohäuser sollten sich parallel hierzu professionelle Hilfe von außen holen, da die Kernkompetenzen des Autohandels nicht in der digitalen Welt liegen. Folgendes sei aber auch erlaubt zu bemerken: Ich kann es langsam nicht mehr hören. Die Welt ist nicht nur digital Glaubt denn wirklich jemand ernsthaft, der Besitz und die Handhabung eines smarten Herdes in der Küche machen schon einen Sternekoch aus? Der Kaffee schmeckt auch nicht besser, wenn man die Kaffeemaschine schon auf dem Heimweg per Smartphone in Gang setzt. Der Börsenwert der Unternehmen der digitalen "New Economy" mag beeindruckend sein, aber es hat sich noch niemand ins Bett eines Hotelvermittlungsportals legen können. Viele der Internetunternehmen sind reine Vermittlungsplattformen, deren Geschäft ohne die dahinterliegende reale Welt der "Old Economy" inhaltslos wäre. Rosarote Virtual-Reality-Brille Dies gilt ebenso für den Autohandel. Trotzdem scheint es, als ob sich die ganze Branche die Virtual-Reality-Brille aufsetzt und - auf diese Art erblindet - die wahren Kundenwünsche über den Haufen rennt. Digitalisierung ist in erster Linie Technik. Kundenzufriedenheit ist aber nicht nur eine Frage von Technik, sondern von Qualität. Fehlt diese im Autohaus, so sorgt die digitale Welt über Bewertungsportale, Facebook und Co. nur dafür, dass die größtmögliche Anzahl von potenziellen Kunden von diesem Mangel erfährt. Qualität bezieht sich hierbei auf die Leistung des Autohauses und die Prozesse, die zu dieser führen. Für die Qualität der Produkte ist in erster Linie der Hersteller zuständig, aber die hiermit verbundene Dienstleistung ist die Sache des Händlers. Leistungsqualität bedeutet hier, dass z. B. die Inspektion eines Werkstattkunden vollständig durchgeführt wird oder dass am Ende eines Gespräches mit dem Neuwagenverkäufer das für den Kunden richtige Auto ausgesucht wurde. Dies sollte selbstverständlich sein. Qualität der Prozesse Umso entscheidender ist in diesem Zusammenhang die Qualität der Prozesse. Dies bedeutet auf der einen Seite, dass alle Abläufe, insbesondere die durch den Kunden erlebbaren Kernprozesse eindeutig definiert sind und standardisiert ablaufen, aber trotzdem auf die individuellen Kundenbedürfnisse abgestimmt werden. Auf der anderen Seite ist auch das Verhalten der Mitarbeiter gegenüber den Kunden eine Frage der Prozessqualität. Keine noch so User-freundlich gestaltete App kann den Schaden, den ein unfreundlicher Mitarbeiter auslöst, wiedergutmachen und kein QR-Code-Reader wird es schaffen, den Kunden wieder über die mobiloptimierte Homepage ins Autohaus zu leiten. Kunden wechseln den Anbieter, weil sie unzufrieden mit der Leistung oder dem Verhalten des Autohauses sind, und nicht, weil ihnen das Design der letzten Werbemail nicht gefällt. Digital und analog Digitale und analoge Welt schließen sich nicht aus. Sie sind quasi zwei Seiten einer Medaille und gehören zusammen. Digitale Instrumente können dabei helfen, Prozesse für alle Beteiligten zu vereinfachen, und dies kann sehr förderlich für die Kundenzufriedenheit sein. Ein digital vereinbarter Termin muss aber auch von den Mitarbeitern des Autohauses eingehalten werden. Und der schönste Neuwagenkonfigurator nützt nur dann etwas, wenn die Erfahrungen des Kunden mit Produkt und Dienstleistung des Autohauses dazu führen, dass der Kunde ihn auch anwendet. Nicht die Technik entscheidet In einer im Rahmen eines Seminars durchgeführten Untersuchung des Studiengangs Automobilhandel der Dualen Hochschule Mannheim mussten wir feststellen, dass der Anteil von unbeantworteten E-Mail-Anfragen an Autohäuser deutlich höher bei den Anfragen war, deren E-Mail-Adresse auf einen Migrationshintergrund des Interessenten schließen ließ. Dieses "Lead-Management nach Gutsherrnart" hat zwar etwas mit Digitalisierung zu tun, der Fehler liegt aber nicht in der Technik, sondern im Verhalten der Menschen und an mangelnder Standardisierung der Vorgehensweise. Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Dies ist keine Aufforderung, sich der Digitalisierung des Autohandels zu verweigern, sondern ein Appell zu berücksichtigen, dass hinter aller Technik immer noch auf Kunden- und Mitarbeiterseite Menschen stehen. Deren Erfahrungen und Verhaltensweisen sind mindestens genauso entscheidend für den Erfolg des Unternehmens wie die Erstellung und Umsetzung eines digitalen Konzeptes. Kurzfassung Dies ist keine Aufforderung, sich der Digitalisierung des Autohandels zu verweigern, sondern ein Appell zu berücksichtigen, dass hinter aller Technik immer noch auf Kunden- und Mitarbeiterseite Menschen stehen. Digitale und analoge Welt schließen sich nicht aus. Sie sind quasi zwei Seiten einer Medaille und gehören zusammen. Der Gastkommentar Im AUTOHAUS-Gastkommentar nehmen Branchenexperten aus Industrie, Wissenschaft und Handel Stellung zu einem aktuellen Thema, das die Automobilwirtschaft und vor allem den Handel bewegt. Prof. Dr. Ulrich Ermschel ist Studiengangsleiter für Automobilhandel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Mannheim. Vor dieser Tätigkeit hat er vierzehn Jahre im markengebundenen Automobilhandel gearbeitet. Fragen und Anregungen an Tel. 0621 41052156 und E-Mail ermschel@dhbw-mannheim.de.

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