Umsatzsteuerbetrug: Eine Drohkulisse

Bereits vor rund zwei Jahren haben wir an dieser Stelle darüber berichtet, dass die Finanzverwaltung Kfz-Händlern ein sogenanntes "Merkblatt zur Umsatzsteuer: Beachtung des gemeinschaftsrechtlichen Missbrauchsverbots" gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt hat. Damit sollten steuerfreie Auslandslieferungen offenbar einem Generalverdacht von Umsatzsteuerbetrug unterworfen werden. Schon damals war klar, dass diese Auffassung dem Europarecht widerspricht. Dies hindert die Finanzverwaltung jedoch bis heute nicht daran, weiterhin mit diesem "Merkblatt" Druck auf Händler auszuüben. Dabei geht die Finanzverwaltung immer wieder nach dem gleichen Schema vor: Das Finanzamt bittet zum Termin Typischerweise meldet sich das Finanzamt, um sich mit dem Händler über grenzüberschreitenden Lieferverkehr zu unterhalten. Von Finanzamtsseite erscheinen dann in der Regel mehrere Vertreter, bevorzugt aus der Abteilung für Steuerfahndung. Im Gespräch wird der Händler dann "aktenkundig belehrt", dass die in dem Merkblatt aufgeführten Stichpunkte Hinweise auf Steuerhinterziehung darstellen. Obwohl häufig von Seiten der Finanzverwaltung ausgeführt wird, dass es eigentlich keinen konkreten Anlass gibt und der Händler im Prinzip auch alles tut, um möglichen Missbrauch bei steuerfreien Auslandsgeschäften zu vermeiden, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Händler durch die Belehrung zukünftig bösgläubig sein soll, falls sich z. B. ein Kunde doch als Betrüger herausstellen sollte. Als mögliche Konsequenzen werden die Versagung des Vorsteuerabzugs, die Versagung der Steuerfreiheit bei innergemeinschaftlichen Lieferungen oder auch die Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Umsatzsteuer geschildert. Kurzum: es wird eine Drohkulisse aufgebaut! Um es klarzustellen: Kein Händler will sich wissentlich an einem Steuerbetrug beteiligen. Insofern können konkrete Hinweise auf Steuerhinterziehung durchaus hilfreich sein, kritische Situationen zu vermeiden. Doch welche Anzeichen für "ungewöhnliche Geschäftsverhältnisse" führt die Finanzverwaltung eigentlich in ihrem Merkblatt auf? Bei einem Verkauf soll z. B. ungewöhnlich und damit kritisch sein, dass der Käufer ein neu gegründetes Unternehmen oder in der Branche unbekannt ist. Tatsächlich tätigen aber viele neu gegründete Unternehmen anfangs Investitionen in Firmenwagen oder andere Geschäftsausstattung, und das ist wirklich nicht ungewöhnlich. In einer europaweit zersplitterten Händlerschaft ist es zudem unmöglich, alle - insbesondere ausländische - Händler zu kennen. Auch Barzahlung oder Abholung durch einen Dritten sollen ungewöhnlich und damit kritisch sein. Dabei sind im Kfz-Handel erfahrungsgemäß Barzahlungen und die Abholung durch Speditionen oder andere Fahrer weit verbreitet. Bei einem Einkauf soll weiterhin ungewöhnlich und damit kritisch sein, dass ein Händler Ware angeboten bekommt, die er bereits schon einmal eingekauft hat. Dies mag zwar prinzipiell ein Anzeichen für Karussellgeschäfte sein. In der Kfz-Branche ist es aber keineswegs ungewöhnlich, dass ein Händler Fahrzeuge in Zahlung nimmt, welche er dem Vertragspartner zwei, drei Jahre vorher schon einmal verkauft hatte. Einordnung des Merkblatts Alles in allem führt die Finanzverwaltung so auf insgesamt zwei Seiten auf, was aus ihrer Sicht ungewöhnliche Umstände sein sollen. Diese Auflistung ist nicht per se sinnlos. Die dargestellten Punkte können gerade in ihrer Summe beispielsweise ungewöhnliche Umstände dahingehend darstellen, dass der liefernde Händler besondere Sorgfalt walten lassen muss, damit er bei steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen gegebenenfalls in den Genuss des gesetzlichen Vertrauensschutzes kommt. Einem Händler aufgrund der Kenntnis dieses Merkblatts jedoch Bösgläubigkeit zu unterstellen, falls dieser doch einem missing trader, also einem Betrüger in die Falle tappen sollte, geht viel zu weit! Denn was bedeutet dies? Für den Fall, dass ein Händler zukünftig doch einem Umsatzsteuerbetrüger aufsitzen sollte, unterstellt die Finanzverwaltung wohl, dass der Händler in Kenntnis des Merkblatts diesen Betrugsfall "bewusst in Kauf genommen" hat. Dies stellt jedoch strafrechtlich gesehen bedingten Vorsatz dar, also vorsätzliche Beihilfe zu einem Steuerbetrug, welcher zur Haftung für Umsatzsteuerbeträge führen kann. Allerdings kann es nicht angehen, dass die Finanzverwaltung solch ein bewusstes Inkaufnehmen bereits dann annimmt, wenn der inländische Verkäufer im Übrigen seinen nach den umsatzsteuerlichen Vorschriften zu führenden Buch- und Belegnachweis ordentlich erbringt. Ansonsten würde der innerhalb der EU gedachte freie Warenverkehr völlig auf den Kopf gestellt. Denn wie viele Fahrzeuge werden an zunächst unbekannte Händler verkauft? Wie viele Fahrzeuge werden an Händler veräußert, die keinen eigenen Internetauftritt haben oder in Zeiten von Online-Börsen nur über E-Mail und Handy erreichbar sind? Würden solche Kriterien wirklich bereits als sicheres Anzeichen für Steuerbetrug gelten, stünden eine ganze Reihe von Händlern bereits mit einem Bein im Gefängnis. Doch dies ist gerade nicht der Fall. Die von der Finanzverwaltung zusammengetragenen Punkte können nur allgemeine Hinweise zur Beachtung der Sorgfaltspflichten bei der Erbringung des Buch- und Belegnachweises von Auslandslieferungen sein. Der Vorsteuerabzug bzw. die Steuerfreiheit von Auslandslieferungen sind vielmehr von objektiven Tatsachen abhängig, die in dem Merkblatt aber überhaupt nicht thematisiert werden. Sowohl der Vorsteuerabzug als auch die Steuerfreiheit von Auslandslieferungen können nur dann versagt werden, wenn sich einem Händler anhand objektiv belegbarer und konkreter Anhaltspunkte aufdrängen musste, dass möglicherweise Steuerbetrug vorliegt und er keine aktiven Prüfmaßnahmen unternommen hat. Solch ein etwaiges Fehlverhalten muss jedoch von der Finanzverwaltung auch konkret nachgewiesen werden. Die Verlagerung der Nachweispflicht auf den Steuerpflichtigen, dass keine Anzeichen für mögliche Ungereimtheiten vorlagen, widerspricht eindeutig der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welcher die oberste Instanz in Umsatzsteuerfragen darstellt. Insofern kann man die Bestätigung über den Empfang des Merkblattes durchaus unterschreiben - eine gesetzliche Pflicht hierzu besteht sicherlich nicht - und die Hinweise im Merkblatt zur Überprüfung der internen Prozesse heranziehen. Ins Bockshorn jagen lassen sollte man sich jedoch nicht! Je nach Einzelfall kann die Finanzverwaltung schon pro-aktiv darauf hingewiesen werden, dass beim Händler bereits ein funktionierendes internes Tax Compliance System vorhanden ist, welches die gesetzlichen Pflichten beachtet und in welcher Weise die Auffassung der Finanzverwaltung der geltenden Rechtsprechung widerspricht. Des Weiteren kann sicherlich auch die Finanzverwaltung darum gebeten werden, ihr gegebenenfalls konkret bekannte Anhaltspunkte für Steuerbetrug mitzuteilen. Spätestens, wenn die Finanzverwaltung einem Händler aufgrund dessen Kenntnis des Merkblatts Beihilfe zu einem etwaigen Steuerbetrug unterstellt, sollte sich der Händler definitiv unter Hinweis auf die Rechtsprechung aktiv gegen diese Auffassung wehren. Es ist und bleibt vielmehr die Finanzverwaltung in der Verpflichtung, selbst Umsatzsteuerbetrüger zu ermitteln. Box Versal 1. Faire Hilfe der Finanzverwaltung bei der Vorbeugung von Umsatzsteuerbetrug ist allseits stets willkommen. Mit einer Drohkulisse Händler einzuschüchtern sowie vorbeugend Haftungspotenzial generieren zu wollen, ist jedoch kein faires Verhalten.2. Das Merkblatt der Finanzverwaltung gibt allenfalls Hinweise auf Anzeichen für besondere Sorgfaltspflichten bei der Erbringung von Buch- und Belegnachweisen bei Auslandslieferungen.3. Insbesondere ein von der Finanzverwaltung unterstellter Generalverdacht für Händler ist unzulässig - vielmehr tragen die Finanzbehörden auch weiterhin selbst die Darlegungs- und Feststellungslast für Betrug, sofern sich nicht dem Händler im Einzelfall ohne weitere Prüfungen konkrete Umstände für einen Betrug aufdrängen mussten. Kommentar ZAUBER, ISI, LUNA, OZEAN, USEG/USLO - die Finanzverwaltung baut inzwischen vielfältige Datenbanken auf, in denen Umsatzsteuerbetrugsfälle, deren Beteiligte, Briefkastenfirmen und sämtliche Auslandslieferungen registriert werden. Damit haben die Finanzbehörden ein riesiges Sammelsurium an konkreten Fakten über Personen und Firmen, die umsatzsteuerlich negativ aufgefallen sind.Doch anstatt allen Steuerpflichtigen Zugriff auf diese konkreten Daten zu gewähren, um so Betrug und kritische Geschäfte von vornherein zu verhindern, setzt die Finanzverwaltung lieber mit einem allgemeinen Merkblatt die liefernden Händler unter Druck, die in der Regel nicht im Zusammenhang mit Steuerbetrug auffällig geworden sind, ja, denen oftmals mündlich bestätigt wird, dass diese schon bisher alles getan haben, um möglichen Missbrauch unter Kunden bzw. Lieferanten zu entdecken und gegebenenfalls auszuschließen. Da stellt sich doch die Frage, ob dies wirklich der richtige Weg zur steuerlichen Missbrauchsbekämpfung ist?!Maximilian Appelt Rechtsanwalt Steuerberater www.raw-partner.de

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