Automobilvertrieb 2030: Händler müssen ihre Rolle kontinuierlich hinterfragen

Die in den AUTOHAUS-Ausgaben 16 bis 19/2019 erschienene Beitragsreihe zum Automobilvertrieb 2030 beinhaltet zurückliegende Entwicklungen sowie die Darstellung der aktuellen und künftigen Veränderungstreiber im Automobilvertrieb. Unter Einbezug von Top-Level Experten wurden drei Zukunftsszenarien modelliert und deren Eintrittswahrscheinlichkeit sowie deren Auswirkungen auf die Akteure des Automobilvertriebs bewertet. Die größte Eintrittswahrscheinlichkeit hat das "revolutionäre Szenario mit Herstellerdominanz". Entsprechend der Studie ist eine "Konservierung" der bestehenden Strukturen im Automobilvertrieb nicht zu erwarten. Die durchgeführte Auswirkungsanalyse zeigt darüber hinaus, dass mit zunehmender Veränderung zur heutigen Situation der Druck auf die Vertragshändler zunehmen wird. Veränderungsprozessen ausgesetzte Unternehmen stehen zwei grundsätzliche Strategien zur Auswahl. Einerseits können sie versuchen, die anstehenden Umbrüche aufzuhalten, andererseits steht eine Ausrichtung auf den sich abzeichnenden Wandel zur Option. Aufgrund der im Automobilvertrieb vorherrschenden Systemführerschaft des Automobilherstellers dürfte die Strategieoption "Gegenwehr" wohl nur von kurzem Erfolg gekrönt sein. Vielmehr sollten sich die Vertragshändler auf die sich abzeichnenden Entwicklungen vorbereiten und dementsprechende Anpassungen in ihrem Produkt- und Dienstleistungsspektrum in Betracht ziehen. Ebenso sind interne wie externe Prozesse weiterzuentwickeln, die Strukturen anzupassen und die eigene Rolle im Vertriebssystem kontinuierlich zu hinterfragen. Die folgenden Handlungsfelder stellen Schwerpunkte zur Ausrichtung der Vertragshändler auf den bevorstehenden Transformationsprozess dar. Erhöhung der digitalen Kompetenz bezüglich der Kundeninteraktion Entsprechend der empirischen Untersuchung wird sich die Anzahl der Kundenbesuche im Autohaus auf rund einen Besuch vor dem einzelnen Vertragsabschluss reduzieren. Anstelle der persönlich-physischen Kundenberatung treten zunehmend digitale Distanzkanäle zur Kundeninteraktion in den Mittelpunkt. Händler sind dazu angehalten, den gesamten Verkaufsprozess durchgängig mit Wechseloptionen zwischen persönlich-physischen und digitalen Elementen auszugestalten. Die beiden Varianten sind dabei nicht als Alternativen aufzufassen, sondern Kunden sollten zwischen allen Informations- und Kommunikationsoptionen selbstselektiv und barrierefrei wählen können. Partizipation an digitalen Ertragsquellen Im Umfeld des Connected Cars werden zunehmend weitere Wertschöpfungspotenziale durch die Vermarktung von Online-Diensten entstehen. Die Händler sind dazu angehalten, dieses Ertragsfeld nicht vollständig den Automobilherstellern zu überlassen. Zum einen muss die Vermarktung solcher Zusatzdienste durch Händler über geeignete Vergütungssysteme honoriert werden. Zum anderen sollten Handelsgruppen die Entwicklung eigener digitaler Services und Nachrüstlösungen in Betracht ziehen. Festigung einer Position im Onlinevertriebsprozess Eine zeitnahe Etablierung des Multikanalvertriebs ist zu erwarten. Einerseits sollten Handelsgruppen den Aufbau von eigenen und handelsgruppenübergreifenden E-Commerce-Plattformen in Betracht ziehen. Andererseits ist den Vertragshändlern zu raten, innerhalb von Online-Direktvertriebskonzepten der Hersteller die Rolle des Logistikpartners einzunehmen - zumindest aber die Fahrzeugübergabe an den Endkunden zu übernehmen. Die Übernahme dieser Rolle generiert Kundenkontakte und hält Chancen bereit, über die Kundenbindung in Service und Verkauf zusätzliche Erträge zu erwirtschaften. Aufbau von Big-Data-Kompetenz im Kundendatenmanagement Aufgrund der Besetzung der physischen Kundenschnittstelle verfügen die Akteure der Retail-Ebene über die Kundenbeziehung und somit auch über das Kundenvertrauen. Dieses Momentum öffnet den Vertragshändlern die Tür zu wertvollen Kundendaten. Diese Daten gilt es professionell auszuwerten und möglichst wertschöpfend einzusetzen. Sofern die notwendigen Berechtigungen seitens der Kunden vorliegen, könnten Datensätze auch an Dritte vermarktet werden, wodurch ein zusätzliches Ertragsfeld im Automobilhandel erschlossen werden könnte. Von einer Übergabe der Kundendatenhoheit an die Herstellerebene ist aus Händlerperspektive abzuraten. Ausbau der Kompetenzen im Bereich alternativer Antriebskonzepte Wie die Untersuchung aufdeckt, zeigt der Einsatz des Online-Direktvertriebskanals eine besonders große Anwendungswahrscheinlichkeit innerhalb der Vermarktung von alternativ angetriebenen Fahrzeugen. Um einer derartigen Situation entgegenzuwirken, sollten sich die Handelspartner umfangreiche Kompetenzen in diesem Bereich aneignen. Zusätzlich sollten die Vertragshändler die Vermarktung von komplementären Produkten und Dienstleistungen bezüglich der Fahrzeuge mit alternativen Antrieben vorantreiben. Fazit Zusammengefasst sind die Vertragshändler dazu angehalten, die eigene Rolle im automobilen Vertriebssystem kontinuierlich zu hinterfragen. Die Daseinsberechtigung ist so lange gegeben, solange diese Leistungen anbieten oder Funktionen ausüben, die von anderen Akteuren nicht oder nicht zu vergleichbaren Konditionen angeboten werden können. Daneben sind Vertragshändler und Automobilhersteller gleichermaßen dazu gezwungen, die Entwicklungen der innerhalb des Beitrages in AUTOHAUS 19/2019 dargestellten Störfaktoren aufmerksam zu verfolgen. Bei einem sich abzeichnenden Einritt eines derartigen Störfaktors sollten die betroffenen Marktakteure auch über die rechtzeitige Einlenkung einer Exit-Strategie nachdenken. Dr. Benedikt Maier forscht seit 2013 am Institut für Automobilwirtschaft (IfA) in Geislingen und ist seit 2018 Mitglied der Institutsleitung. Handlungsempfehlungen Für Vertragshändler - Erhöhung der digitalen Kompetenz hinsichtlich der Kundeninteraktion- Partizipation an digitalen Ertragsquellen im Umfeld des Connected Car- Festigung einer Position im Onlinevertriebsprozess mit Definition entsprechender Vergütungselemente bezüglich der erbrachten Dienstleistungen- Aufbau/Erweiterung von Big-Data-Kompetenzen im Kundendatenmanagement- Positionierung als Produktspezialist und Dienstleister mit maximaler Kundenorientierung- Ausbau der Kompetenzen im Bereich alternativer Antriebskonzepte- Stetige Verfolgung der Entwicklungen bezüglich relevanter Störfaktoren mit Einbezug möglicher Handlungsalternativen: Fusion oder auch Exit- Aufrechterhaltung von Autohaus-Strukturen zur Bespielung des physischen Customer Touch Points- Sicherstellung weitreichender Datenzugriffsmöglichkeiten auf Fahrzeug- und Kundendaten- Kontinuierliche Hinterfragung der eigenen Rolle im System und Suche nach dem unersetzbaren Mehrwert Artikel-Serie Veröffentlichungsreihe mit Auszügen aus der Dissertation von Benedikt Maier:1. Strukturen im Automobilvertrieb: Rückblick und Status quo (AH 16/2019)2. Zukunftsszenarien: Veränderungstreiber und mögliche Auswirkungen (AH 17/2019)3. Störfaktoren - die großen Unbekannten in Zukunftsprognosen (AH 19/2019)4. Gestaltungsempfehlungen für die Akteure des Automobilvertriebs

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