Gesetz zum automatisierten Fahren: Mobilität 4.0

Am 16.09.2015 beschloss das Bundeskabinett die von Bundesverkehrsminister Dobrindt vorgelegte "Strategie automatisiertes und vernetztes Verfahren". Der Bundesverkehrsminister erklärte bei der Vorstellung des Papiers, Deutschland habe eine umfassende Strategie für das automatisierte und vernetzte Verfahren entwickelt. Es würden alle relevanten Handlungsfelder berücksichtigt, um das automatisierte und vernetzte Verfahren auf die Straße zu bringen - von Recht über Infrastruktur bis Datenschutz. Die deutsche Erfolgsgeschichte beim Automobil solle digital fortgeschrieben und die Wachstums- und Wohlstandschancen der "Mobilität 4.0" genutzt werden. Ziel sei es, dass Deutschland Leitanbieter für automatisierte und vernetzte Fahrzeuge sei und zum Leitmarkt werde. Das Strategiepapier wiederum ist Ergebnis der Tätigkeit der Arbeitsgruppe Forschung des vom Bundesverkehrsministerium einberufenen "Runden Tisches automatisiertes Fahren". Auf der Grundlage des Strategiepapiers wurde ein Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes erarbeitet mit dem Ziel der Implementierung der für das automatisierte Fahren erforderlichen gesetzlichen Regelungen. Der Gesetzentwurf wurde nach entsprechenden Ergänzungen vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats im Juni 2017 beschlossen. Ein rechtlicher Rahmen für das automatisierte Verfahren liegt somit vor. Definition automatisiertes Fahren Zu betonen ist, dass das Änderungsgesetz nicht das eigentliche "autonome" Fahren betrifft, bei welchem der Fahrzeuginsasse bloßer Passagier ist und das Fahrzeug die Fahrtstrecke vom Ausgangspunkt bis zum Endpunkt ohne jeglichen Eingriff und ohne jegliche Überwachung durch die Fahrzeuginsassen zurücklegt. Für das tatsächlich autonome Fahren existiert ein Rechtsrahmen daher (noch) nicht. Das Änderungsgesetz betrifft vielmehr das "hochautomatisierte Fahren" und das "vollautomatisierte Fahren". Die diesbezüglichen Begrifflichkeiten wurden vom "Runden Tisch automatisiertes Fahren" definiert und zunächst im Strategiepapier des Bundesverkehrsministeriums übernommen. Fahrzeuge mit hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion müssen nach dem Änderungsgesetz - in der Lage sein, die Fahraufgaben einschließlich Längs- und Querführung zu steuern, - in der Lage sein, den an den Fahrzeugführer gerichteten Verkehrsvorschriften zu entsprechen, - jederzeit durch den Fahrzeugführer manuell übersteuerbar oder deaktivierbar sein, - erkennen können, dass aufgrund einer eingetretenen Situation die eigenhändige Fahrzeugsteuerung durch den Fahrzeugführer erforderlich ist, - in der Lage sein, dem Fahrzeugführer das Erfordernis der eigenhändigen Fahrzeugsteuerung mit ausreichender Zeitreserve anzuzeigen und - eine Fahrzeugverwendung kenntlich machen, die der Systembeschreibung zuwiderläuft. Der Unterschied zwischen hochautomatisiertem Fahren und vollautomatisiertem Fahren besteht darin, dass bei Ersterem das Fahrzeug die Links- und Querführung nur für einen gewissen Zeitraum oder für spezifische Situationen übernimmt und der Fahrer das System nicht dauerhaft überwachen muss. Er muss allerdings immer in der Lage sein, die Fahraufgaben nach Aufforderung vollständig und sicher wieder zu übernehmen. Bei vollautomatisierter Fahrfunktion übernimmt das System die Fahrzeugführung in einem vom Fahrzeugführer vorgegebenen Anwendungsfall (beispielsweise für die Dauer einer Autobahnfahrt) vollständig und bewältigt alle damit verbundenen Situationen automatisch. Rechte und Pflichten Nach dem Änderungsgesetz hat der Fahrzeugführer bei eingeschalteter hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion das Recht, sich vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abzuwenden. Bundesverkehrsminister Dobrindt äußerte hierzu, der Fahrer dürfe während der hochautomatisierten Fahrt die Hände vom Lenker nehmen, um etwa im Internet zu surfen oder E-Mails zu checken. Allerdings muss der Fahrer nach dem Gesetz "derart wahrnehmungsbereit" bleiben, dass er seinen gesetzlich vorgegebenen Pflichten jederzeit nachkommen kann. Verpflichtend muss der Fahrzeugführer die Fahrzeugsteuerung zum einen unverzüglich wieder übernehmen, wenn das hoch- oder vollautomatisierte System ihn dazu auffordert. Zum anderen muss er die Fahrzeugsteuerung wieder übernehmen, wenn er erkennt oder "aufgrund offensichtlicher Umstände erkennen muss", dass die "Voraussetzungen für eine bestimmungsgemäße Verwendung" der automatisierten Fahrzeugfunktionen nicht mehr vorliegen. Nicht definiert wird durch das Gesetz, was "offensichtliche Umstände" oder "Voraussetzungen für eine bestimmungsgemäße Verwendung" sind. Über die Ausfüllung dieser Begriffe wird die Rechtsprechung zu gegebener Zeit anhand der jeweiligen Einzelfälle zu entscheiden haben. Haftung Geschieht ein Unfall während des eingeschalteten automatisierten Fahrbetriebs, stellt sich die Frage nach der Haftung. Denkbare Beteiligte bzw. Verantwortliche eines Verkehrsunfalls können sein der Halter, der Eigentümer, der Fahrer sowie der Hersteller. Grundsätzlich bestimmt das Gesetz in § 7 Abs. 1 StVG die umfängliche Haftung des Halters. Diese Ersatzpflicht ist nur im Ausnahmefall ausgeschlossen, insbesondere im Fall des so genannten "unabwendbaren Ereignisses". Die Halterhaftung ist eine so genannte "Gefährdungshaftung": Die Haftung tritt allein deshalb ein, weil ein gefährlicher Gegenstand in Verkehr gebracht wird. Auch die den Hersteller treffende Produkthaftung ist eine solche Gefährdungshaftung. Kommt es nun während des zulässigen Betriebs des hoch- oder vollautomatisierten Fahrens zum Unfall, liegt es auf der Hand, dass der Unfall dem (sodann) fehlerhaften System zuzuschreiben ist und die Produkthaftung des Herstellers greift. Voraussetzung ist allerdings, dass im Fahrzeug ein funktionierender Unfalldatenschreiber verbaut ist, so dass der Nachweis geführt werden kann, dass das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt im hoch- bzw. vollautomatisierten Fahrbetrieb war und damit ein schuldhaftes Verhalten des Fahrers (dann Regulierung nach Grundsätzen der Verschuldenshaftung) nicht in Betracht kommt. Datenschutz Das Änderungsgesetz schreibt vor, dass Positions- und Zeitangaben gespeichert werden, wenn ein Wechsel der Fahrzeugsteuerung zwischen Fahrzeugführer und dem hoch- oder vollautomatisierten System erfolgt. Eine Speicherung wird ebenfalls vorgenommen, wenn der Fahrzeugführer durch das System aufgefordert wird, die Fahrzeugsteuerung zu übernehmen, oder eine technische Störung des Systems auftritt. Die gespeicherten Daten dürfen an die zuständigen Behörden übermittelt und dort gespeichert und genutzt werden. Der Fahrzeughalter hat die Übermittlung der erfassten Daten an Dritte zu veranlassen, wenn aufgrund eines Schadensereignisses Rechtsansprüche geltend gemacht werden. Die Daten sind nach längstens 3 Jahren zu löschen. Die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Ethikkommission zum autonomen Fahren unter dem Vorsitz des ehemaligen Verfassungsrichters Udo Di Fabio warnt vor einer überbordenden Überwachung und hat im Juni 2017 20 bedenkenswerte ethische Regeln für den automatisierten und vernetzten Fahrzeugverkehr veröffentlicht, zu finden auf der Internetseite des Bundesverkehrsministeriums. Kurzfassung 1. Mit dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 16.06.2017 wurden erste rechtliche Rahmenbedingungen für das automatisierte Fahren geschaffen. Das Änderungsgesetz betrifft das "hochautomatisierte" Fahren und das "vollautomatisierte" Fahren, nicht jedoch das eigentliche "autonome" Fahren.2. Beim hoch- bzw. vollautomatisierten Fahrbetrieb ist der Fahrzeugführer gemäß Änderungsgesetz verpflichtet, die Fahrzeugsteuerung unverzüglich wieder zu übernehmen, wenn ihn das System dazu auffordert oder wenn er erkennt oder erkennen muss, dass die Voraussetzungen für eine Anwendung der automatisierten Fahrfunktionen nicht mehr vorliegen.3. Kommt es während des zulässigen Betriebs des hoch- oder vollautomatisierten Systems zum Unfall, wird in der Regel die Produkthaftung des Herstellers greifen. Voraussetzung ist, dass im Fahrzeug ein funktionierender Unfalldatenschreiber verbaut ist und damit der Nachweis geführt werden kann, dass das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt im automatisierten Fahrbetrieb war.4. Gemäß Änderungsgesetz sind Positions- und Zeitangaben zu speichern, wenn ein Wechsel der Fahrzeugsteuerung zwischen Fahrzeugführer und dem automatisierten System erfolgt. Eine Speicherung wird ebenfalls vorgenommen, wenn der Fahrzeugführer durch das System aufgefordert wird, die Fahrzeugsteuerung zu übernehmen, oder eine technische Störung des Systems auftritt. Kommentar Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat das automatisierte Fahren als "größte Mobilitätsrevolution seit Erfindung des Automobils" bezeichnet. Auch wenn noch vielfache Probleme zu bewältigen sind, so schreitet doch die technische Entwicklung unaufhaltsam voran. Die Automobilhersteller sind sich letztlich darin einig, dass den automatisierten und in späterer Folge den autonomen Fahrzeugsystemen die Zukunft gehört. Das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes stellt in rechtlicher Hinsicht nur einen vorgreiflichen ersten und zukunftsorientierten Schritt dar, nachdem alltagstaugliche Serienfahrzeuge auf absehbare Zeit noch nicht zur Verfügung stehen. Das Änderungsgesetz ist bestimmungsgemäß im Jahr 2020 auf wissenschaftlicher Grundlage zu evaluieren. Es darf damit gerechnet werden, dass die Evaluierung insbesondere im Hinblick auf die technische und wohl auch politische Entwicklung Nachbesserungen erfahren wird.Rechtsanwalt Rainer Bopp

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