Ford-Zukunftsplan: Agenturgeschäft und neue Modelle

Seit Januar 2022 steht Dr. Christian Weingärtner an der Spitze von Ford Deutschland. Sein Zukunftsplan besteht aus fünf Punkten: 1. Vollgas bei Elektrifizierung, 2. Im Nutzfahrzeuggeschäft wachsen, 3. Im Pkw-Geschäft fokussieren auf Freiheit und Abenteuer, 4. Digitalisierung, 5. Modernisierung der Strukturen. Die Details erklärt er im Interview. AH: Ford hat vor Kurzem angekündigt, bis 2024 drei neue Elektro-Pkw und vier neue Elektro-Nutzfahrzeuge in Europa einzuführen. Ab 2026 sollen jährlich mehr als 600.000 Elektrofahrzeuge in Europa verkauft werden. Wie viele davon in Deutschland? Und zum Vergleich: Wie viele waren es 2021? Ch. Weingärtner: 2021 war unsere Elektroreichweite noch relativ überschaubar. Wir haben den Mach-E im letzten Jahr verkauft - in einer vierstelligen Anzahl. Wir wissen, dass die Zahlen rapide nach oben gehen werden, sowohl was das Angebot als auch was die Nachfrage auf Kundenseite angeht. Unser Anteil an den europäischen Verkäufen von Ford lag immer zwischen 20 und 25 Prozent. Mit dieser Größenordnung rechnen wir auch bei den Elektroverkäufen. Wahrscheinlich eher am oberen Ende, weil Deutschland in Sachen Elektrifizierung zu den Vorreitern gehört. Breites Elektroangebot AH: Welche Modelle dürfen die Händler in welchem Zeitraum in Deutschland erwarten? Ch. Weingärtner: Wir erwarten sehr spannende Modelle. Beim Thema Nutzfahrzeuge zum Beispiel sind wir als Marke Ford sehr stark. In den letzten zehn Jahren konnten wir unseren Marktanteil in Europa nahezu verdoppeln. Sowohl mit dem Transit als auch mit dem Ranger sind wir die Nummer 1 in Europa. In Deutschland ist das noch nicht der Fall, aktuell sind wir die Nummer 3. Hier werden wir in den nächsten Jahren Gas geben, um uns weiter nach vorne zu arbeiten. Elektrifizierung ist da ein wichtiger Baustein, weil die Kundennachfrage nach elektrifizierten Nutzfahrzeugen sehr stark steigt. In diesem Jahr bringen wir mit dem E-Transit ein hervorragendes Produkt. Bis 2024 werden wir dann ein sehr breites und starkes Elektroangebot in den verschiedenen Segmenten leichter Nutzfahrzeuge haben. Im Pkw-Bereich haben wir eine andere Ausgangssituation. Wir haben ungefähr einen Marktanteil von sechs Prozent und sind damit deutlich kleiner in Europa als die großen Europäischen Autokonzerne. Deswegen wird unsere künftige Markenausrichtung deutlich klarer, pointierter und vielleicht auch etwas polarisierender werden. Wir werden eine selbstbewusste Marke sein, um gegen andere Marken in Europa erfolgreich bestehen zu können. AH: Welche Pkw-Modelle kommen? Ch. Weingärtner: Wir haben angekündigt, dass wir im nächsten Jahr einen vollelektrischen Sport Crossover und ab 2024 ein zweites vollelektrisches Fahrzeug in unserem Werk in Köln produzieren werden. Beide Fahrzeuge werden im Crossover SUV-Segment angesiedelt sein. In 2024 werden wir auch den Puma als BEV (rein elektrisches Fahrzeug, Anm. d. Redaktion) einführen. Zusammen mit dem Mach-E werden wir dann vier vollelektrische Pkw im Markt haben. Freiheit und Abenteuer AH: Und welche fallen dafür weg? Ch. Weingärtner: Ich möchte hier nicht über einzelne Modelle sprechen. Aber wenn Sie sich unsere Ausrichtung anschauen, wird klar: Was sind wir denn? Wir sind der einzig verbliebene wirklich relevante amerikanische Hersteller auf europäischem Boden. Woran denkt man, wenn man an das gute Amerika denkt? Das sind Begriffe wie Freiheit und Abenteuer. Wenn man sich unsere Produkte anschaut, die global erfolgreich sind, sind es die Produkte, die genau diese Werte verkörpern. Und in genau diese Richtung werden unsere Produkte in Zukunft stärker positioniert sein. AH: Wird es künftig E-Kleinwagen geben? Ch. Weingärtner: Ja, mit dem Puma sind wir in diesem Bereich vertreten. Der Puma verkörpert im Übrigen sehr schön unsere Linie. Er ist ein sehr ausdrucksstarkes Produkt, wenn man ihn mit dem Wettbewerb vergleicht. Generell kann konsequentes Design auch polarisieren. Diese Diskussion müssen wir aushalten und zulassen, wenn wir als Marke für etwas stehen wollen. AH: Welche Fahrzeuge werden aus der Kooperation mit Volkswagen kommen und welche werden Eigenentwicklungen sein? Ch. Weingärtner: Die Fahrzeuge werden alle Eigenentwicklungen sein. Auch diejenigen, die aus unserer Kooperation mit Volkswagen kommen. Alles was oben draufkommt, kommt von Ford. Was auf einer Plattform sitzt, kann durchaus sehr unterschiedlich sein. Der Bronco Sport zum Beispiel in USA und unser Kuga sitzen auf der gleichen Plattform. Das würde man nicht vermuten. Der Puma BEV wird wie der Mach-E auf einer eigenen Ford-Plattform stehen. Online und Offline AH: In der Branche wird derzeit viel über Online-Vertrieb gesprochen. Wo steht Ford und was sind die nächsten Schritte? Ch. Weingärtner: Der Online-Vertrieb ist eine wichtige Säule für die Zukunft. Unsere Kunden haben heute schon die Möglichkeit zum Online-Kauf, zum Beispiel beim Mach-E. Wir werden diesen Vertriebskanal mit Sicherheit in der Zukunft ausbauen, damit die Kunden immer da kaufen können, wo sie gerne wollen. Aber wir machen nicht Online statt Offline, sondern Online und Offline. AH: Wie wird der Handel zukünftig in den Online-Vertrieb eingebunden sein? Ch. Weingärtner: Ganz stark. Die Autos werden nicht einfacher, sondern eher komplexer, zum Beispiel in der Konnektivität usw. Es wird einen eher zunehmenden Beratungsbedarf geben und diese Dienstleistung wird auch der Handel mit übernehmen. Ob der Kunde am Ende den Kaufvertrag online oder im Autohaus schließt, ist gar nicht so wichtig, weil der Handel weiterhin eine wichtige Rolle in der Kundenbeziehung spielen wird. Handel auch in Zukunft wichtig AH: Und bekommt er auch die gleiche Vergütung dafür? Ch. Weingärtner: Es gibt doch schon sehr lange eine Mischung aus Online und Offline. Es gibt kaum noch Kunden, die ins Autohaus gehen, ohne vorher online zu schauen. Ich bin mir nicht so sicher, ob es am Ende einen Unterschied macht, ob der Kunde beim Kauf online klickt oder eben im Autohaus unterschreibt. Die Frage ist für mich viel eher, wo wird bis dahin welche Leistung für den Kunden erbracht. Dann muss diese Leistung auch vergütet werden. Das heißt, dass wir aufgrund des Online-Vertriebs unser Netz nicht radikal reduzieren wollen. Wir haben sehr passionierte Händlerpartner und die wollen wir auch behalten. Ich habe am 10. Januar angefangen und in den ersten fünf Wochen zusammen mit meiner Führungsmannschaft einen Zukunftsplan erstellt, wie es mit der Marke Ford in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den nächsten Jahren weitergeht und wo wir hinwollen. Dieser Plan ist eng verknüpft mit der Europastrategie, aber auf unsere drei Märkte zugeschnitten. Wir haben uns danach drei Wochen Zeit genommen, um mit dem Handel darüber zu diskutieren. In 27 Veranstaltungen, die im Schnitt vier Stunden gedauert haben, haben wir in Klassenzimmergröße mit dem Handel diesen Zukunftsplan ausführlich diskutiert. Ich glaube fest, dass der Handel auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielt und wir nur gemeinsam erfolgreich sein können. Agenturmodell AH: Aber es wird eine Kündigung mit einem neuen Vertrag geben? Ch. Weingärtner: Ein Teil des Zukunftsplans ist, dass wir unsere Strukturen modernisieren wollen. Wie andere Hersteller auch, wollen wir als Ford in Europa in Richtung eines Agenturmodells gehen. Allerdings - und das ist mir ganz wichtig - wir werden das anders machen als andere Hersteller. Wir werden nicht zuerst die Verträge kündigen und dann die Diskussion mit den Handelspartnern aufnehmen, sondern wir machen das genau andersherum. Direkt nach der Regionaltour haben wir das Gespräch mit unserem Partnerverband und Vertretern der Handelsorganisation aufgenommen und erarbeiten nun gemeinsam, wie ein Vertriebsmodell der Zukunft aussehen wird - und wie der Übergang in ein Agenturmodell funktionieren kann. Das werden wir jetzt mit den Handelspartnern gemeinsam erarbeiten. Erst wenn die Eckpunkte des künftigen Vertriebsmodells stehen, werden wir kündigen, weil wir einen gemeinsamen zeitlichen Endpunkt brauchen. Die Händler werden vorher sehr genau wissen, wie das künftige Vertriebsmodell aussieht. Kündigung erst später AH: Was für einen Zeithorizont haben Sie sich da vorgenommen? Ch. Weingärtner: Wir werden uns in diesem Jahr intensiv austauschen. Ich erwarte, dass wir im nächsten Jahr so weit sind, die Händlerverträge zu kündigen. Dann haben wir noch eine Frist von mindestens zwei Jahren, um gemeinsam in das neue Modell zu gehen. AH: Sie hatten bereits eine leistungsbasierte Vergütung angedeutet. Ist die Bezahlung nach einzelnen Leistungen eine Überlegung? Ch. Weingärtner: Ich möchte nicht vorgreifen, was wir mit den Handelspartnern gemeinsam erarbeiten. Von zunehmender Digitalisierung und den Vorteilen des Onlinehandels müssen am Ende alle profitieren, sonst wird es schwierig. Wir haben da beide große Chancen, weil Online große Vorteile hat, zum Beispiel kostengünstiger als Offline ist, denken Sie nur an Bau, Steine, Erden. Es wird nur gemeinsam gehen, es muss fair sein und es braucht gewisse Übergangszeiten, damit sich jeder Betrieb darauf einstellen kann. Standards hinterfragen AH: Bau, Steine, Erden ist das Stichwort. Werden Sie die Standards absenken? Ch. Weingärtner: Ich glaube, dass man sich das Thema Standards in Summe anschauen muss, wenn man in ein neues Vertriebsmodell geht - sowohl langfristig als auch kurzfristig in Zeiten der Krise. Man darf nicht immer nur Neues hinzufügen, sondern bewusst auch mal etwas hinterfragen und gegebenenfalls weglassen. Sonst wird es immer komplizierter. AH: Und was plant Ford für die sogenannten "Functions on demand"? Wie wird der Handel da eingebunden sein? Ch. Weingärtner: Natürlich werden Functions on demand eine immer größere Rolle spielen. Ich glaube nur, wir sollten nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen. Stand heute kenne ich nur sehr, sehr wenig Beispiele, wo diese Functions on demand wirklich substantiell Umsatz generieren. Ich weiß, dass das eine große Rolle spielen kann, aber da sind noch grundlegende Fragen zu lösen. Es ist nicht sehr sinnvoll, alle Technik in jedem Auto zu verbauen, um dann bestimmte Funktionen zum Beispiel für einzelne Wochenenden freischalten zu können. Dann muss immer das top ausgestattete Fahrzeug ausgeliefert werden, auch wenn der Kunde nur das Einstiegsmodell will. Die Hoffnung, dass er vielleicht mal für ein Wochenende 30 PS mehr freischaltet, ist kein wirklich guter Business Case. Was wir jetzt machen wollen, ist mit Online unser Offline-Geschäft stärken. Wir haben ein großes Potenzial, auf Basis von Daten und Online-Tools unser Kerngeschäft zu stärken. Zum Beispiel indem wir eine bessere Kundenbindung hinbekommen, weil wir unsere Kunden besser kennen. Oder indem wir die Fahrzeuge besser kennen, weil wir durch die Daten des Modems wissen, wie es dem Fahrzeug "gesundheitlich" geht und wann es in die Werkstatt muss usw. Alles selbstverständlich unter Beachtung des Datenschutzes. Dieses Potenzial haben wir noch nicht im Entferntesten ausgeschöpft. Das wollen wir zuerst machen, um mehr Geschäft für uns als Hersteller und den Handel zu generieren. Unterstützung für den Handel AH: Stuart Rowley sprach in seiner Präsentation Mitte März davon, dass der Handel unterstützt werden sollte. Was planen Sie da? Ch. Weingärtner: Wir planen viele Maßnahmen, um den Handel zu unterstützen. Unser Angebot an den Handel auf der Regionaltour war, dass wir ihn ganz konkret mit einem Team unterstützen, das sich nur mit dem Thema "Transformation im Handel" beschäftigt. Es soll als Service-Provider für die Händler da sein, um gemeinsam mit den Händlern einen Zukunftsplan zu schreiben. Da geht es um viele Themen: Elektrifizierung, Digitalisierung, welche Mitarbeiterprofile braucht man usw. AH: Wie muss man sich das praktisch vorstellen? Ch. Weingärtner: Das Team besteht aus einer niedrigen zweistelligen Anzahl von Praktikern, die selbst schon im Außendienst waren oder zum Beispiel als Betriebsberater die Zahlenwerke kennen. Diese Kollegen werden auf die Handelspartner zugehen und ihre Beratung anbieten. Die Händler sind selbstständige Unternehmer und müssen das Angebot nicht annehmen. Es wird immer Aufgabe des Unternehmers sein, sich selbst Gedanken zu machen, wie der eigene Betrieb für die Zukunft aufgestellt werden soll. Aber wir werden unsere Zahlen, Daten, Fakten bereitstellen und einzelne Maßnahmen als Hersteller unterstützen. Bei übergreifenden Themen wollen wir als Hersteller helfen, zum Beispiel wenn es darum geht, qualifiziertes Personal zu suchen oder zu halten. Die Beratung ist für den Händler kostenfrei. Denn ich glaube, wir werden nur dann richtig schlagkräftig, wenn wir alle in die gleiche Richtung laufen. Und genau dafür haben wir unseren Zukunftsplan geschrieben und mit dem Handel geteilt. AH: Vielen Dank für das Gespräch! Kurzfassung Ford organisiert seine Vertriebsstruktur neu. Es soll ein Agenturmodell geben. Die Kündigung der Händlerverträge ist aber erst geplant, wenn die Eckpunkte des künftigen Vertriebsmodells feststehen. Dr. Christian Weingärtner Dr. Christian Weingärtner ist seit 1. Februar 2022 Geschäftsführer Marketing und Verkauf der Ford-Werke GmbH sowie seit dem 1. Januar 2022 Geschäftsführender Direktor für Ford Deutschland, Österreich und Schweiz. Bereits in den vergangenen zwei Jahren war er bei Ford Europa für Strategie und Transformation zuständig. Er kommt von Boston Consulting.

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