Abgasmanipulation: BGH urteilt zum Thermofenster

Für die Händler besitzt die Thematik der Dieselverfahren weiterhin Relevanz im Bereich eigener Sachmängelhaftung und im Bereich der Prozessverfahren, in denen sie neben den Herstellern auf Rückabwicklung und Schadenersatz in Anspruch genommen werden mit der (unzutreffenden) Behauptung, sie müssten sich als Teil des Vertriebssystems unlauteres Handeln des Herstellers per se zurechnen lassen. Die Bestimmung der eigenen Rechtsposition ist zum Teil auch davon abhängig, welche Ansprüche die Gerichte den Kunden gegen den Hersteller geben. Im Fokus der Dieselprozesse steht bekanntlich seit Längerem nicht mehr nur VW. Für die dort zum Einsatz gelangte "Umschaltlogik" hatte sich der BGH insbesondere mit seinem Urteil vom 25.5.2020 (Az. VI ZR 252/19) ja bereits klar positioniert und entschieden, dass bei Erschleichen der Typ-Genehmigung durch arglistige Täuschung der Behörden mit dem Vertrieb der betroffenen Fahrzeuge die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausgenutzt wird, gleichbedeutend einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Käufer mit hieraus resultierenden Schadensersatzansprüchen. Nunmehr mussten sich dieselben Richter mit der Frage befassen, unter welchen Voraussetzungen auch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionssystems ("Thermofenster") mit Reduzierung der Abgasrückführung bei kühleren Außentemperaturen als sittenwidrig zu beurteilen ist und Schadensersatzansprüche auslösen kann. Streitgegenständlich geht es um einen Mercedes C 220 CDI mit Erstzulassung 2012 und einem Dieselmotor der Baureihe OM 651. In den Vorinstanzen war der Kläger mit seinem Rückabwicklungsverlangen gescheitert. Mit Beschluss vom 19.1.2021 (Az. VI ZR 433/19) hob der BGH das Berufungsurteil allerdings wegen unzureichender Sachaufklärung auf und verwies den Rechtsstreit mit Vorgabe seiner Einwertung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung nochmals an das OLG Köln zurück. Der Fall Im Januar 2019 kaufte der Kläger von der Beklagten einen neuen Mercedes C 220 CDI für 32.106,20 Euro. Unter Abzug einer Nutzungsentschädigung verlangt der Kläger mit seiner 2018 eingereichten Klage eine Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 22.208,71 Euro bei Rücknahme des Fahrzeuges. Unstreitig wird bei dem im Fahrzeug verbauten Motor OM 651 bei kühleren Außentemperaturen die Abgasrückführung reduziert, sodass die Stickstoffemissionen ansteigen. Nach Vortrag des Klägers geschieht dies bei Temperaturen unter 10 °C stufenweise bis zur völligen Abschaltung. Eine solche bewusste Ausstattung der Motoren mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung habe der Hersteller dem KBA gezielt vorenthalten und verschleiert. Zur Vermeidung einer Rückrufaktion seien in Anbetracht staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen freiwillige Servicemaßnahmen massiv ausgeweitet worden. Konkretisierend hatte der Kläger in der Berufungsinstanz nachgetragen, Daimler habe im Typ-Genehmigungsverfahren unzutreffende, jedenfalls aber unvollständige Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht. Insbesondere sei im Zulassungsantrag nur die Ladelufttemperatur als Parameter angegeben worden, der die Abgasrückführung beeinflusst. Mit einem in der Berufungsverhandlung nachgelassenen Schriftsatz legte der Kläger einen Typ-Genehmigungsbogen für ein vergleichbares Fahrzeug vor, in dem ohne Angabe einer temperaturabhängig gesteuerten Änderung des Emissionsverhaltens lediglich vermerkt ist, die Abgasrückführung sei "kennfeldgesteuert". OLG Köln Nach klageabweisendem Urteil des LG Köln (Az. 8 O 85/18) wies das OLG mit nicht veröffentlichter Entscheidung vom 27.9.2019 (Az. 6 U 57/19) die Berufung des Klägers zurück. Vertragliche Ansprüche waren verjährt und andere Ansprüche, insbesondere aus § 826 BGB wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung, wurden abgelehnt. Das OLG konnte in Bezug auf ein sittenwidriges Handeln bereits keinen Vorsatz der Beklagten erkennen. Allein aus dem bloßen Vorhandensein einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug ergäbe sich weder der erforderliche Schädigungsvorsatz der Beklagten noch die Verwerflichkeit ihres Verhaltens. Die Gesetzeslage sei hinsichtlich der Zulässigkeit von Thermofenstern nicht eindeutig. Die Motorsteuerungssoftware arbeite hinsichtlich des Thermofensters ohne Unterschied zwischen normalem Fahrbetrieb und dem Prüfstand und Gesichtspunkte des Motor- bzw. Bauteilschutzes könnten als Rechtfertigungsgrund ernsthaft erwogen worden sein. Es bedürfe daher konkreter Anhaltspunkte, um zu unterstellen, dass die Verantwortlichen der Beklagten im Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes handelten und dies billigend in Kauf nahmen. Der Vortrag des Klägers in der Berufungsinstanz, dass die Beklagte zur Erlangung der Typ-Genehmigung unzutreffende bzw. unvollständige Angaben gemacht habe, wurde als verspätet beurteilt und blieb unberücksichtigt. Die Revision wurde nicht zugelassen. Der BGH Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hob der bereits zuvor mit den VW-Dieselfällen befasste VI. Senat die Entscheidung des OLG wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück an das Berufungsgericht. Dies mit der Vorgabe, dass der Vortrag des Klägers zu Unregelmäßigkeiten bei der Erlangung der Typ-Genehmigung entscheidungserheblich sein kann und jedenfalls prozessual abzuklären gewesen wäre, gegebenenfalls durch Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung. Auch für viele andere Verfahren maßgeblich bestätigte der BGH aber ausdrücklich die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass die Entwicklung und der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) für sich genommen nicht ausreicht, um einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung zu begründen. Dabei unterstellt der BGH ausdrücklich, dass es sich nach dem Urteil des EuGH vom 17.12.2020 (Aktenzeichen C 693-18; ausführlich besprochen in AUTOHAUS Heft 1-2/21) um eine gesetzlich unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der EU-Verordnung 715/2007 handelt. Über die Absicht eines gewinnoptimierenden Einsatzes hinaus muss der Kläger nach Ansicht des BGH weitere Umstände vortragen und nachweisen, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Im Fall der "Umschaltlogik" lag die besondere Verwerflichkeit in der Entscheidung, von der Einhaltung der vorgegebenen Emissionsgrenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem KBA zur Erlangung der Typ-Genehmigung eine solche Einhaltung der Grenzwerte vorzutäuschen durch Einsatz einer besonderen Motorsteuerungssoftware ausschließlich für den Testbetrieb. Auf das "Thermofenster" lässt sich dies nicht übertragen, da hier zur Einhaltung der Euro-Normwerte im Testbetrieb keine andere Software zum Einsatz kommt als im realen Fahrbetrieb und im Testbetrieb keine erhöhte Abgasrückführung stattfindet. Gleichwohl ist aber auch im Fall des Thermofensters dann von sittenwidrigem Verhalten der Hersteller auszugehen, wenn "weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen". Dies ist insbesondere der Fall bei Handeln in dem Bewusstsein, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden mit billigender Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes. Abzustellen ist hier auf den Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs, so dass es im vorliegend entschiedenen Fall zur Beurteilung nicht auf spätere Serviceaktionen ankommen kann. Wenn aber - wie vom Kläger vorgetragen - die Beklagte eine Bestimmung der Abgasrückführungsrate abhängig von der Außentemperatur im Typ- Genehmigungsverfahren verschleiert hat, können sich hieraus Anhaltspunkte für die bewusste Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ergeben. Hierüber wird das OLG noch zu befinden haben. Kurzfassung 1. In einer ersten Entscheidung zum "Thermofenster" geht der BGH davon aus, dass alleine die Entwicklung und der Einsatz einer temperaturabhängig gesteuerten Abgasrückführungsrate keine Schadensersatzansprüche der Fahrzeugkäufer wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung auslösen kann. Dies gilt auch bei einer Beurteilung als unzulässige Abschalteinrichtung entsprechend der Rechtsprechung des EuGH.2. Die vorsätzlich sittenwidrige Schädigung erfordert zusätzlich das Hinzutreten von Umständen, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn in dem Bewusstsein gehandelt wird, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und ein entsprechender Gesetzesverstoß zumindest billigend in Kauf genommen wird.3. Werden vom Hersteller im Typ-Genehmigungsverfahren falsche, unvollständige oder verschleiernde Angaben zur Arbeitsweise der Abgasrückführung gemacht, kann dies die erforderliche besondere Verwerflichkeit begründen. Kommentar Die Dieselprozesse mit der Thermofensterproblematik können zur Begründung von Schadensersatzansprüchen nicht unmittelbar anknüpfen an das Urteil des BGH zur VW-"Umschaltlogik". Bereits bei den Instanzgerichten hat sich eine entsprechende Entscheidungstendenz mit notwendiger Differenzierung durchgesetzt, die nunmehr vom BGH bestätigt wird.Einerseits wird das Urteil des EuGH vom Dezember 2020 den Klägern den Nachweis ersparen, dass es sich bei den Thermofenstern um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Andererseits bleiben sie in der Beweislast, nachzuweisen, dass dem Hersteller bewusst war, eine unzulässige Abschalteinrichtung eingesetzt zu haben. Zwischenzeitlich hat sich im Prozessalltag die Themenpalette der Abgasmanipulation aber schon wieder erheblich erweitert um Steuerungsmechanismen zur Abgasrückführung unter anderem auch über die Kühlwassertemperatur, die Lenkung und das Getriebe. Auch die ordnungsgemäße Abgasbehandlung im Bereich der SCR-Katalysatoren ist ein zusätzliches Thema. Der Prozessstoff wird also so schnell nicht ausgehen.Rechtsanwalt Robert Glocker

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