Albert K. Still: Der Blick für das Kommende

Der automobile Fugger tritt nach über 60 Jahren Branchenwirken ab, Sir Albert K. Still. AUTOHAUS-Herausgeber Prof. Hannes Brachat sprach mit ihm, der als größter Händler in Deutschland Geschichte schrieb, und mit Roman Still in der AVAG-Zentrale in Augsburg. AH: Herr Still, Sie wirkten seit 1972 als Geschäftsführer Ihres Unternehmens und haben bis heute 180 Standorte aufgebaut. Konnten Sie sich damals die heutige Dimension vorstellen? A. Still: Ausgangsweise nicht. Die Vorstellung einer neuen Dimension kam eigentlich durch die Wende und die dann folgende Expansion in die neuen Länder. Dazu gehörte dann 1993 die Übernahme der Opel-Niederlassung in Berlin. Dabei hat auch der Hersteller zuvor an einigen Standorten wie Kempten oder München, später in Hof aktiv mitgewirkt, nachdem es ab 1985 bei Opel möglich war, als Händler mehrere Standorte zu haben. Expansion AH: Und wie kam es zur Expansion nach Kroatien, Ungarn, Polen, Österreich? A. Still: Ausgangspunkt waren abermals die neuen Bundesländer. Wir hatten uns dort früh in Städten über 100.000 Einwohner umgesehen und festgestellt, wer dort für das Kfz-Geschäft zuständig ist. Wir haben uns dann auf die PGHs konzentriert, in Chemnitz, Dresden, Leipzig, Zwickau, Halle. Aus dieser Erkenntnis heraus, wie in Staatsländern umgegangen werden kann, und mit der Kenntnis meines Freundes Klaus Kirchgässler, einem alten Opel-Händler mit kroatischer Mutter, war der Weg nach Kroatien geebnet. Wir legten 1992 los. Dann kam der Zusammenbruch Jugoslawiens und die Aufteilung in einzelne Länder und wir wurden dann zum Großhändler mit mehreren Standorten für ganz Kroatien. Aus diesem Können heraus kam es 1993 zu weiteren Engagements in Polen, in Moskau und Bosnien-Herzegowina. Aus Moskau und Bosnien-Herzegowina haben wir uns bald wieder zurückgezogen. Nachdem die Familie meiner Frau aus Ungarn kommt, haben wir dort immer wieder Reisen vorgenommen und waren von Land und Leuten begeistert. So kamen wir nach Budapest. Damals gab es dort elf Opel-Händler. Heute nur noch vier. Auf dem Weg nach Osteuropa fährt man immer durch Österreich und so war es eigentlich selbstverständlich, dass wir uns dort festsetzen wollten. Trotz einiger Widerstände der Opel-Organisation, konnten wir uns in Traun festsetzen. Herr Hall, der nun mein Nachfolger als Aufsichtsratsvorsitzender der AVAG ist, suchte damals einen strategischen Partner. Und so kamen wir 2000 nach Wien. Fünf Jahre später nach Salzburg. Und natürlich ist die Lust, einmal Premium zu verkaufen, immer gegenwärtig, und als es sich ergab, in Österreich Mercedes zu realisieren, haben wir sofort zugeschlagen. Tu felix Austria! Mehrmarkenhandel AH: Ab 2002 war über die GVO der Mehrmarkenhandel möglich. Wie hat sich das für die AVAG entwickelt? A. Still: Die Struktur der PGHs war in der Regel so angelegt, dass mehrere Betriebsteile vorhanden waren und die PGHs möglichst alle Betriebsteile umstellen wollten. Da wir bereits Toyota und Opel in München hatten und gute Kontakte zu Nissan vorhanden waren, konnten wir in den meisten PGHs Opel, Toyota und Nissan installieren. Später kam auch noch Chevrolet dazu. Das fiel dann wieder weg und diese freien Räume konnten durch andere Produkte neu belegt werden. Damit war der Mehrmarkenhandel geboren. AVAG Augsburg AH: Und wie kam es 1991 zur AVAG- Zentrale in Augsburg? A. Still: Wir hatten zunächst das Gebilde DIA, Dienstleistung im Autohaus. Es war aber klar zu erkennen, wir brauchen ein stabiles Gerüst. Die strengste Form ist die AG. Ich musste da einiges an Disziplin lernen, wie man Geschäftliches vorträgt, Vorlagen erarbeitet und einem Aufsichtsrat regelmäßig Rechenschaft ablegt u. a. Das war ein gewaltiger Umstellungsprozess. AH: Wie hält man nun 180 Standorte zusammen? Was wird von hier aus in der Zentrale auch zentral gesteuert? A. Still: Wir nehmen unnötige Administration aus den Autohäusern heraus. Die AVAG arbeitet mit jedem Geschäftsführer die Planung aus. Wir haben bei der AVAG das Modell der Beteiligung der geschäftsführenden Gesellschafter. Sie sind mit 20 Prozent aktiv dabei. Mindestrendite ist ein Prozent. Wir stehen im Schnitt bei 1,8 Prozent, sodass eine Mindestrendite von zwei Prozent in Reichweite ist. Wir trennen uns auch von Bereichen, die zu wenig bringen. Wir haben uns dieses Jahr von zwei Betrieben in Slowenien verabschiedet. Wenn das Volumen und der Ertrag nicht stimmen, muss man sich trennen. R. Still: Wir bearbeiten in der Zentrale alle operativen Themen, die nichts mit dem eigentlichen Autohandel zu tun haben, um die Geschäftsführer zu entlasten. Die einzelnen Geschäftsführer müssen also keine Bankgespräche führen. Alle IT-Themen, alle Bauthemen, Umweltfragen, Rechtsfragen, Betriebsvergleiche. Wir unterstützen in Fachthemen, transportieren und verteilen Wissen und Ideen, z. B. im Marketing. Für die Personalsuche unterstützen wir mit Vorlagen, Arbeitsverträgen u. a. Auto-Abo "Sorglos günstig fahren" AH: Die AVAG hat im Mai 2020 die Tochter "Sorglos günstig fahren" aufgelegt, ein Auto-Abo. Wie hat sich das entwickelt? R. Still: Wir haben dort zwei Bereiche geschaffen. Ein Full-Service-Leasingangebot. Da haben wir einen ordentlichen Bestand im vierstelligen Bereich und offerieren das über alle Betriebe. Auto-Abo, auch da sind wir sehr zufrieden mit dem Anlauf. Wir können gerade im gewerblichen Bereich Fuhrparks gezielt bedienen. Wir wollen uns nun auch werblich breiter aufstellen. Das Auto-Abo war bislang sehr stark auf Opel ausgerichtet, jetzt kommen weitere Marken hinzu. AH: Wo steht die AVAG in Sachen Digitalisierung? R. Still: Wir sind aktiv dabei, den Verkaufsprozess durchgängig digital zu entwickeln. Im Bargeschäft steht das. Im Finanzierungs- und Leasingbereich fehlen noch die letzten 20 Prozent. Auch der Inzahlungnahmeprozess mit Einkaufsversprechen steht zu 80 Prozent. Wir wollen das zügig finalisieren. Papierlose Werkstatt ist ein mühsamer Weg, den wir 2022 lösen wollen. Für das Reifengeschäft haben wir das schon drei Jahre digitalisiert im Einsatz. Direktvertrieb AH: Wie stellt sich die AVAG auf den Direktvertrieb der Hersteller ein? R. Still: Wir machen heute stationär wie online jeden Tag Direktvertrieb. Und der Hersteller macht heute schon Direktvertrieb an Behörden oder große Firmen. Und dieser wird nun über ein Onlinetool erweitert. Und da ist für uns das Verständnis über das Marktgeschehen und das Verständnis des Herstellers entscheidend. Wie viel Arbeit hat der Händler nun weniger? Wenn der Hersteller nun zehn Prozent in mein Gebiet verkauft, wie viele Verkäufer kann ich entlassen? Keinen! Wie viele Vorführwagen brauche ich weniger, weil die, die beim Hersteller kaufen, keine Probefahrt brauchen? Das weiß man nicht. Soll man jetzt weniger Werbung machen? Und wenn, über welche Werbung kommt der Kunde? Das kann man nicht verbindlich nachweisen. Also, eine Kostenentlastung findet nicht statt. Der Kunde hat über den Direktvertrieb der Hersteller eine zusätzliche Variante, über die er das Fahrzeug bezieht. Dem Kunden ist es oft egal, ob er das Auto bei Opel oder bei Opel Sigg kauft. Er will wissen, wo er das Fahrzeug abholen kann und wo er den Service erhält. Daher sollte das Grundverständnis sein, der Hersteller und wir bearbeiten gemeinsam den Markt. Wir brauchen pro Auto eine Marge. Erhält man auf 100 Prozent aller Fahrzeuge eine Marge, dann kann die Marge etwas kleiner sein, gibt der Hersteller uns nur auf 90 Prozent aller Autos eine Marge, dann muss die Marge etwas höher sein. Gibt er uns nur auf 50 Prozent der Autos eine Marge, muss sie doppelt so hoch sein, weil wir keine Kostenentlastung haben. Also brauchen wir nur eine Einigkeit, wie ist der Abwicklungsprozess. Und da gilt es nicht nur den Auslieferungsprozess zu vergüten, sondern die Gesamtleistung der Marktbearbeitung. So ist das auch im Opel-Händlervertrag 2018 integriert. Persönliches AH: Wenn man 60 Jahre automobilistisch wie Sie unterwegs ist, woher nimmt man die Kraft für eine solche Wegstrecke? A. Still: Indem man im geschäftlichen Bereich überwiegend Erfolg hat. Und indem man im privaten Bereich keine Probleme hat. AH: Sie waren auch verbandspolitisch aktiv unterwegs. A. Still: Aber immer an zweiter Stelle. Ob bei Euroda oder beim VDOH. Kraft unserer wirtschaftlichen Größe bin ich schon auf offene Ohren gestoßen. Man muss da realistisch sehen, wer welchen Wertschöpfungsanteil einbringt. AH: Sie sind neulich mit Ehren von Opel-Chef Lohscheller verabschiedet worden. A. Still: Das war ein wirklich ehrenvolles Zusammentreffen. Was der Kommunikationschef Harald Hamprecht geschrieben hat, habe ich bei meinem Dankesschreiben so beantwortet, dass es schön ist, im Alter zu lesen, wie gut man angeblich gewesen sein soll. Ja, ich habe viel gearbeitet und mir ist vieles geglückt. Ich habe viel mitgedacht, habe auch Waterloos sauber verkraftet. Als Opel noch 18 Prozent Marktanteil hatte, waren meine Worte, wir sollten mal üben, wie wir mit zwölf Prozent klarkommen. Bei zwölf Prozent war mein Spruch, jetzt üben wir mit acht Prozent. Dennoch, es geht weiter. Und ich darf sagen, dass das bisherige Jahr wirtschaftlich auf guten Spuren verläuft.

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