Reklamationen: Sachmängelhaftung und Transportkostenvorschuss

Das Sachmängelhaftungsrecht verpflichtet den Händler bei berechtigten Beanstandungen primär zur Nacherfüllung, also zur Reparatur oder Ersatzlieferung. Vorgeschaltet ist das Recht des Händlers zur Prüfung, ob behauptete Mängel tatsächlich vorliegen und ob sie der Sachmängelhaftung unterfallen, d. h. keinen normalen Verschleiß darstellen und bereits bei Übergabe des Fahrzeuges vorhanden waren. Um diese Prüfung zu ermöglichen und auch zur Nacherfüllung selbst hat der Kunde das Fahrzeug nach zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung des BGH beim Betrieb des Händlers zur Verfügung zu stellen. Anderes gilt nur im Fall besonderer Vereinbarungen. Die zur Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen hat der Verkäufer zu tragen. Hierzu zählen nach § 439 Abs. 2 BGB insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten. Zusätzlich bestimmt seit 1.1.2018 die Neufassung des § 475 BGB für den Verbrauchsgüterkauf ein Recht des Verbrauchers, für die vom Unternehmer zu tragenden Aufwendungen einen Vorschuss zu verlangen. Dies wird in den Gesetzeskommentaren als "Klarstellung" zur Grundregel gesehen. Man könnte meinen, dass die Voraussetzungen einer Vorschusspflicht insoweit erst einmal eindeutig definiert sind und im Umkehrschluss keine Kostentragungspflicht und somit auch keine Vorschusspflicht des Händlers gilt, solange seine Eintrittsverpflichtung nicht feststeht. Diese an sich logische Betrachtungsweise wird aber konterkariert durch ein Urteil des BGH vom 19.7.2017 (AZ. VIII ZR 278/16), das über die Einführung der Vorschusspflicht im deutschen Verbrauchsgüterkauf fortwirkt und eine Auslegung der BGB-Regelungen unter Berücksichtigung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG vom 25.5.1999 vorgibt. In der Konsequenz besteht eine im Einzelfall bezüglich der Höhe zu klärende Vorschusspflicht des Händlers bereits für Transportkosten des Fahrzeuges, um es zur Prüfung vorzustellen, ob überhaupt ein Sachmangel vorliegt. Die Praxis Kunden aus dem Raum Frankfurt kaufen Fahrzeuge in Hamburg oder München und umgekehrt. Die Fälle, in denen bei Mängelrügen Vorschüsse auf die Verbringungskosten des Fahrzeuges geltend gemacht werden, haben in der Praxis stark zugenommen. Dies mag daran liegen, dass immer mehr Verbraucher wegen der Auswahl oder Preisvorteilen Fahrzeuge auch im Internet über größere Distanzen kaufen, aber auch daran, dass sich die für Verbraucher günstige Rechtslage zunehmender Kenntnis erfreut. Insbesondere bei Gebrauchtfahrzeugen erleben es die Händler vermehrt, dass private Käufer nach Abholung des Fahrzeuges mehr oder weniger lange Listen behaupteter Mängel vorlegen, deren Behebung sie geltend machen und bereits den Kostenvoranschlag einer Reparaturwerkstätte vor Ort an ihrem Wohnsitz mitschicken mit der Aufforderung, alternativ die entsprechenden Kosten zu übernehmen. Bietet der Händler die eigene Untersuchung des Fahrzeuges auf das Vorliegen der behaupteten Mängel an, erhält er im nächsten Schritt häufig Verbringungskosten berechnet mit der Aufforderung, diese erst einmal vorzuschießen als Voraussetzung, damit das Fahrzeug verbracht wird. Beispielsfall Die Berechnung solcher Verbringungskosten erfolgt in vielen Fällen völlig überzogen, um das Angebot einer Behebung behaupteter Mängel vor Ort interessanter erscheinen zu lassen und dem Kunden den mit der Verbringung des Fahrzeuges verbundenen Aufwand zu ersparen. So auch im Fall eines aktuellen Beispiels, in dem bei einer Entfernung des Wohnsitzes der Kundin von 187 Kilometer für die Verbringung des funktionstüchtigen Fahrzeuges 432,20 Euro vorgerechnet werden einschließlich vier Stunden "Verdienstausfall" als Übersetzerin. Die Kundin hatte für 40.400 Euro ein 15 Monate altes Gebrauchtfahrzeug mit ca. 13.000 Kilometern erworben. Reklamiert wird ein unzureichendes Profil der Vorderräder (vier Millimeter, "total abgefahren") und eine Lackstiftausbesserung an der Türkante hinten links ("Unfallschaden"). Um seinen Verpflichtungen nachzukommen und der Kundin nicht unmittelbar die Möglichkeit einer Rücktrittserklärung wegen verweigerter Nacherfüllung zu geben, bot der Händler die Überweisung vorab von Spritkosten in Höhe von 25 Euro an, ausgehend von einem Verbrauch des Fahrzeuges von 8 l/100 km. Die Kundin reklamierte daraufhin einen Betrag von 112,50 Euro für Hin- und Rückweg auf der Grundlage einer Reisekostenpauschale von 0,30 Euro/km einschließlich Verschleiß. Hiermit hat sich der Händler überpflichtmäßig einverstanden erklärt, um eine Verlagerung des Rechtsstreits vom Vorliegen der behaupteten Mängel auf die Verbringungskosten zu vermeiden. Hintergrund Nach der bereits zitierten Entscheidung des BGH (Az. VIII ZR 278/16) erfordert die Beachtung der EU-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie eine mit dem EU-Recht konforme Auslegung der deutschen Vorschriften zur Regelung der Kostentragung im Rahmen der Nacherfüllung. Art. 3 der Richtlinie bestimmt für den Geltungsbereich der EU einen Mindeststandard der Verbraucherrechte unter anderem dahingehend, dass die Nacherfüllung für den Verbraucher unentgeltlich und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten zu erfolgen hat. Erhebliche Unannehmlichkeiten sind für den BGH solche, die den Verbraucher in der Gesamtbetrachtung davon abhalten können, sein Sachmängelhaftungsrecht auch durchzusetzen. In einer grundlegenden Entscheidung vom 13.4.2011 (Az. VIII ZR 220/10) urteilten die obersten Richter, dass die Festlegung des Erfüllungsortes für die Nacherfüllung am Sitz des Verkäufers wegen der Kostentragungspflicht des Händlers für den Verbraucher keine unzumutbare Unannehmlichkeit darstellt. In einem Nebensatz der 27-seitigen Entscheidung enthielten die Urteilsgründe den Vermerk, dass als Ausgleich für eventuelle Nachteile des Käufers durch zunächst bei ihm anfallende Transport- oder Versandkosten "möglicherweise" ein Vorschussanspruch in Betracht kommt. Gedacht war hier zunächst aber wohl nur an extremere Fälle, in denen hohe Kosten den Verbraucher von einer Durchsetzung seiner Kosten tatsächlich abschrecken könnten. An diese Überlegungen knüpfte der BGH mit seinem Urteil vom 19.7.2017 offensichtlich nochmals an. Er entschied, dass der Verbraucher in den Fällen, "in denen eine Nacherfüllung die Verbringung der Kaufsache an einen entfernt liegenden Erfüllungsort erfordert", nicht nur einen (nachträglichen) Erstattungsanspruch gegen den Verkäufer besitzt, sondern wegen der von der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie geforderten Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung "grundsätzlich" bereits vorab einen abrechenbaren Vorschuss zur Abdeckung der Überführungskosten verlangen kann. Maßgeblich gilt dies nach der Entscheidung explizit auch, wenn das Vorliegen des geltend gemachten Mangels noch ungeklärt ist. Zeitnah nach dieser Entscheidung wurde mit der ab Januar 2018 geltenden Neufassung des § 475 BGB für den Verbrauchsgüterkauf generell das Recht des Verbrauchers festgeschrieben, einen Vorschuss für solche Aufwendungen zu verlangen, die ihm im Rahmen der Nacherfüllung entstehen und die der Unternehmer zu tragen hat. Konsequenz Auch nach der gesetzlichen Neuregelung gilt nach dem Wortlaut der Vorschrift in § 475 Abs. 6 BGB eine Vorschusspflicht eigentlich nur beschränkt auf solche Aufwendungen des Verbraucherkunden, die auch letztendlich vom Händler zu erstatten sind. Die Überlegungen des BGH zur EU-rechtskonformen Auslegung unter Berücksichtigung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie müssen konsequenterweise aber als weiterhin gültig und auch für die Neuregelung im Gesetz als einschlägig betrachtet werden. Damit ist von einer Vorschusspflicht des Händlers auch für Fahrzeugüberführungskosten des Verbrauchers auszugehen, die für die Vorstellung des Fahrzeuges zum Zwecke einer Überprüfung behaupteter Mängel anfallen. Verlangt werden kann ein Vorschuss in Höhe des tatsächlich erforderlichen Kostenaufwandes für die Verbringung des Fahrzeuges. Dies sind zweifellos zunächst die anfallenden Kraftstoffkosten und - soweit ausscheidbar - Verbrauchskosten für Öl und AdBlue, denkbarerweise erst einmal für die einfache Fahrt, wenn eine Prüfung unmittelbar erfolgen kann. Bei längerer Prüfdauer sind auch die Rückreisekosten anzusetzen. Die Geltendmachung von Kilometerpauschalen beinhaltet neben Verschleiß auch Fixkosten wie Steuer und Versicherung, die nicht gesondert anfallen. Ist das Fahrzeug nicht fahrbereit, sind anfallende Transportkosten zu berücksichtigen. Insgesamt ergeben sich hier jede Menge potenzielle Streitpunkte, deren Klärung im Vorfeld sinnvollerweise nicht bis in das kleinste Detail erfolgen kann. Es empfiehlt sich hier, nicht zu kleinlich zu kalkulieren, da ohnehin eine Abrechnung der Vorschusszahlung zu erfolgen hat bis hin zur vollständigen Rückerstattung bei nicht berechtigter Reklamation. Verdienstausfall und andere Schadensersatzleistungen sind definitiv nicht geschuldet. Im Fall einer nicht möglichen Einigung auf die Höhe der Vorschussleistung und auch im Übrigen bleibt das Recht des Händlers völlig unbenommen, zur Vermeidung der Vorschussleistung eine eigene Abholung des Fahrzeuges anzubieten. Wichtig Bietet der Verbraucherkunde an, sein Fahrzeug bei nachvollziehbar berechneter Vorschussleistung zur Verfügung zu stellen, ist damit nach der Entscheidung des BGH vom 19.7.2017 bereits ein wirksames Nacherfüllungsverlangen verbunden und bei Fristsetzung tritt Verzug ein. Bleibt die Vorschussleistung aus und wird auch nicht die eigene Abholung des Fahrzeuges angeboten und durchgeführt, droht dem Händler der Verlust seiner Nacherfüllungsrechte. Der Kunde kann dann unmittelbar den Rücktritt erklären oder Minderung geltend machen. Die Folgen einer nicht korrekten Handhabung können also empfindlich sein. Kurzfassung 1. Im Verbrauchergeschäft kann der Kunde eine Vorschusszahlung verlangen für erforderlichen eigenen Aufwand betreffend Kosten, die der Händler im Rahmen der von ihm kostenfrei zu erbringenden Nacherfüllung zu tragen hat. Dies betrifft insbesondere auch die Kosten einer Fahrzeugverbringung zum entfernt gelegenen Betrieb des Verkäufers.2. Das Recht des Verbrauchers, eine solche Vorschusszahlung einzufordern, besteht nach der Rechtsprechung des BGH bereits für die Verbringung des Fahrzeuges zum Zwecke der Prüfung, also auch dann, wenn das tatsächliche Vorliegen eines geltend gemachten Mangels und das Bestehen eines Erstattungsanspruchs noch ungeklärt sind.3. Die Höhe des Vorschussbetrages bemisst sich im Einzelfall nach dem notwendigerweise anfallenden Aufwand. Bietet der Kunde an, sein Fahrzeug nach Vorschusszahlung zur Prüfung zur Verfügung zu stellen, erfüllt dies die Anforderung an ein ordnungsgemäßes Nacherfüllungsverlangen. Reagiert der Händler hierauf nicht, droht ihm der Verlust der Nacherfüllungsrechte. Kommentar Der Verbraucherschutz ist ein so hohes Gut, dass ihm andere Rechtsgrundsätze oftmals bedingungslos untergeordnet werden. Gedacht wurde mit der EU-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie daran, den Wettbewerb in Binnenmarkt zu stärken und es Kaufinteressenten zu erleichtern, auch auf Kaufangebote aus anderen EU-Staaten einzugehen. Verursacht wird für die Betriebe im innerstaatlichen Rechtsverkehr jede Menge zusätzlicher Verwaltungsaufwand und Rechtsunsicherheit. Im Schleppnetz wird unter anderem erreicht, dass ein Kunde aus Stuttgart, der sich in Frankfurt ein Fahrzeug für 40.000 Euro kauft und die hierfür erforderlichen Wege in Kauf nimmt, bei Mängelrügen dann die Spritkosten für 210 Kilometer und gegebenenfalls die Kosten einer Bahnfahrt zurück einfordern kann, bevor er das Fahrzeug dem Händler zur Prüfung bringt. Ist die Reklamation unberechtigt, kann der Händler seinem Geld nachlaufen, ist sie berechtigt, muss nachträglich abgerechnet werden gegenüber einem dann feststehenden Erstattungsanspruch. Viel Aufwand für das hohe Gut und im Ergebnis wenig Effekt.Rechtsanwalt Robert Glocker

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