Direktvertrieb der Hersteller: Spiel mit dem Feuer

von Uwe Brossette Schaut man aktuell auf die Branche, könnte man den Eindruck gewinnen, die Hersteller hätten das Rad neu erfunden. Es vergeht keine Woche, in der nicht neue Direktvertriebs-Fantasien geäußert, geplant oder umgesetzt werden. Dabei begegnet der Direktvertrieb im Automobilhandel engen Grenzen, die nicht nur durch die Händlerverträge gesetzt werden, sondern insbesondere auch durch das Kartellrecht. Vertragsware darf nicht an Außenstehende veräußert werden Tatsache ist, dass nahezu alle etablierten Hersteller aktuell ihren Vertrieb in einer quantitativ-selektiven Form organisiert haben. Nur ganz wenige (z. B. Tesla oder Polestar) kommen ohne Händler oder Vertreter aus. Aus der quantitativ-selektiven Vertriebsform ergibt sich konzeptionell eine Grenzlinie, die der Hersteller nicht überschreiten darf, soll sein Vertriebssystem von den Segnungen der GVO profitieren. Er muss das System zwingend geschlossen halten und darf die Vertragsware nicht an Außenstehende veräußern, die nicht seiner autorisierten Vertriebsorganisation angehören. Dieser kartellrechtlichen Conditio sine qua non, also der maßgeblichen Bedingung, ohne die das gesamte Vertriebssystem unzulässig wäre, kann kein Hersteller entgehen, der Vertragsware an andere Abnehmer als seine Händler verkauft. Sie spielen insoweit bildlich mit dem Feuer. Denn werden Neufahrzeuge an andere Abnehmer als Endnutzer verkauft, also Unternehmen, die die Fahrzeuge nicht selbst fahren, sondern im Rahmen ihres Geschäftsmodells weiterverwenden, wird es kartellrechtlich mehr als kritisch. Verstoß führt zum Verlust der Freistellung des selektiven Systems Ein Beispiel: Verkauft ein Hersteller Neufahrzeuge direkt an ein Unternehmen, das die Fahrzeuge seinerseits Endnutzern zur nicht nur kurzfristigen Nutzung überlässt, öffnet er sein System für nicht autorisierte Dritte und verliert damit die kartellrechtliche Freistellung seines selektiven Systems. Denn die Gebrauchsüberlassung von Fahrzeugen, insbesondere in Form des Fahrzeug-Abos, tritt nach einer Reihe von Marktstudien an die Stelle des Kaufs oder Leasings eines Fahrzeugs durch den Endnutzer. Etabliert ein Hersteller ein solches Abo-System und liefert er die im Abo eingesetzten Fahrzeuge direkt an den Abo-Anbieter, unterminiert er damit seine eigene Handelsorganisation und verhält sich kartellrechtswidrig. Herstellereigenes Auto-Abo kritisch Das herstellereigene Auto-Abo ist aber auch noch aus einer weiteren Perspektive als höchst kritisch zu bewerten. Denn die meisten Händlerverträge erlauben den Herstellern den Direktvertrieb an Endnutzer nur in sehr engen Grenzen. Dies folgt nicht nur aus der kartellrechtlichen Notwendigkeit, sondern auch aus dem Gesichtspunkt der vertraglichen Fairness und Rücksichtnahmepflicht. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass je enger die Bindung des Händlers an die Marke ausgestaltet ist, desto größer wiegt die Verantwortung des Herstellers, damit seine Händler ein wirtschaftliches Auskommen haben. Das gilt nicht nur für die Verdienstchancen des Handels im engeren Sinne (Stichwort: Margensystem), sondern auch für die Zurückhaltung des Herstellers, den eigenen Händlern Konkurrenz zu machen. In vielen Fällen vertragswidrig Aus diesem Grunde ist es in vielen Fällen schlicht vertragswidrig, wenn die Hersteller ihre Wettbewerbsposition signifikant erweitern, indem sie neuartige Vertriebsformen wie das Abo-Modell etablieren und die hierfür benötigten Fahrzeuge am Händlernetz vorbei an die Abo-Anbieter liefern. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hat kürzlich das Landgericht Frankfurt dem deutschen Importeur von Jaguar Land Rover die Einführung des Abos "JLR Subscribe" verboten (Az: 3-14 O 34/21). Für das Gericht fallen Auto-Abo-Anbieter nicht unter den Begriff der überregionalen Autovermieter und sind daher nicht vom Direktverkaufsvorbehalt des Händlervertrags erfasst. Denn ein Auto-Abo-Anbieter ist nicht das Gleiche wie eine Autovermietung, auch wenn in beiden Fällen der Endnutzer einen Mietvertrag schließt. Das Fahrzeugabonnement könne den Kunden, so das Gericht, von einem in Betracht kommenden Kauf oder Leasing des Fahrzeugs abhalten. Wegen der damit verbundenen "Schmälerung der Absatzmöglichkeiten" des Händlers kann das vom Hersteller direkt belieferte Abo nicht unter die Ausnahmevorschrift des Händlervertrages subsummiert werden und ist daher vertragswidrig. Zentrale Preispunktsetzung gefährlich Der Direktvertrieb der Hersteller hat aber noch weitere negative Auswirkungen, zum Beispiel auf den Wettbewerb im Markt. Verfolgt man die Äußerungen von Herstellervertretern auf öffentlichen Veranstaltungen, könnte man den Eindruck gewinnen, dass es ihnen mit der Ausweitung ihrer Direktvertriebsaktivitäten nur darum ginge, den Markt "zu beruhigen", "für Preistransparenz zu sorgen" oder "die Hoheit über die Preissetzung zurückzugewinnen". Auch das scheint höchst bedenklich und ebenfalls brandgefährlich. Mit der Ausweitung des Direktvertriebs, sei es über Abo-Modelle oder über andere Formen der direkten Belieferung von Endnutzern, werden die Hersteller und Importeure zu den Hauptwettbewerbern der Händler. Die Händlerverträge bilden dieses Konkurrenzverhältnis aber nur unzureichend ab. Im Gegenteil: Die Händler müssen ihre Lieferanten nach wie vor über die Marktlage und die eigene Performance unterrichten, was im Verhältnis zwischen Wettbewerbern eigentlich unterbleiben muss. Ferner führt die zentrale Preispunktsetzung immer häufiger dazu, dass sich die Händler hieran orientieren können, was jedenfalls perspektivisch den Wettbewerb aufweichen könnte. Deshalb sollten die Hersteller auch aus dem Gesichtspunkt des Wettbewerbsverhältnisses ihre Verhaltensweise im Markt kritisch überdenken und sich idealerweise aus dem Geschäft mit Endkunden heraushalten. Die Gefahren sind einfach zu hoch. Agentur: Ganz oder gar nicht Am Schluss bleibt die Frage: Wäre denn die Agentur für die Hersteller ein Ausweg aus diesen kartellrechtlichen und vertraglichen Zwängen? Im Grundsatz lässt sich das bejahen. Wenn die Hersteller sich bereit erklären, ihre Vertriebsorganisation einzugliedern und ihr sämtliche mit den vermittelten Geschäften verbundenen Risiken abzunehmen, wäre das ein gangbarer Weg. Hier ist aber die Maxime: Ganz oder gar nicht! Und ob sich das alle Hersteller gleichermaßen leisten können, ist mehr als fraglich. Dabei geht es im Kern um Geld, um sehr viel Geld, was heute noch vom Handel beigesteuert wird. Mercedes hat sich für diesen Weg entschieden, ob andere folgen, wird sich zeigen. Bis dahin gilt: Schuster, bleib bei deinen Leisten - oder anders gewendet: Hersteller, respektiere die Geschlossenheit Deiner Netze. Denn bei einer falschen Umsetzung einer Direktvertriebsstrategie steht im Zweifel das ganze Vertriebssystem im Feuer. Zur Person Uwe Brossette ist auf Gestaltung und Ausbau komplexer Vertriebssysteme spezialisiert und hat langjährige Erfahrung im Bereich des Handels- und des Kartellrechts.Zu seinen Mandanten zählen namhafte Unternehmen aus der Retail- und der Automobilbranche. Neben der Begleitung großer Automobilhandelsorganisationen bei Vertrags- und Margenverhandlungen unterstützt er große Markenproduktehersteller bei Aufbau, Pflege und Fortentwicklung ihrer Vertriebssysteme.Uwe Brossette wurde 1995 als Rechtsanwalt zugelassen und ist seit Gründung des Kölner Büros Partner bei Osborne Clarke.

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