IFA-Kongress 2015: Von Tankern und Schnellbooten

Smartphones bestimmen heutzutage den Tagesablauf der Menschen. Weil immer mehr Deutsche einen mobilen Zugang zum weltweiten Netz haben, stellen sie ihre Anfragen von überallher und erwarten auch schnell eine Antwort. Bewertungen im Internet können jederzeit leicht abgegeben werden, ein Like bei Facebook ist nur einen Klick weg. Eine Entwicklung, auf die die Autohäuser dringend reagieren müssen. Der 16. Tag der Automobilwirtschaft in Nürtingen zeigte dafür Lösungsansätze auf: 1. Der Autohandel braucht durchgängige Prozesse für mehr Schnelligkeit. 2. Mit dem zunehmenden Datenwust muss sinnvoll umgegangen werden. 3. Vertriebsmodelle müssen sich den neuen Anforderungen anpassen. Lieber 90 Prozent schnell als 100 Prozent langsam "Die Prozesse in den Autohäusern sind derzeit immer noch auf die analoge Welt ausgerichtet", so die Bestandsaufnahme von Andreas Senger. Der geschäftsführende Gesellschafter einer der größten deutschen Autohaus-Gruppen weiß, dass das nicht so bleiben kann. Er will das Thema gemeinsam mit den Herstellern angehen, denn das Problem liegt auf beiden Seiten: Es könne nicht angehen, dass bei mancher Marke morgens allein im Service 17 verschiedene Programme gestartet werden müssen, bis die Arbeit losgehen kann. Bestellwesen, Verkaufsprogramme, Garantieabwicklung - in allen Bereichen muss eine Vereinfachung her, um die Systeme wieder beherrschbar zu machen. Nur so können die Mitarbeiter in die Lage versetzt werden, den Kunden die Schnelligkeit zu bieten, die sie heutzutage erwarten. Senger zeigt hier auch Mut zur Lücke: "Lieber eine 90 Prozent schnelle Lösung als eine 100 Prozent langsame Lösung." Online-Marketing Manager kümmert sich um Datenwelt Auch Roman Still von der AVAG hat längst erkannt: "Die Händler müssen mehr Verständnis für digitale Anforderungen entwickeln." Derzeit sei es noch so, dass zum Beispiel in der Reifensaison, die Serviceberater sich vorrangig mit dem vor ihnen stehenden Kunden beschäftigen und E-Mails in dieser Zeit unbeantwortet lassen. Das dürfe nicht passieren und deswegen müsse eine Lösung gefunden werden, wie auch bei hohem Arbeitsaufkommen vor Ort die digitale Welt nicht vernachlässigt würde. Die größte Herausforderung sieht der AVAG-Chef derzeit darin, die Vielzahl der gesammelten Daten zu sortieren und in eine vernünftige Form zu bekommen. Manchmal scheitere es schon an der Integration der Lead-Daten in das Kundenbeziehungsmanagement (CRM). Händler und Hersteller müssen hier schnellstens gemeinsam zu einer Lösung finden, bekräftigte auch Tiemeyer-Manager Dirk Rosenberg, denn "die Kundenschnittstelle muss bei uns bleiben." Die Tiemeyer-Gruppe hat als ersten Lösungsansatz die Stabsstelle eines Online-Marketing Managers geschaffen. Auch BMW-Vertriebsvorstand Peter Schwarzenbauer machte Schnelligkeit zum Thema - allerdings in einem anderen Zusammenhang. Ein Bild, das er benutzte, passt auch für den Handel und dessen zum Teil tief verwurzelte Strukturen: Weil ein großer Tanker wie BMW nicht über Nacht digital gemacht werden könne, würde man Schnellboote einsetzen. Gemeint sind damit Startups in Silicon Valley, die an Entwicklungen für BMW arbeiten, Softwarelösungen testen, über Nacht anpassen, wieder testen usw. Denn wenn bisher für die Entwicklung eines Fahrzeugs immer noch in Jahreszeiträumen gerechnet werde, sei dies für Software untragbar. Er geht deswegen davon aus: "Autos müssen künftig nur noch mit der Cloud kommunizieren, die Software muss nicht mehr im Auto sein." Hersteller weiß zukünftig mehr über den Kunden Der digitale Wandel bringt für den Handel aber auch noch ein anderes Thema nach vorne: Die Zeit, in der ein Händler alles über den Kunden wusste und die Hand auf den Daten hatte, ist vorbei, sagte Daimler Vorstandschef Dieter Zetsche. Mit der zunehmenden Datenmenge verlagere sich die Kundenkenntnis hin zum Hersteller. Er weiß, wer was bei ihm konfiguriert hat, wie das Fahrverhalten ist usw. Künftig werde der Hersteller dem Händler eine viel bessere Kenntnis über den Kunden liefern können. Was das für die Stellung des Handels in der Vertriebskette bedeutet, muss zu Ende gedacht werden. Mobile-Geschäftsführer Malte Krüger formulierte es so: "Wir bauen weiterhin Glaspaläste, als ob es kein Morgen gäbe." Zetsche und Audi-Vertriebschef Wayne Griffiths betonten aber: Produkterlebnis, Probefahrt und persönliche Beratung bleiben weiterhin ein Schlüssel zum Erfolg. Der Audi-Manager sieht sogar die starken Handelsnetze als entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber Google und Apple. "Wir wollen das Autohaus in die digitale Welt verlängern", betonte er. Dafür werde Audi die Betriebe weiter professionalisieren, unter anderem bei Händler-Website, Fahrzeugbörse, Suchmaschinen und E-Commerce. Wichtige Bausteine seien auch ein mobiler 24/7-Zugang zu den Neu- und Gebrauchtwagen der Marke sowie das Kundenportal "myAudi". Autobauer müssen keinen Profit aus den Daten schlagen Die Datensammlung im Auto führte zu einem weiteren Thema. "Wir bewegen uns in Richtung des lernenden Autos, das sich auf den Fahrer einstellt", hatte Zetsche vorhergesagt. Aber: Der große Vorteil der Autoindustrie gegenüber den Internetkonzernen, die sich derzeit auch mit Autobau beschäftigen, sei, dass die Autobauer nicht darauf angewiesen seien, aus den Daten Profit zu schlagen. Es gehe nur um den Kundennutzen. Zetsche ging noch weiter: "Ich glaube sogar, dass defensiver Umgang mit Daten zum Standortvorteil werden könnte." Auch Opel-Managerin Tina Müller konnte dem etwas abgewinnen: Mit Blick auf das neue On Star-Konzept, das in jedem neuen Opel einen mobilen Hotspot, eine Smartphone App für die Fernbedienung und Hilfe auf Knopfdruck vorsieht, sagte sie: "Nur in Europa gibt es einen Privat-Knopf." Das bedeutet, dass das Auto und damit sein Benutzer nicht lokalisiert und nur bei Unfall und sonst nicht kontaktiert werden. Für die Kontaktmöglichkeit muss der Besitzer ohnehin seine Zustimmung geben. Bisher hätte das aber nur ein Prozent der 3.000 On Star-Kunden nicht getan. Aber auch Müller meint, dass der Hersteller dem Kunden nur passgenaue Informationen einspielen dürfe, "dann brauchen wir auch keine Werbeblocker." Hyundai mit neuem Vertriebsmodell in London Für Jochen Sengpiehl, Vize President Hyundai Motor Europe, waren diese Ansätze zu sehr vom Hersteller und Händler her gedacht. Es reiche nicht mehr aus, eine Abteilung zu gründen, einen Verkäufer einzustellen oder eine Firma zu kaufen, um im digitalen Zeitalter zu bestehen. Das neue Geschäftsmodell müsse vom Kunden aus gedacht werden. Jeder Hersteller brauche einen digitalen Vorstand, um in die neue Zeit zu starten, denn die Digitalisierung biete auch riesige Chancen, um Vertriebskosten zu reduzieren. So habe z. B. Hyundai schon in einem Einkaufszentrum am Rande von London mit "Rockar" einen City Store eröffnet, in dem nur wenige Fahrzeuge gezeigt werden und bestimmte Konfigurationsmöglichkeiten verkauft werden. Die erste Frage an den Kunden laute dort: "Wie viel möchtest du für deine Mobilität ausgeben?"1.000 Fahrzeuge würden dort pro Jahr verkauft, die Eroberungsrate läge bei 90 Prozent. Dieses Konzept werde eine wichtige Rolle in der künftigen Hyundai Vertriebspolitik spielen. Autos scheibchenweise Auch BMW-Vertriebsvorstand Peter Schwarzenbauer sieht neue Herausforderungen für den Handel. Spätestens zwischen 2025 und 2035 werde die Frage nicht mehr lauten: Wie viele Autos habe ich verkauft, sondern wie viele Kilometer habe ich verkauft. Diese Umstrukturierung berge viele Chancen für Premium, denn mehr Menschen werden sich Oberklassefahrzeuge leisten können - wenn auch vielleicht nur für kurze Zeit, zum Beispiel für die Fahrt in die Oper. Konkurrent Audi denkt über noch spezifischere Nutzungen nach. Denkbar wäre, so Griffiths, dass in einem Fahrzeug alle Optionen angelegt sind und nur auf Anforderung des Kunden möglicherweise auch nur zeitlich begrenzt freigeschaltet werden. Das neue Matrix LED-Licht zum Beispiel also nur, wenn man es braucht. Auch die Händler sollten bei einem solchen Konzept partizipieren, schob Griffiths nach. Digitalisierung im Handel Damit der Handel die Herausforderung der Digitalisierung meistern kann, braucht er:- Durchgängige Prozesse für mehr Schnelligkeit- Sinnvollen Umgang mit Daten- Vertriebsmodelle, die den neuen Anforderungen angepasst sind. Opel-Managerin Tina Müller: Der Hersteller sollte dem Kunden nur passgenaue Informationen einspielen, "dann brauchen wir auch keine Werbeblocker."Daimler Vorstandschef Dieter Zetsche: "Mit der zunehmenden Datenmenge verlagert sich die Kundenkenntnis hin zum Hersteller."Hyundai Motor Europe Vize President Jochen Sengpiehl: "Das neue Geschäftsmodell muss vom Kunden aus gedacht werden."BMW-Vertriebsvorstand Peter Schwarzenbauer: "Zukünftig wird die Frage nicht mehr lauten, wie viele Autos habe ich verkauft, sondern wie viele Kilometer habe ich verkauft."

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