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Audi-Manager: Automatisiertes Fahren wird Leben retten

01.09.2016 09:19 Uhr
Berthold Hellenthal
Berthold Hellenthal, Leiter des Progressive Semiconductor Program bei Audi
© Foto: Audi

Berthold Hellenthal entwickelt bei Audi elektronische Bauteile für das automatisierte Fahren und rechnet damit, dass in zehn Jahren eine ganze Reihe von Robo-Cars unterwegs sein wird.

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Von Michael Kirchberger, mid

Der Trend zum automatisierten Fahren treibt die Autobranche ebenso um wie die Autofahrer. Berthold Hellenthal, Leiter des Progressive Semiconductor Program bei Audi, gibt Auskunft darüber, wie weit die Technik bereits ist, wie er die Akzeptanz bei den Kunden einschätzt und vor welchen Herausforderungen die Branche derzeit steht. Seine Prognose: Automatisiertes Fahren wird Leben retten - wenn die Entwicklung der Qualität und Zuverlässigkeit elektronischer Bauelemente mit der rasanten Entwicklung bei der Fahrzeugelektronik Schritt hält. Auf der Fachtagung ESREF 2016 Mitte September in Halle tauschen sich dazu rund 400 internationale Experten aus.

Dass sich das automatisierte Fahren durchsetzt, gilt als ausgemachte Sache. Wie lautet Ihre Prognose, Herr Hellenthal: Wann wird der Autofahrer, der selbst lenkt, bremst und den Verkehr im Blick behält, ausgestorben sein?

B. Hellenthal: Ich glaube nicht, dass das jemals passiert. Automatisiertes Fahren kann einen enormen Beitrag für mehr Sicherheit, Komfort und Effizienz im Straßenverkehr leisten. Aber ich möchte auch den Autofahrern der Zukunft den Spaß gönnen, den man als Pilot haben kann, mit den Händen an Lenkrad und Schalthebel und den Füßen auf den Pedalen. Wann das automatisierte Fahren sich etablieren wird, entscheidet schließlich nicht nur die technologische Entwicklung, sondern auch die Nachfrage der Kunden.

Wann wird die Technik voraussichtlich soweit sein?

B. Hellenthal: Ich denke, dass wir in zehn Jahren auf den Straßen viele Autos sehen werden, die automatisiert fahren, sich selbst organisieren und mit anderen Komponenten der digitalen Welt kommunizieren, beispielsweise der Wohnung, dem Parkhaus, der Werkstatt oder mit Verkehrsleitsystemen und anderen Automobilen.

Sie sind einer der Keynote Speaker beim European Symposium on Reliability of Electron Devices, Failure Physics and Analysis (ESREF) vom 19.-22. September 2016 in Halle. Warum sind solche Tagungen für Audi wichtig?

B. Hellenthal: Die drei wichtigsten Innovationstreiber in der Automobilindustrie sind Elektrifizierung, Vernetzung und automatisiertes Fahren - in allen drei Bereichen sind wir auf leistungsfähige und zuverlässige elektronische Bauteile angewiesen, an die immer neue Anforderungen gestellt werden. Früher hatten wir hier deutlich längere Innovationszyklen und mehr Zeit, die Zuverlässigkeit der elektronischen Bauteile auf ein notwendiges Maß zu entwickeln, bevor sie ins Auto kamen. Heute sind viele Premiumhersteller zu Early Adopters von elektronischen Bauteilen geworden, weil die Kunden beispielsweise vom Infotainmentsystem im Auto dieselbe Performance erwarten, wie sie das vom Tablet oder Smartphone kennen. Wir müssen also - und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette - viel schneller agieren, um die nötige Qualität und Lebensdauer sicherzustellen.

Tesla hat zuletzt für Negativ-Schlagzeilen gesorgt: Ein Fahrzeug des US-Herstellers hat im Autopilot-Modus einen tödlichen Unfall verursacht. Auch weitere Unfälle von automatisiert fahrenden Autos hat Tesla mittlerweile eingeräumt. Zeigt das nicht, dass die Technologie noch nicht ausgereift ist?

B. Hellenthal: Wir bei Audi unterscheiden deutlich zwischen zwei Systemen: assistierende und pilotierende Systeme. Gemäß der internationalen Klassifizierung für das autonome Fahren gibt es dabei 5 Stufen. Unsere aktuell im Portfolio befindlichen Assistenzsysteme befinden sich auf Stufe 2 - teilautomatisiertes Fahren mit kombinierter Längs- und Querführung des Fahrzeuges. Dabei hat immer der Fahrer die Verantwortung und ist zu jedem Zeitpunkt für die Situation voll verantwortlich. Wir stellen uns eine schrittweise Entwicklung vor: Vom Auto, das komplett vom Fahrer gesteuert wird, als Stufe 1, bis zum Fahren ohne jeden menschlichen Eingriff als Stufe 5. Dafür sollten wir uns die nötige Zeit nehmen, um für die weiteren Stufen sichere Lösungen zu finden. Auch die aktuelle Gesetzgebung in Deutschland erlaubt nur Systeme für ein zeitweise automatisiertes Fahren, die vom Fahrer jederzeit überstimmt oder ausgeschaltet werden können.

Wie sieht in Ihren Augen die Akzeptanz bei den Autofahrern aus?

B. Hellenthal: Man kann das autonome Fahren letztlich als eine Kombination mehrerer Assistenzsysteme betrachten, deshalb bin ich da sehr zuversichtlich. Technologien wie Einparkhilfen, Notbremsfunktionen oder Stauassistenten sind ja schon im Einsatz, und die Autofahrer wissen diese technische Unterstützung sehr zu schätzen. Allerdings steigert das automatisierte Fahren die Bedeutung der Zuverlässigkeit der elektronischen Bauteile. Sensoren und Chips müssen fehlerlos funktionieren, unter allen Bedingungen und in redundanten Ebenen, über die gesamte Lebensdauer des Autos. Das ist eine Herausforderung für uns als Hersteller und für unsere Zulieferer. Man darf nicht vergessen: Mehr als 90 Prozent aller Autounfälle sind durch menschliche Fehler bedingt. Automatisiertes Fahren kann einen großen Teil dieser Unfälle vermeiden und somit Leben retten. Ich bin überzeugt: Wenn das automatisierte, vernetzte Fahren flächendeckend zum Einsatz kommt, werden die Unfallzahlen signifikant sinken.

In welchen Bereichen liegen derzeit die größten Herausforderungen für die Hersteller?

B. Hellenthal: Auf der technischen Seite ist der Trend zur Miniaturisierung in der Halbleiterindustrie ungebrochen. Wir sind mittlerweile in einem Bereich unter 10 Nanometer angelangt. Je kleiner und komplexer die elektronischen Bauteile sind, desto schwieriger wird es natürlich auch, darin mögliche Defekte und Schwachstellen aufzuspüren. Hier müssen die passenden Instrumente und Methoden der Fehlerdiagnostik entwickelt werden, damit wir schon in der Entwicklungsphase eine optimale Qualitätskontrolle sicherstellen können. Innovative Lösungen brauchen wir auch für das Datenvolumen, das beim automatisierten Fahren anfällt. Ein Beispiel: In einem unserer Forschungsfahrzeuge, das mit einem lernfähigen Parkassistenten ausgestattet ist und parallel die Daten von sieben eingebauten Kameras verarbeitet, beträgt es bereits 350 Megabyte pro Sekunde. Zu den wichtigsten Herausforderungen der Mikroelektronik im Automotive-Bereich zählen neue Materialien wie Galliumnitrid, die ebenfalls eine bessere Performance in kleineren Bauteilen ermöglichen können. Auch bei solchen Materialien müssen wir bis ins Detail verstehen, wie sie sich im Einsatz, auch unter extremen Bedingungen, verhalten. All das bringt großen Forschungsbedarf mit sich.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Haben Sie sich schon selbst in ein Auto ohne Fahrer gewagt?

B. Hellenthal: Ja, und ich hatte beim Einsteigen kein mulmiges Gefühl. Ich muss aber gestehen: Der Blick auf einen leeren Fahrersitz in einem fahrenden Auto, das ist schon eine außergewöhnliche Erfahrung.

Herr Hellenthal, vielen Dank für das Gespräch.

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