Bundeskongress: Die GTÜ macht ernst

Wir. Gemeinsam. Erfolgreich. - unter diesem Motto trafen sich Anfang Oktober in Berlin rund 450 Partner der Sachverständigenorganisation GTÜ zu ihrem 14. Bundeskongress. Hauptthema der alle zwei Jahre stattfindenden Tagung waren die Umwälzungen in der Automobilbranche und der vor zwei Jahren ausgerufene Wandel zum "Full Service Dienstleister", mit dem die GTÜ auf die Veränderungen reagieren möchte. Im Fokus dabei stand vor allem der Ausbau der Dienstleistungen im nicht amtlichen Bereich, etwa in der Schadensteuerung.Dass der Wandel nicht einfach wird, machte Markus Beck, aktuell Vorsitzender der GTÜ Gesellschafterversammlung, in seiner Eröffnungsrede deutlich: "Das wird ein harter, steiniger Weg", so Beck. Gleichwohl seien die Startvoraussetzungen günstig: Die GTÜ stehe wirtschaftlich gut da und sei auch durch ihre Gesellschafterstruktur gut aufgestellt. Zudem sei mit der Liberalisierung von Paragraph 21 StVZO, der die sogenannten Vollgutachten und Einzelabnahmen regelt, erst wenige Monate zuvor ein Meilenstein erreicht worden, welcher das Dienstleistungs-Portfolio der GTÜ entscheidend erweitert. Das mache den Prüfdienst für Kunden und Sachverständige, die ihre Prüforganisation wechseln wollen, deutlich attraktiver.Perspektivisch ist laut GTÜ dadurch jährlich ein zusätzlicher Umsatz von rund zehn Millionen Euro für die GTÜ-Partner zu erwarten. Beck dankte daher dem Bundesverkehrsministerium, das bei der Liberalisierung wesentlich geholfen habe. Er mahnte jedoch an, dass es auch noch viele offene Baustellen gebe. So sei beispielsweise nicht ersichtlich, warum bei der Fahrerlaubnisprüfung Monopole nötig seien und Prüfdienste, Werkstätten und Autohäuser ihre Prüfgeräte sowohl eichen als auch kalibrieren lassen müssen. Das sei eine unnötige Doppelbelastung, für die letztlich die Endkunden bezahlen müssen.KlimaschutzdiskussionDie Anregungen und vor allem den Dank nahm Michael Güntner, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, gerne auf und lobte seinerseits den Beitrag der GTÜ zur Verkehrssicherheit und Umweltverträglichkeit der Fahrzeuge in Deutschland. Nach einem Bekenntnis zur Trennung von Fahrzeug-Reparatur und -Überwachung widmete sich Güntner in seinem Vortrag vor allem der aktuellen Klimaschutzdiskussion. Dabei warb er für das Klimapaket der Bundesregierung und beklagte, dass die Klimadebatte vielerorts nicht sachlich geführt und vieles in einen Topf geworfen werde - etwa beim Thema Diesel und Stickoxide oder beim Thema SUV und Verkehrssicherheit. Güntner forderte die anwesenden Sachverständigen deshalb auf, im Alltag durch Gespräche mit den Fahrzeughaltern die Debatte ein Stück weit zu versachlichen.HU-Marktanteil von 16,2 ProzentIm Anschluss daran berichteten die Geschäftsführer Dimitra Theocharidou-Sohns und Robert Köstler den anwesenden GTÜ-Partnern über die aktuelle Lage und Entwicklung der GTÜ. So gibt es in der Organisation derzeit 2.334 Prüfingenieure und 1.175 selbstständige Sachverständigenbüro-Inhaber. Diese erwirtschaften laut Köstler einen Gesamtumsatz von 400 Millionen Euro und erreichen bei der Hauptuntersuchung (HU) einen Marktanteil von 16,2 Prozent. Damit habe es die GTÜ seit der Marktliberalisierung im Jahr 1989 geschafft, dass jede sechste HU in der Bundesrepublik von einem GTÜ-Prüfingenieur durchgeführt werde.Diese Entwicklung werde aber definitiv nicht so weitergehen, warnte Köstler. "Das Marktwachstum ist endlich", so der Geschäftsführer. Er rechne damit, dass der Gesamtmarkt in den kommenden fünf Jahren maximal um 0,5 Prozent jährlich wachse und spätestens ab 2025 ein Schrumpfprozess einsetze. Parallel dazu werde die Zahl der Kfz-Betriebe insgesamt sinken.Neue Software-ToolsFür die GTÜ bedeute das, sie müsse ihr Leistungsspektrum erweitern und verbessern, erklärte Theocharidou-Sohns. Die Geschäftsführerin präsentierte deshalb - oft unter Applaus der Kongressteilnehmer - eine ganze Reihe neuer Software-Tools, die im Laufe der kommenden zwei Jahre in Betrieb gehen sollen.Eines davon soll den Sachverständigen helfen, GTÜ-weit einheitlichere Gutachten nach Paragraph 19.2 und Paragraph 21 der StVZO zu erstellen, indem es sie Schritt für Schritt durch den Gutachten-Prozess führt. Darüber hinaus präsentierte Theocharidou-Sohns das Tool "Evaluate Mobility". Dessen Ziel ist, Schadengutachten für Leasing-Rückläufer deutlich zu beschleunigen. So soll es spätestens ab Frühling 2020 möglich sein, Begutachtungen beim Kunden vor Ort aus einer Tablet- oder Smartphone-App heraus zu erstellen, abzuschließen und final zu versenden. Der Gutachter vermerkt dabei die Schäden am Fahrzeug anhand eines 3D-Modells und belegt diese mit Fotos, die er aus der App heraus schießt. Die Software generiert daraus dann selbstständig das Gutachten.Im hoheitlichen Bereich arbeitet GTÜ aktuell außerdem am Projekt "GTÜ Connect", das den HU-Adapter ablösen soll, sowie am neuen Hauptuntersuchungssystem "Inspect Mobility". Letzteres geht in seiner ersten Stufe bereits im zweiten Halbjahr 2020 an den Start und löst den Vorgänger aus dem Jahr 1994 ab. Damit können Prüfingenieure künftig zum Beispiel Mängel via Headset und Sprachsteuerung vermerken. Bereits im ersten Halbjahr 2020 erhalten GTÜ-Partner zudem Zugriff auf ein neues, onlinebasiertes "GTÜ Partnerportal" zur Auftragsplanung und -verwaltung. Dafür bietet es unter anderem Checklisten zur Auftragsvorbereitung, Routenplaner oder einen GTÜ-internen Auftrags-Marktplatz.Digitale GTÜ-WeltLangfristiges Ziel ist, eine digitale "GTÜ Welt" mit einem hinsichtlich Design, Ergonomie und Funktionalität intuitiven und einheitlichen Benutzererlebnis zu schaffen. Die digitalen Services seien dabei aber kein Selbstzweck, sondern sollten immer so ausgelegt sein, dass sie die Arbeit sinnvoll ergänzen. "Der Mensch muss immer die übergeordnete Instanz sein", betonte Theocharidou-Sohns.Die Investitionen in IT und neue digitale Services sind aus Sicht von Elmar Fuchs vom GTÜ-Gesellschafter BVSK der richtige Weg. Er warnte in seinem Kongressbeitrag zum Thema "digitaler Unfall" davor, bei Themen wie beispielsweise Schadenerkennung und -kalkulation Konkurrenten wie Control Expert, die massiv in die KI-gestützte Datenanalyse investieren, das Feld zu überlassen. Daher gelte es, die Einkünfte aus der HU für neue Dienstleistungen im nicht hoheitlichen Bereich zu nutzen. Nur so könne die nächste Generation von selbstständigen Sachverständigen ihre Aufgaben bewältigen. Darüber hinaus mahnte er die Anwesenden, sich gegenseitig nicht mehr in erster Linie als Konkurrenten zu betrachten, sondern vielmehr gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Daran führe angesichts des Trends zu immer größeren Autohaus-Gruppen kein Weg vorbei. "Der einzelne Sachverständige ist nicht in der Lage, die großen Einheiten zu gewinnen", warnte Fuchs. Die GTÜ-Partner müssten sich daher vernetzen und als einheitliche Marke auftreten. Andernfalls bekämen die großen Angestelltenorganisationen den Vorzug.Zukunft der MobilitätEinen Blick in die Zukunft versuchte auch Prof. Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) in Bergisch Gladbach. Ausgangspunkt seines Vortrags zur Zukunft der Mobilität war die Feststellung, dass es die Automobilhersteller erstmals in ihrer Geschichte mit Wettbewerbern zu tun haben, die in puncto Marktkapitalisierung größer sind als sie selbst. Das liege daran, dass zum bisher isolierten Autohersteller-Universum nun das Mobility-Universum mit Car- und Ride-Sharing-Anbietern wie Uber sowie das Connectivity-Universum mit Playern wie Apple oder Alphabet (Google) als Parallel-Universen hinzukommen. Dadurch müssten sich die OEM, um gegen die neuen Marktteilnehmer anzukommen, mit Themen wie dem autonomen Fahren, Mobilitätsdienstleistungen, Connectivity und Elektromobilität auseinandersetzen. Wer am Ende in diesem neuen Wettbewerbsumfeld das Geschäft bestimme, sei derjenige, der die Kundenschnittstelle besitzt und eine Plattform hat, über die diese Dienstleistungen abgerufen werden, glaubt Bratzel.Welche Auswirkungen die neuen vernetzten und autonomen Fahrfunktionen für die Fahrzeugüberwachung haben, war schließlich das Thema des letzten Fachvortrags von Philipp Schuricht, Geschäftsführer der FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH. Diese werde künftig aus drei Stufen bestehen. Die erste umfasse die klassischen Prüf-Bestandteile der HU, die auch bei hochautomatisierten und elektrifizierten Fahrzeugen nach wie vor unerlässlich seien. Dazu gehöre etwa Licht, Bremsen oder Lenkung zu inspizieren. Mit der zweiten Stufe komme dann eine zusätzliche dynamische Fahrprüfung hinzu, bei der mit Hilfe des HU-Adapters während einer Prüffahrt etwa ABS, ESP oder die Achsdämpfung untersucht werden. Das sei notwendig, da es keine Garantie dafür gebe, dass die Eigendiagnose der Fahrzeuge wirklich verlässlich und fehlerfrei arbeite, so Schuricht. Die dritte Stufe sei dann ergänzend zur periodischen Prüfung eine kontinuierliche Prüfung "over the air". Damit lasse sich fortlaufend prüfen, ob etwa die Fahrzeugsoftware auf dem jeweils aktuellen und zulässigen Stand ist, oder ob es Verschleißmeldungen des Fahrzeugs gebe.Ob für die HU künftig weiterhin der HU-Adapter oder doch individuelle Lösungen der jeweiligen Prüforganisationen zum Einsatz kommen werden, war dann später noch ein Thema in der abschließenden Podiumsdiskussion. Dabei machte Robert Köstler zur Freude vieler Kongressteilnehmer deutlich, dass er den Adapter gerne bis 2022 ablösen will. Ob das bis dahin klappt, wird sich zeigen - spätestens in zwei Jahren, wenn in Lübeck der nächste GTÜ-Bundeskongress stattfindet.

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