Mittelstand: Hat der stationäre Handel noch Zukunft?

Für uns als Geschäftsführerinnen eines traditionellen mittelständischen Unternehmens bringen die modernen Zeiten einen großen Umbruch und sind eine ernorme Herausforderung. In der gesamten Zeit, die meine Schwester und ich unseren Familienbetrieb führen, fühlten wir uns immer sehr gut aufgestellt. Als wir 1998 in die Geschäftsführung eintraten, war unser Vertrauen in unsere Marken und in das Geschäftsmodell so groß, dass wir weder ein großes Zeitfenster noch externe Berater für unsere Entscheidung benötigten.Der Hauptsitz unseres Unternehmens mit den Marken VW, VW-Nutzfahrzeug, Audi und Skoda ist in Itzehoe, einer Kleinstadt mit 33.000 Einwohnern, die beiden Servicebetriebe liegen in Richtung Norden an der strukturschwachen Westküste Schleswig-Holsteins. Hamburg ist 65 km entfernt, die Strahlkraft dieser Metropole ist bei uns kaum zu spüren. Unsere Region ist geprägt von mittelständischen Betrieben, Industriebetriebe gibt es kaum. Selbstverständlich hat es in unserer 85-jährigen Firmengeschichte Höhen und Tiefen gegeben. Doch in all den Jahren hatten wir bei allen wirtschaftlichen Schwankungen stets gute Ergebnisse, die uns weitere Investitionen ermöglicht haben.Das erste einschneidende Erlebnis mit der Digitalisierung hatten wir mit der Einführung der Online-Börsen im Gebrauchtwagenverkauf. Nach anfänglicher Sorge, dies würde das Ende unserer GW-Plätze bedeuten, ergaben sich tatsächlich neue Absatzmärkte, die das Geschäft belebten. Inzwischen findet man die Digitalisierung in allen Kostenstellen des Autohauses.Auswirkungen neuer HändlerverträgeUm den aus unserer Sicht richtigen Weg in die Zukunft einzuschlagen und damit als stationärer Handelsbetrieb zukunftsfähig zu sein, sind zunächst zwei Faktoren von elementarer Bedeutung:Zunächst einmal müssen Auswirkungen der neuen Händlerverträge auf unseren Betrieb analysiert werden. Betrachtet man beispielsweise das Thema functions on demand: Hat der Kunde sich aufgrund der Initiative und Beratung durch den Händler Funktionen freischalten lassen, so soll der Händler dafür eine Provision erhalten, in welcher Höhe bleibt noch offen. Bislang hat man diese Ausstattungen mit dem Neuwagen zusammen verkauft und dafür die Fahrzeugmarge erhalten, die Einnahmen waren kalkulierbar.Wie sieht zukünftig die Provision aus, wenn der Kunde die Standheizung für fünf Monate aktiviert? In welchem Umfang wird der Online-Direktvertrieb durch die Hersteller von den Kunden angenommen? Wird es aktivitätenbezogene Provisionen beispielsweise für Probefahrten geben? Wie hoch ist dafür der administrative Aufwand?Einige Auswirkungen der Verträge sind berechenbar, andere werfen viele Fragen auf. Zum Beispiel die E-Mobilität: Veränderungen in Margen- und Bonusregelungen gab es immer schon. Um die Elektrofahrzeuge möglichst zahlreich in den Markt zu bringen (Einhaltung der Grenzwerte), werden diese Fahrzeuge besonders bonifiziert. Grundsätzlich nichts Besonderes, doch wie sieht am Ende das Betriebsergebnis aus, wenn die Margen für Verbrenner gekürzt und Bonuszahlungen für Elektrofahrzeuge ausgelobt werden, die Kunden sich jedoch noch nicht in dem geplanten Umfang für die E-Mobilität entscheiden?Persönliche und digitale Betreuung ist doppelter AufwandUnd damit komme ich zu dem weiteren wichtigen Einflussfaktor, zu unseren Kunden. Es ist nicht schwer vorstellbar, dass wir mit unserer 85-jährigen Geschichte in einer Kleinstadt wie Itzehoe eine sehr enge Beziehung zu unseren Kunden haben. Unser Unternehmen ist in der Region bekannt, wir pflegen den persönlichen Kontakt zu unseren Kunden. Darin liegt unsere Stärke! Dennoch werden auch wir zukünftig vermehrt in die Digitalisierung investieren, um nicht den Anschluss insbesondere an die jüngere Generation zu verlieren.Die Herausforderung unseres Betriebes liegt darin, sowohl die vorhandenen langjährigen Kunden zu bedienen - mit dem entsprechenden Personal -, als auch in neue Geschäftsfelder zu investieren. Dies ist mit hohem Kosten- und Zeitaufwand verbunden. Unsere Aufgabe liegt darin, uns über die zahlreichen digitalen Angebote zu informieren und zu prüfen, ob sie auf unser Unternehmen und unsere Kundenstruktur anwendbar sind. Hier helfen uns Tradition und Erfahrung, jene Werte, auf die wir uns bislang immer verlassen konnten, nicht wirklich weiter. Wir müssen neue Wege ausprobieren!Carsharing in der Kleinstadt?Nehmen wir das Beispiel carsharinglabo - in Metropolen schon erfolgreich eingesetzt: Auf den ersten Blick haben wir dieses Geschäftsmodell für unsere Kleinstadt als nicht interessant abgelehnt. Nachdem wir uns intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt haben, sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass es in abgewandelter (man kann auch sagen abgespeckter) Form durchaus für unsere ländliche Region interessant sein könnte. Ein weiteres Geschäftsmodell mit Potenzial ist das Vermietgeschäft. Bislang als Werkstattersatz an Werktagen genutzt, kann die Fahrzeugflotte (40 FZ) mit digitalen Hilfsmitteln durchaus an Wochenenden auf die Straße gebracht werden und Erträge generieren.Für mich persönlich nur schwer vorstellbar ist der Online-Kauf von Fahrzeugen in großem Umfang. Eine detaillierte digitale Information vor dem Fahrzeugkauf ist selbstverständlich gängige Praxis, die attraktive Bereitstellung dieser Informationen auf der Händlerhomepage ist dafür unverzichtbar. Betrachtet man jedoch die intensiven Beratungsgespräche, die wir heute noch führen - zwei Stunden sind keine Seltenheit -, glaube ich nicht, dass der Kauf zukünftig per Knopfdruck realisiert wird.Wobei man differenzieren muss: Einfache Modelle mit wenigen Ausstattungsdetails werden sicherlich vermehrt online gekauft, bei hochpreisigen Fahrzeugen sehe ich das aufgrund des intensiven Beratungsbedarfs eher nicht. Für uns Händler bedeutet dies, dass wir sowohl den herkömmlichen Verkaufsberater haben müssen als auch den Online-Verkäufer. Digitale Ergänzungen für den Vertrieb sind geordert, teilweise bieten wir den Online-Vertrieb im Gebrauchtwagengeschäft an, bislang ohne große Kundenresonanz. Das gilt auch für die Online-Terminbuchung, die Nutzung dieses Angebotes ist noch sehr gering, obwohl die telefonische Erreichbarkeit in der Rädersaison jedes Mal eine große Herausforderung für den Kunden darstellt.Mehr Freiraum für strategische Überlegungen schaffenSo wie unser Unternehmen aufgestellt war, blieb uns kaum Freiraum für strategische Überlegungen: eingebunden in das Tagesgeschäft, immer ein offenes Ohr für die Kunden und Mitarbeiter, froh, wenn alle Standardanforderungen erfüllt, das Jahresziel erreicht und das nötige Betriebsergebnis erzielt wurde.Um dies zu ändern, haben wir die zweite Führungsebene mehr in die Verantwortung genommen und den Mitarbeitern durch entsprechendes Coaching Führungskompetenz vermittelt. Wir dürfen dabei aber nicht die Nähe zu Kunden und Mitarbeitern verlieren, denn das ist es, was uns als Familienbetrieb ausmacht. Zumal das Thema Mitarbeiter bzw. Fachkräftemangel bei uns im strukturschwachen Gebiet eine große Auswirkung auf die Betriebe hat.Die Veränderung mit Partnern leichter bewältigenWir werden die Veränderungen in unserer Branche nicht alleine bewältigen können. Haben wir vor einigen Jahren mit Überzeugung gesagt, Wir sind gut aufgestellt!, so sehen wir jetzt die Notwendigkeit, die Herausforderungen mit Partnern anzugehen. Als langjähriges Mitglied einer Händlerkooperation haben wir bereits in der Vergangenheit Synergieeffekte genutzt, diese Zusammenarbeit wird jetzt deutlich enger und effektiver. Auch hier nimmt das Thema Strategie und Digitalisierung zunehmend an Fahrt auf.Wir beschäftigen uns mit den Themen Synergien, Kooperation und Fusion. Das Thema Fusion ist bei unserer langjährigen Selbstständigkeit zunächst sicherlich ein befremdlicher Gedanke, doch allein der intensive Austausch zu diesen Themen nimmt einem die anfängliche Scheu. Auch wenn das Thema Fusion aus heutiger Sicht für uns nicht akut ist, ist es wichtig und aus unserer Sicht notwendig, sich damit auseinanderzusetzen.Wir halten es für sehr wichtig, sich zumindest gedanklich keinem Weg zu verschließen. Es ist notwendig, sich mit den neuen Ideen auseinanderzusetzen, sie auf unsere Betriebe und Kunden anzupassen und auszuprobieren. Wir gehen diesen Weg nicht allein, sondern machen es gemeinsam mit Partnern, die zu uns passen. Wir machen dies mit Herzblut und Empathie! Wir sind überzeugt, mit Engagement, Flexibilität und Agilität unsere Betriebe in die Zukunft führen zu können.Der Betrieb1934 gegründet von Großvater Theodor Stammsitz Itzehoe, drei Betriebe Marken Volkswagen, VW-Nutzfahrzeuge, Audi und SkodaVerkauf von 1.200 GW und 800 NWlJahr 140 Mitarbeiter 35 MietwagenDie AutorinNina Eskildsen ist seit Januar 1998 Geschäftsführerin der Eskildsen GmbH & Co. KG. Außerdem ist sie Präsidentin des Kfz-Verbandes Schleswig-Holstein und fungiert als Ehrenamtliche Richterin beim Sozialgericht und beim Arbeitsgericht.

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