Von Ralf Padrtka und Frank Selzle
"Best Customer Experience", "Future Retail" und "Cyberstore" lauten derzeit die Schlagworte im Fahrzeugvertrieb. Insbesondere deutsche Premiumhersteller basteln an neuen Formaten im Verkauf. Ihr Ziel: möglichst viele Kundenkontaktpunkte schaffen – real wie digital. Doch das wirft Fragen auf: Was sind die strategischen Ziele? Wie rentabel sind die Konzepte? Wie können sie mit den klassischen Vertriebskanälen vernetzt werden? Was passiert mit dem stationären Handel? Die Münchner Unternehmensberatung IIC Group hat die neuen Retailkonzepte in einer Studie untersucht. AUTOHAUS sprach mit den Beratern Thomas Hegger und Jochen Weiss.
AUTOHAUS: Bis wann werden sich die neuen Angebote in den Vertriebssystemen etablieren?
T. Hegger: Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Entscheidung für ein neues Vertriebsformat momentan sehr individuell ist und sich bei den Herstellern noch keine klare Linie für einen universell anwendbaren Prozess herausgebildet hat. In unseren Augen ist die Testphase jedoch bereits vorüber und die Hersteller gehen nun über zur Implementierung. Volvo beispielsweise hat einen Großteil des Messe-Budgets transferiert zum Thema Pop-up Stores.
AUTOHAUS: Umfragen zeigen, dass immer mehr potenzielle Autokäufer ins Internet abwandern. Warum braucht es dann in Zukunft neue Store-Konzepte?
J. Weiss: Internet-Verkauf und neue Store-Konzepte müssen sich ergänzen, da der persönliche Kontakt für bestimmte Kundengruppen beim Autokauf weiterhin eine Rolle spielen wird. Selbst das klassische Autohaus wie wir es heute kennen, wird weiterhin seinen Platz in einem echten "Multichannel"-Vertrieb behaupten, jedoch mit einem geringeren Anteil an den Gesamtverkäufen.
Wie können die neuen Vertriebsformate in bestehende Händlernetze integriert werden?
J. Weiss: Dass sich Auswirkungen ergeben, zeichnet sich heute schon ab. Wie genau und in welcher Form wird sich in den kommenden Jahren herausstellen. Der klassische Handel wird sich sicher in Zukunft schlanker aufstellen können, muss aber gleichzeitig seine Bemühungen in der Kundenbetreuung deutlich intensivieren. Ausschlaggebend ist in unseren Augen eine durchgängige Verfügbarkeit der Kundendaten in allen Vertriebsformaten, einhergehend mit einer Anpassung des Margen- und Bonussystems, damit die jeweiligen Vertriebsformate entsprechend ihrer Leistung im Verkaufsprozess entlohnt werden.
Wichtig ist also ein übergreifendes Kundendatenmanagement?
J. Weiss: Genau zu diesem Thema entwickelt die IIC Group gerade ein Produkt, das es dem Handel erleichtert, Kunden zum Wiedermotorisierungszeitpunkt aktiv anzusprechen und damit die Kundenbindung zu erhöhen. Elementar dabei ist, dass alle relevanten Kundendaten in jedem Vertriebsformat einheitlich zur Verfügung stehen.
Laut Ihrer Studie sind "Brand Stores" in teuren Innenstadtlagen nicht rentabel. Warum ist das Konzept dennoch wichtig für die Hersteller?
T. Hegger: Positive Abstrahleffekte auf Image und Marke sind als wichtigste Faktoren an erster Stelle zu nennen. Die Herausforderung hierbei ist, dass diese Effekte schwierig messbar sind. Mit dem klassischen Automobilgeschäft wird sich ein Brand Store nur im Ausnahmefall profitabel darstellen lassen. Vorstellbar ist, dass über wechselnde oder feste Partner (Veranstaltungen, Verkaufsfläche usw.) ein Teil der Mietkosten refinanziert werden kann.
Die neuen Vertriebsformate sind bisher reine Marketing- oder Verkaufsanbahnungsflächen. Der für die Automobilwirtschaft wichtige Aftermarket mit Werkstattservice und Teile/Zubehörverkauf ist dabei nicht berücksichtigt. Welche Konzepte muss es dafür in Zukunft geben?
T. Hegger: Jetzt sind wir bei einem Knackpunkt angelangt: Schnittstellen-Management. Unsere Studie aus 2014 zeigt auf, dass Händler bereits in ihrem eigenen Betrieb Probleme haben, Kunden geschäftsbereichsübergreifend – also bei Neuwagen, Gebrauchtwagen und Service – zu betreuen. Mit den neuen Vertriebsformaten kommt hier eine weitere Komponente hinzu, welche die Komplexität zusätzlich steigert. Hier sind die Hersteller und Importeure gefordert, alle Vertriebsformate mit Qualifizierung, Systemen und Prozessen zu unterstützen.
Sehen Sie eine verstärkte Tendenz zum Direktvertrieb durch den Hersteller?
T. Hegger: Betrachten wir ausschließlich die neuen Retail-Formate, ist diese Tendenz durchaus erkennbar. Auf der anderen Seite werden Niederlassungsnetze teilweise radikal ausgedünnt, etwa bei Mercedes und PSA. Deshalb ist aus unserer Sicht momentan noch keine klare Tendenz erkennbar.
Bislang tun sich vor allem Premiumhersteller mit neuen Vertriebsformaten hervor. Müssen auch die Volumenmarken diesen Weg gehen?
T. Hegger: Die interessantesten Möglichkeiten gibt es bestimmt im Premium/Luxus-Bereich sowie bei den Low-Budget-Marken. Nichtsdestotrotz sollten auch die klassischen Volumenmarken bei neuen Vertriebsformaten aktiv werden, um die offensichtlichen Vorteile vollumfänglich nutzen zu können.
Herr Hegger, Herr Weiss, vielen Dank für das Gespräch.
Die Kernaussagen der IIC-Studie:
- Neue Vertriebsformate verbessern das Kunden-Marken-Erlebnis, aber der Entscheidungsprozess für ein neues Format bedarf der Weiterentwicklung
- Die Hersteller müssen ein einheitliches Markenerlebnis über alle neuen und bestehenden Vertriebsformate sicherstellen
- Ein Erfolgsfaktor wird zukünftig sein, relevante Kundendaten über Verkaufsformate und Vertriebsebenen hinweg einheitlich nutzbar zu machen
Untersucht wurden die Ziele und die Effektivität der folgenden Vertriebsformate von Premiumherstellern:
Pop-Up Store: errichtet für einen kurzen Zeitraum an hochfrequentierten Orten, mit dem Ziel möglichste viele Leads zu generieren.
Brand Store: innerstädtische Verkaufsfläche mit Verweilatmosphäre durch Markenerlebnis.
Driving Center: verschiedene Testfahrtstrecken und zusätzliches Programm sollen ein Erlebnis für die ganze Familie kreieren.
Brand Experience Center: Markentempel, meist an Stammwerk des Herstellers angebunden und einzigartig für jede Automarke (z.B. Autostadt, BMW Welt).
Bernhard Seilz
Studie
Heinz Eich
Dieter Olk, Bitburg
Thomas Hegger
Jochen S.
Charly
Kurt Nürnberg