Optimismus überall: Die Autobranche strotzt in diesen Tagen nur so vor Kraft, eine Rekordmeldung jagt die nächste. Im Sog der Produzenten fahren auch die Zulieferer Rekorde ein. Doch immer mehr von ihnen wollen nicht mehr nur am Tropf der Autobauer hängen - dieser Wunsch reifte spätestens in der Krise. Die Automotive-Lieferanten nutzen die brummende Konjunktur auch, um mit dem Schwung auf andere Geschäftsfelder zu drängen oder Kooperationen festzuzurren. Dabei helfen nicht mehr nur die Banken: Börsengänge, sagen Experten, könnte es vor diesem Hintergrund öfter geben.
Ein Schwergewicht der Branche denkt bereits laut darüber nach: Der Autozulieferer und Rüstungskonzern Rheinmetall prüft einen Börsengang seiner Automotive-Sparte Kolbenschmidt Pierburg AG. Sie erwies sich 2010 gegenüber der zweiten Säule Rüstung als alleiniges Zugpferd beim Gewinnwachstum. Rheinmetall hatte die Sparte in der Krise umgebaut. Auch bei anderen Unternehmen ist viel in Bewegung. Der weltgrößte Autozulieferer Bosch etwa peilt in diesem Jahr in seiner mit Abstand wichtigsten Sparte Kraftfahrzeugtechnik einen Rekorderlös jenseits der Schwelle von 30 Milliarden Euro an. Und dennoch: Die Abhängigkeit vom Kfz-Bereich als Top-Umsatzbringer soll schwinden. Vor wenigen Tagen eröffnete Bosch die Zentrale seiner Solarenergie-Tochter in Thüringen - 530 Millionen Euro für ihren Aufbau sind die zweitgrößte Investition in der Geschichte des Konzerns. Bei der Solar-Tochter arbeiten derzeit 3500 Menschen. 7.000 Beschäftigte sollen es 2017 sein.
"Vom Grundsatz her versuchen derzeit viele Zulieferer, sich breiter aufzustellen als in der Vergangenheit und damit ein Stück unabhängiger von den Autobauern zu werden", sagt Peter Fuß, Automobilexperte bei der Beratungsgesellschaft Ernst & Young. "Das ist zum Großteil auch eine Lehre aus der Krise. Viele Zulieferer haben mit diesem Weg aber auch schon vor der Krise begonnen." Auf Bosch beispielsweise trifft das zu. Der Weltmarktführer treibt den Ausbau seiner Aktivitäten fern der Autobranche seit längerer Zeit voran. Neben dem Bereich Kfz mit 60 Prozent vom Gesamtumsatz hat Bosch als zweite und dritte Säule auch die Industrietechnik - dazu zählt die Solarsparte - sowie die Gebrauchsgüter und Gebäudetechnik.
Was bei Bosch die Sonne ist, ist beim Wettbewerber ZF der Wind. Dem Automobilzulieferer aus Friedrichshafen geht es derzeit glänzend. Im laufenden Jahr sollen mehr als 14 Milliarden Euro erlöst werden - zehn Prozent mehr als 2010. Und erst Anfang dieser Woche gab ZF bekannt, sein Geschäft mit Getrieben für Windkraftanlagen massiv auszubauen. Dafür soll der belgische Windkraftspezialist Hansen für rund eine halbe Milliarde Euro geschluckt werden. Sollte der Deal klappen, wäre ZF Europas drittgrößter Windkraftgetriebeproduzent.
Know-How auch in andere Bereiche hineinbringen
Branchenexperte Fuß sieht in solchen Trends aber kein Indiz dafür, dass Zulieferer nicht mehr langfristig an ihre Kernkunden glauben. "Generell bedeuten diese Bestrebungen nicht, dass sie von einem Schrumpfen der Autobranche ausgehen. Im Gegenteil: Bis 2050 ist mit einer Verdoppelung des weltweiten Fahrzeugbestandes zu rechnen." Das Erschließen neuer Geschäftsfelder sei eher eine logische Folge aus den gutlaufenden Kfz-Geschäften. "Vielerorts wird versucht, das eigene Know-How auch in andere Bereiche hineinzubringen - also zu schauen, wie sich die Kompetenzen noch multiplizieren lassen", sagt Fuß. Bosch etwa ist ein Beispiel dafür: Der Konzern gab vor wenigen Tagen Details seiner Zusammenarbeit mit Daimler für einen gemeinsamen E-Motor bekannt.
Andere Zulieferer expandieren kräftig, etwa Europas größter Reifenhersteller Continental. In seinem weltweiten Konzernverbund gewinnt die Ausstattung von Autos mit intelligenten Unterhaltungs-, Steuer- und Regelsystemen an Gewicht. So soll im russischen Kaluga neben einem neuen Reifenwerk für rund 220 Millionen Euro Contis Fertigung der Fahrzeugelektronik ausgeweitet werden. Im chinesischen Jinan eröffnete das Unternehmen im Mai eine Produktionslinie für Nutzfahrzeug-Systeme. Generell wächst die Bedeutung der zweiten Konzernsäule - der Antriebs-, Kommunikations- und Sicherheitstechnik. Und bei den neuen Batterietechnologien für E-Mobilität wollen die Hannoveraner künftig natürlich auch kräftig mitmischen.