Während die Fahrzeugtechnik sich in rasantem Tempo weitentwickelt, hinkt die Technische Überwachung hinterher – diese provokante These stellte Udo Schütt, Chef-Sachverständiger der FSP in seinem Eröffnungsstatement auf: "Betrachtet man sich die Inhalte der Hauptuntersuchung, findet man größtenteils Vorgaben, die schon vor 35 Jahren enthalten waren. Bis auf die Fehlerspeicherauslese ist wenig passiert, Fakt ist aber auch: Fahrerassistenzsysteme stellen sich nicht von selbst ein. Da die Umfänge der HU in Berlin festgelegt werden, besteht dort der aktuell größte Handlungsbedarf." Marco Schmickler, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Sachverständigenwesen TÜV SÜD, wies auf den noch viele Jahre zu erwartenden Mischverkehr hin: "Unsere Prüfingenieure werden sich auch 2035 und darüber hinaus noch mit Korrosion und Mechanik auseinandersetzen. Auf der anderen Seite benötigen wir aber den tiefen Einblick in alle Fahrzeugsysteme, um bei autonomer Fahrt die nach einem Unfall aufkommenden Haftungsfragen eindeutig klären zu können."
HU wird deutlich komplexer
Um solche Funktionen künftig verlässlich prüfen zu können, sei bereits bei der Homologation anzusetzen, pflichtete ihm sein Kollege aus dem Norden, Jens Staron von TÜV NORD, bei: "Die Überwachungsorganisationen brauchen Wissen aus erster Hand, um mit den künftigen Modellen nicht überfordert zu sein. Eines ist schon heute sicher: Die komplexer werdende Fahrzeugtechnik wird die Hauptuntersuchung sicherlich nicht einfacher machen. Viele Assistenzsysteme werden eine dynamische Überprüfung im Rahmen einer Probefahrt erforderlich machen." Entscheidend sei dabei immer der grundlegende Auftrag der neutralen Prüfdienstleister, nämlich die Verkehrssicherheit: "Genauso wenig wie ich selbst in ein Fahrzeug einsteigen möchte, bei dem ich nicht von der einwandfreien Funktion aller Systeme überzeugt bin, ist dies irgendeinem Verkehrsteilnehmer in Deutschland zuzumuten. Es ist unsere Pflicht, die Tauglichkeit neuer Funktionen regelmäßig und unabhängig zu kontrollieren", so Dimitra Theocharidou-Sohns, Mitgeschäftsführerin der GTÜ.
Vertrauen wiederherstellen
Diese Aufgabe sei nur gemeinsam mit der Automobilindustrie zu bewältigen, gab Marco Schmickler zu bedenken: "Schon heute ist das eben angesprochene Vertrauen in die Fahrzeugtechnik unabdingbar. Noch wichtiger wird es morgen sein, wenn wir von aktiven Fahrern zu Passagieren werden. Unser Wissensspektrum wird sich deutlich verbreitern, unter anderem um den Aspekt der IT-Sicherheit." Vor allem dann, wenn der heutige Fahrer aufgrund einer Vielzahl von Assistenzsystemen deutlich unaufmerksamer sei, müsse eine 100-prozentige Funktion selbstverständlich sein, forderte Udo Schütt: "Jede Überprüfung muss neutral sein und muss Unsicherheiten verringern. Hier ist in der Tat ein Zusammenspiel von Fahrzeugherstellern, Gesetzgeber, Überwachungsorganisationen und ihren Prüfingenieuren gefragt."
Kräfte gemeinsam bündeln
Die gemeinsame Forderung nach einem Data Trust Center kann nach Meinung der Experten in Potsdam nur den ersten Schritt in die richtige Richtung darstellen: "Wir müssen in die Lage versetzt werden, die Betriebssysteme der einzelnen Marken unabhängig und diskriminierungsfrei zu prüfen", machte Dimitra Theocharidou-Sohns deutlich. Was die Überwachungsorganisationen bräuchten, wäre also klar, so Jens Staron: "Nun muss der Gesetzgeber aktiv werden. Die komplette Hoheit über die Daten aus seinem Fahrzeug muss beim Halter liegen. Über gesicherte Zugänge müssen vor allem nach einem Unfall aber auch Kfz-Sachverständige oder die Staatsanwaltschaft Einblick in alle gespeicherten Informationen erhalten." Um dieses Ziel zu erreichen, sei viel Energie und Geld nötig, war sich Marco Schmickler sicher: "Wir müssen unseren Einfluss in Berlin bündeln." Dass alle großen Prüfkonzerne mit an Bord seien, werde die Zeit bis zur Umsetzung verkürzen, pflichtete ihm Theocharidou-Sohns bei.
Wie die Teilnehmer der Talkrunde zum Thema Hauptuntersuchung ihre Standpunkte in jeweils zehn Sekunden prägnant zusammenfassten, warum auch die Prüftechnik weiterentwickelt werden muss und welche gemeinsame Initiative die Branchengrößen im Februar 2019 bereits zusammengebracht hatte, lesen Sie in der Jahresschlussausgabe von SchadenBusiness, die gemeinsam mit AUTOHAUS 23/24 am 16. Dezember erscheinen wird. (kt)