Autohandel im Digitalen Umbruch: Neustart in die Zukunft

Die Digitalisierung revolutioniert die Automobilwirtschaft und verändert Geschäftsmodelle. Durch Amazon und Co. konditioniert, erwarten Kunden heute einen einfachen, transparenten und vor allem reibungslosen Verkaufsabschluss. Auch der Autohandel muss sich neu erfinden, wenn er eine Zukunft haben will. IT als Motor des Geschäfts Tatsächlich stecken viele Autohäuser noch im Zeitalter der EDV fest, das im Computer in erster Linie einen kostspieligen Produktionsfaktor zur effizienten Verarbeitung großer Datenmengen sieht. Oft sind jedoch nicht einmal Werkstatt und Verkauf über dasselbe System verbunden. Gleiches gilt für die Schnittstelle zwischen Handel und Hersteller sowie beteiligten Dienstleistern und erst recht für den Kontakt mit Interessenten und Kunden. Um einen 360-Grad-Blick zu erhalten, wäre die logische Vernetzung der Systeme erforderlich. Das Autohaus hat heute oft nur ein vages Bild, wer seine Kunden sind. Zu groß ist die Zahl der einzelnen Systeme und Datenbanken. Zwar gibt der Autohandel inzwischen für Online-Marketing mehr Geld aus als für Offline-Marketing. Aber das reicht nicht, um in der digitalen Zukunft bestehen zu können. Hier ist der Einsatz moderner IT gefragt. Im Kern geht es der IT in diesem Kontext um die Veränderung von Arbeitsweisen, die flexible Einbindung von Prozesspartnern und die Gestaltung kundenfreundlicher Anwendungen, auch unter Einbindung von Integrationspunkten für mobile Apps. Es wäre falsch, die IT heute als reinen Kostenfaktor zu betrachten. Vielmehr hat sie sich zum "Enabler", zum Motor der Geschäftsentwicklung gewandelt. Dabei ist der Zeitdruck enorm, und wer nicht schnell genug ist, verliert. Aufgaben für Digital-Experten Eine Hürde auf dem Weg in die Digitalisierung ist oft das fehlende Know-how im Unternehmen. Welche Rolle können digitale Experten, auch Digital Officer genannt, im Autohaus spielen? Sie sollen in erster Linie zwischen alter Offline- und neuer Online-Welt vermitteln und alle Vertriebskanäle des Autohauses miteinander vernetzen. Dazu müssen sie neben dem Wissen um zukunftsweisende digitale Technologien auch Erfahrungen mit dem bewährten Geschäftsmodell des Autohandels mitbringen. Ein Upgrade der meist organisch gewachsenen Systeme ist oft nicht sinnvoll oder nicht möglich. Hier sind Lösungen zu suchen, die Systeme und Kanäle miteinander verbinden, und sicherstellen, dass überall und immer auf alle Produkte und Dienstleistungen zugegriffen werden kann. Mit der vollen Rückendeckung des Chefs hinterfragen die Digital Officers Abläufe und Strukturen, bündeln alle Projekte rund um die Digitalisierung und probieren neue Dinge aus, ohne auf die Lösungen des oder der Hersteller zu warten. Denn dort liegen die Prioritäten beim Ausbau der IT oft ganz woanders. Ziel muss es sein, den Kaufprozess im eigenen Autohaus kundenfreundlicher zu gestalten. Das muss mit allen Mitarbeitern erarbeitet und verbindlich kommuniziert werden. Jeder einzelne Mitarbeiter muss kompetent mit PC, Smartphone und Tablet umgehen können. Haben jüngere Mitarbeiter die digitale DNA schon verinnerlicht, sind die älteren entsprechend zu schulen. Digitale Kundenleads als Schlüssel zum Erfolg Der digitale Verkaufsraum bietet dem Kunden ein One-Stop-Shopping-Erlebnis für Neu- und Gebrauchtwagen, Aftersales, Finanz- und Mobilitätsdienstleistungen. Hier kann er sich informieren, beraten lassen, Verkaufsabschlüsse tätigen. Die rund 44 Millionen Smartphone-Nutzer in Deutschland sind es gewohnt, zwischen Online- und Offline-Vertriebswegen zu wechseln oder diese gleichzeitig zu nutzen: Der Kunde informiert sich z. B. noch während des Gesprächs mit dem Verkaufsberater auf seinem Smartphone über verfügbare Ausstattungsvarianten sowie Finanzierungs- und Versicherungsprodukte. Besuchten die Kunden vor zehn Jahren rund fünf Mal den Verkäufer im Autohaus, bevor sie ein Auto kauften, kommen sie heute nur noch 1,4 Mal. Die digitalen Kundenleads werden also zum Schlüssel für das finale Verkaufsgespräch. Damit sich Kaufinteressent und Autohaus im digitalen Dschungel überhaupt finden, ist die herausragende Positionierung der eigenen Website sicherzustellen. Dies geschieht über die Steuerung der Suchmaschinen im Netz (Google Adwords etc.). Dies sichert die Präsenz und minimiert Streuverluste. Ist im Neuwagengeschäft die individuelle Konfiguration des Fahrzeugs auf der Website bereits ein wichtiges Instrument zur Kundenbindung, hapert es bei Gebrauchtwagen an der professionellen Online-Präsentation, z. B. mit Videos, die das Fahrzeug von außen und innen präsentieren: Die Verkäufer drehen Videos und versenden sie per E-Mail an die Interessenten; sobald der Kunde das Video abspielt, erhält der Verkäufer eine Benachrichtigung und kann den potenziellen Käufer kontaktieren. Digitalisierung des Verkaufsprozesses Viele Kunden wollen sich zunächst alleine mit der Fahrzeugwahl befassen, bevor sie einen abschlussmotivierten Verkäufer kontaktieren. Hier könnte "Rockar" den Weg weisen, ein Hyundai Autohaus in Großbritannien (www.rockar.com). Nach Eingabe aller relevanten Daten (z. B. Budget, Fahrleistung, Finanzierung, Vertragslaufzeit, Inzahlungnahme GW), erhält der Kunde eine Übersicht über in Frage kommende Fahrzeuge. Hier wählt er sein Wunschfahrzeug aus und vereinbart online eine Probefahrt. Der Verkaufsprozess im stationären Autohaus ist hier dem Online-Vertriebskanal 1:1 nachgebildet: einfach, schnell und transparent. An die Stelle des realen Verkäufers tritt der virtuelle Produktberater. In eine ähnliche Richtung zielen auch die Flagshipstores der Premiumhersteller. Digitale Berater und Präsentationen steigern bei diesen Kundengruppen die Zufriedenheit. Und sie sparen Kosten, z. B. indem sie die Vielfalt an Vorführwagen und Zubehör reduzieren können. Digitale Technologien setzen auch neue Maßstäbe für den Verkaufsprozess von Kredit- und Leasingfinanzierung am Point of Sale. So bietet die afb Application Services AG für die Händler- oder Hersteller-Website eine individuelle und integrierte Dialogplattform an. Anstelle von allgemeinen Referenzkalkulationen werden hier verbindliche Leasing- und Finanzierungsangebote unter Berücksichtigung kundenspezifischer Parameter (Laufzeit, Anzahlung) und der fahrzeugspezifischen Angebote der finanzierenden Bank für das Wunschfahrzeug errechnet. Das Layout des Online-Rechners integriert sich dabei optimal in die bestehende Webseite. Auf Wunsch des Kunden erfolgt die umgehende Übermittlung der Kalkulation an den Händler. Befindet sich der Kunde auf der Hersteller-Webseite, wird mittels Geolokalisation der passende Händler vorgeschlagen, an den das Angebot mit den Kontaktdaten des Kunden gesandt wird. Dieser tritt dann mit dem Kundenlead direkt in Kontakt und schließt den Verkaufsprozess ab. So lässt sich eine redundante Datenerfassung vermeiden und die Abschlussquote für Finanzdienstleistung und Fahrzeugverkauf erhöhen. Auch die notwendigen Vertragsunterschriften können ab 1.7.2016 per "Handysignatur" geleistet werden. Die Verordnung über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt" (eIDAS-VO) garantiert eine schnelle und rechtssichere Vertragsunterzeichnung. Dies wird den Verkaufsprozess im Autohaus erheblich beschleunigen. Kurzfassung Der Autohandel muss sich neu erfinden, wenn er eine Zukunft haben soll. Dr. Frank Stenner zeigt hier in seinem Beitrag, auf welche Stellschrauben es dabei ankommt. Dr. Frank Stenner arbeitet als Autor, Berater und Dozent. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) und Herausgeber des Handbuches "Automobilbanken - Finanzdienstleistungen für Mobilität."

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