AUTOHAUS-Servicegipfel: Fahren auf Sicht

Auch im zehnten Jahr seines Bestehens fanden sich die Teilnehmer des AUTOHAUS-Servicegipfels im Wald- und Schlosshotel Friedrichsruhe in Zweiflingen ein, um über das zu sprechen, was die Branche gerade umtreibt - und davon gibt es mehr als genug. Die einhellige Meinung: Nie zuvor war in der Branche so viel los wie dieses Jahr.Unter der Moderation von AUTO-HAUS-Chefredakteur Ralph M. Meunzel diskutierten Steffen Raschig (Würth), Marcel Majert (Falken), Lars Eßmann (Volkswagen), Hilmar Niebel (Skoda), Arno Bach (RR-Team), Jörg Weichsel (Würth), Timo Emig (RR Team), Gerd Meyer (Mazda), Karl Hell (Hyundai), Daglev Seeck (MG), Gino Bieringer (Würth) und Daniel Kronmüller (Würth).Umbruch, soweit das Auge reichtObwohl nahezu jeder Teilnehmer für sein Unternehmen positive Ergebnisse verbuchen konnte, haben viele der Anwesenden Sorgenfalten auf der Stirn. Während Lieferkettenprobleme auf der einen Seite dafür sorgen, dass der Handel derzeit unter seinen Absatzmöglichkeiten bleibt und seine PS nicht auf die Straße bringt, ist auf der anderen Seite überhaupt noch nicht klar, wohin man mit den PS eigentlich will, sofern die Probleme einmal beseitigt sind.Das kolportierte Ende des Verbrenners 2035 sowie der damit einhergehende Wandel hin zur Elektromobilität lässt Investments in einen Euro 7 Diesel fragwürdig erscheinen, was letztlich einem Diesel-Aus 2025 gleichkäme.Wie Paradox die derzeitige Situation ist, wird auch am Beispiel der im Zuge der neuen Euro 6d-Temp entwickelten Partikelzähler deutlich: Weil in Zukunft auch Rußpartikel gezählt werden sollen, müssen die Werkstätten bis 2023 in einen neuen Partikelzähler investieren (ab dem 1.1.2023 soll die Rußpartikelzählung fester Bestandteil der HU sein). Freilich müssen solche Partikelzähler angeschafft werden, mit Blick auf das Verbrenner-Aus 2035 erscheint ein solches Investment aber weder besondern lohnend noch nachhaltig.Ähnlich wenig lukrativ erscheint den Anwesenden das Thema OBFCM (On-Board Fuel Consumption Monitoring). Das Auslesen der Überwachungseinrichtung für den Kraftstoff-/Stromverbrauch, welche die Kluft zwischen Labor- und Realverbrauch aufdecken soll, wird von vielen Service-Chefs skeptisch gesehen. Weil das Auslesen "over-the-air" derzeit noch nicht möglich ist, sieht der Gesetzgeber hier nämlich Vertragshändler und Werkstätten in der Pflicht.In der Praxis bedeutet das Mehrarbeit bei Wartung und Reparatur, die keiner bezahlt. Kein Wunder also, dass manch einer das Problem bis zum 20.5.2023 aussitzen will. Dann nämlich soll die Datenerhebung im Rahmen der HU erfolgen. Bis dahin könne man den Kunden auch auf das Recht hinweisen, dass diese Daten eben nicht erhoben und weitergeleitet werden müssen.TelematikdatenIm Hinblick auf die von vielen Start-ups als "das nächste große Ding" angepriesenen Telematikdaten zeigt man sich hingegen skeptisch. Zwar werde in der ein oder anderen Konzernzentrale "laut darüber nachgedacht", was mit diesen realisiert werden könnte, in Deutschland seien die Hürden in Form des Datenschutzes allerdings derart hoch, dass die Beteiligten dem Thema - zumindest auf dem deutschen Markt - keine allzu rosige Zukunft prognostizieren.Die Kunden müssten schließlich einen Berg an Unterschriften leisten, um ihr Einverständnis hinsichtlich des Datensammelns zu artikulieren. Ein Szenario, das man den Neuwagenkäufern nur allzu gerne ersparen würde. Erste Versuche zeigten aber auch, dass sich damit die Serviceereignisse ankurbeln lassen. Kunden würden schließlich auf die gesammelten Informationen des Rechners vertrauen und eine Werkstatt aufsuchen, wenn es empfohlen wird. Unterm Strich sieht man hier das Versicherungsgeschäft in der Pole-Position, für die das ein deutlich interessanteres Thema sei.Eine in diesem Zusammenhang sicherlich nicht weniger heiß diskutierte Idee ist das Ausspielen personalisierter Werbung im Display des Fahrzeugs. Hier könne man sich Kooperationen mit Hotels und Restaurants vorstellen, um deren Werbeanzeigen auf dem im Cockpit verbauten Display auszuspielen."Drumherum" zunehmend wichtigerAktuell ist das Thema Werkstattauslastung eigentlich gar kein Thema. Die Auftragsbücher sind prall gefüllt und die Service-Werkstätten über Wochen hinaus ausgelastet. Im Zuge der sich anbahnenden Elektromobilitäts-Welle ist aber auch klar: Ewig wird das so nicht weitergehen.Das Elektroauto ist zwar deutlich weniger lukrativ, was Wartung, Verschleiß und Verbrauchsstoffe anbelangt, und wichtige Einnahmequellen wie beispielsweise das Zusatzgeschäft mit dem Öl würden wegbrechen, die Elektrifizierung des Antriebs birgt aber auch Vorteile. Es gilt, sich auf das "Drumherum" zu konzentrieren.Kunden bräuchten schließlich nicht nur ein Elektroauto, sondern auch eine Wallbox und, sofern sie es mit dem Nachhaltigkeitsaspekt wirklich ernst meinen, auch eine PV-Anlage. Hier schlummert nach Meinung vieler Teilnehmer ein enormes Potenzial für den Aftersales-Bereich, man müsse nur zugreifen und dürfe die Gelegenheit nicht verstreichen lassen.Ungenutztes PotenzialBei der Digitalisierung im Bereich Service bahnen sich große Nachholeffekte an. In Anbetracht der mehr als guten Werkstattauslastung sei das Thema Digitalisierung bisher nicht allzu breit getreten worden - weder war es zwingend nötig noch besonders erfolgversprechend, schließlich zieht eine derartige Investition erst einmal keine direkten Aufträge nach sich.Das Ergebnis ist, dass die entsprechenden Schnittstellen bei einem Großteil der Betriebe zwar vorhanden sind, oft aber ungenutzt blieben. Hier gelte es, die bereits vorhandenen Möglichkeiten besser zu nutzen, was nicht nur eine technische, sondern auch eine Frage der Mitarbeitermotivation sei.Ebenso müsse man im Zuge der Digitalisierung den Einsatz neuer Technik überdenken. Ganz konkret debattierten die Teilnehmer über den Einsatz von Fahrzeugscannern, die innerhalb weniger Sekunden ein gestochen scharfes Bild des Fahrzeugunterbodens erstellen, mittels künstlicher Bilder auf Beschädigungen überprüfen und wenige Sekunden später das Ergebnis auf dem Bildschirm des Servicemitarbeiters anzeigen.Dem Kunden könne man so den für den Laien oft wenig aufschlussreichen Gang unter die Hebebühne ersparen und stattdessen in der angenehmen Atmosphäre des Service-Bereichs gemeinsam mit dem Servicemitarbeiter das Ergebnis des Scans in Augenschein nehmen.Trend zum Ganzjahresreifen hält anDen Servicepartnern blieb natürlich auch der Trend zum Ganzjahresreifen, der seit mehreren Jahren anhält, nicht verborgen, rund 20 Prozent beträgt deren Marktanteil inzwischen, Tendenz steigend. Die Message vom schlechten Bremsweg, insbesondere im Sommer, ist jedoch längst noch nicht beim Kunden angekommen.Hier sieht man den Händler in der Pflicht, die nötige Aufklärungsarbeit zu leisten. Zudem könne man E-Auto-Fahrern diesen Reifentyp nicht guten Gewissens empfehlen. Die schweren Elektroautos würden den ohnehin schon hohen Reifenverschleiß zusätzlich fördern, vom schlechteren Bremsweg ganz zu schweigen.Umsätze im Handel verschieben sichEine weitere Entwicklung, die diskutiert wird, ist der Service im Allgemeinen. Viele Hersteller, allen voran Tesla, machen deutlich, dass das Servicegeschäft für sie keine Cash Cow, sondern lediglich eine "Versicherung der Marke" darstellt. Freilich eine kontroverse Meinung, ist der Service doch nach wie vor die Visitenkarte des Händlers.

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