Ausgabe 09/2010: Kräftemessen

Kräftemessentarifbindung E Innungsmitgliedschaft ohne Tarifbindung? Bundesarbeitsgericht kontra Verwaltungsgericht! autohaus-juristen rechtsanwälte G. haug & PartnerMit großer Aufmerksamkeit wurden in der Presse drei inhaltsgleiche Urteile des Verwaltungsgerichts Braunschweig (VG) vom 17. 3. 2010 (1 A 272/08,1 A 273/08,1 A 274/08) registriert, wonach Handwerksbetriebe, die Mitglied einer Innung sind, der Bindung an einen Tarifvertrag nicht ausweichen können. Die Urteile sind allerdings nicht rechtskräftig. Das VG hat die Berufung zum Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zugelassen. Das letzte Wort ist hier sicherlich noch nicht gesprochen, insbesondere im Hinblick darauf, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Beschluss vom 18. 7. 2006 - 1 ABR 30/05 - einen Ausstieg aus der Tarifgebundenheit ausdrücklich für möglich erklärt hat.OT-Mitgliedschaft In der Vergangenheit haben die Innungen umfassend für ihre Mitglieder die Möglichkeit einer Mitgliedschaft Ohne Tarifanbindung (OT-Mitgliedschaft) geschaffen. Den Arbeitgebern soll die Dienstleistung des jeweiligen Arbeitgeberverbandes erhalten bleiben, ohne einem Tarifvertrag unterworfen zu sein. Hierfür mussten jeweils die Satzungen entsprechend abgeändert werden. Grundsätzlich kann die OT-Mitgliedschaft nach zwei Modellen herbeigeführt werden: durch das so genannte Aufteilungsmodell und das so genannte Stufenmodell. Bei dem Aufteilungsmodell wird eine Unterorganisation geschaffen, die die Tarifpolitik wahrnimmt. Nur diese Unterorganisation ist tariffähig und tarifzuständig. Die OT-Mitglieder haben aufgrund Satzung weder die Befugnis noch die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Unterorganisation. Beim Stufenmodell wird durch eine Satzungsänderung – ohne Schaffung einer Unterorganisation – die Mitgliedschaft für OT-Mitglieder selbst eingeschränkt. Die OT-Mitglieder sind satzungsgemäß von tarifrechtlichen Fragen, Abstimmungen, Wahlen und Arbeitskampfmaßnahmen ausgenommen. BundesarbeitsgerichtDas Bundesarbeitsgericht hatte 2006 über eine Klage von zwei Arbeitnehmern und von ver.di gegen den Bayerischen Einzelhandels e. V. zu entscheiden. Es ging hier um die Tarifzuständigkeit des Arbeitgeberverbandes sowie die Zulässigkeit einer OT-Mitgliedschaft. Aus diesem Verfahren darf der erste Leitsatz des Gerichtsbeschlusses vom 18. 7. 2006 zitiert werden: „Ein Arbeitgeberverband kann seine Tarifzuständigkeit nicht wirksam auf seine jeweiligen Mitglieder beschränken. Er kann jedoch in seiner Satzung eine Form der Mitgliedschaft vorsehen, die nicht zur Tarifgebundenheit führt.“ In der Satzung des Bayerischen Einzelhandels e. V. war unter anderem festgelegt, dass Mitglieder für Tarifverträge, die nicht für allgemein verbindlich erklärt sind, den Ausschluss der Tarifbindung erklären können, wobei die nicht tarifgebundenen Mitglieder satzungsgemäß nicht berechtigt sind, an der Abstimmung über tarifpolitische Entscheidungen mitzuwirken. Im vorstehenden Verfahren ging es somit um ein „Stufenmodell“ der OT-Mitgliedschaft. Im Prozess handelte es sich zwar vordergründig um die Frage der so genannten Tarifzuständigkeit. Das Bundesarbeitsgericht nutzte jedoch die Möglichkeit, auch umfassend zur OT-Mitgliedschaft Stellung zu nehmen. Nach Auffassung des BAG bestehen grundsätzlich keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken dagegen, dass ein Arbeitgeberverband in seiner Satzung die Möglichkeit einer Mitgliedschaft ohne Tarifangebundenheit vorsieht. Mitglieder, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, sind dann eben keine Mitglieder im Sinne des Tarifrechts. Die Möglichkeit einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung folgt im Grundsatz aus der Verbandsautonomie und der Koalitionsfreiheit. Arbeitgeberverbände sind daher grundsätzlich nicht gehindert, in ihren Satzungen die Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder unterschiedlich auszugestalten. Dies schließt die Möglichkeit ein, Mitgliedschaften vorzusehen, welche nicht die Rechtsfolge des Tarifrechts auslösen. Schließlich beruht die Tarifbindung der Mitglieder der tarifschließenden Verbände auf einem freiwilligen Eintritt in den Verband. Das BAG wörtlich: „Eine OT-Mitgliedschaft widerspricht grundsätzlich weder einfachem Recht noch Verfassungsrecht.“ Das BAG entschied jedoch ausdrücklich nicht darüber, ob Verbände in ihren Satzungen eine OT-Mitgliedschaft einschränkungslos vorsehen können und ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die OT-Mitglieder von der tarifpolitischen Willensbildung des Verbands ausgeschlossen sein müssen. Jedenfalls dann, wenn in der jeweiligen Satzung ein solcher Ausschluss niedergelegt ist und durch die OT-Mitgliedschaften nicht das gesamte Tarifsystem gefährdet wird, kann an der Zulässigkeit der augenblicklich praktizierten OT-Mitgliedschaften aus arbeitsrechtlicher Sicht kein Zweifel bestehen. Verwaltungsgericht BraunschweigDas VG hatte in den eingangs des Beitrags genannten Verfahren über eine Klage von drei Handwerksinnungen gegen die zuständige Handwerkskammer zu entscheiden. Die Innungen wollten durch den Prozess die Handwerkskammer zu einer Satzungsänderung verpflichten. Die Handwerkskammer sollte in der Satzung die Möglichkeit einer OT-Mitgliedschaft einrichten. Die Klagen der Innungen wurden vom VG abgewiesen. Die Urteile des VG liegen im Volltext noch nicht vor. Aus der Pressemitteilung des VG ergibt sich jedoch die Vorabbegründung, dass es gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen soll, die Mitglieder der Innung von der Tarifbindung zu befreien. Die gesetzlichen Regelungen, die den Innungen und Innungsverbänden Tariffähigkeit verleihen, hätten den Zweck, die Tarifautonomie im Bereich des Handwerks zu fördern und den Gewerkschaften einen leistungsfähigen Tarifpartner zur Seite zu stellen. Mit diesem gesetzlichen Ziel sei eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung nicht vereinbar.Eine ausdrückliche gesetzliche Gebundenheit, wie sie das VG sieht, kann allerdings zunächst nicht erkannt werden. § 54 Abs. 3 Nr. 1 der Handwerksordnung bestimmt nur Folgendes: „Die Handwerksinnung kann Tarifverträge abschließen, soweit und solange solche Verträge nicht durch den Innungsverband für den Bereich der Handwerksinnung geschlossen sind.“ Nach dem Gesetzeswortlaut ist somit eine Innung nicht zum Abschluss eines Tarifvertrages verpflichtet. Wenn jedoch eine Innung insgesamt keinen Tarifvertrag abschließen muss, weshalb soll für sie dann nicht auch die Möglichkeit einer OT-Mitgliedschaft gegeben sein? Das VG hat offensichtlich nicht zwischen Tarifzuständigkeit und Tarifbindung unterschieden, wie dies das BAG im vorgenannten Beschluss vom 18. 7. 2006 umfassend getan hat. Man darf auf die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts als Berufungsinstanz gespannt sein, dem die Lektüre des BAG-Beschlusses anempfohlen werden darf. Sowohl die Innungen wie auch die Handwerkskammer sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Fragen der Satzungsgebung einer solchen Körperschaft werden daher nicht der Arbeits-, sondern der Verwaltungsgerichtsbarkeit zugewiesen. Demgemäß kann es – wieder einmal – hier zu unterschiedlichen Urteilen unterschiedlicher Gerichtszweige kommen. Rainer Bopp, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrechtkanzlei@raehaug-partner.deKurzfassung1. Viele Arbeitgeberverbände bieten ihren Mitgliedern schon seit längerem die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung an (OT-Mitgliedschaft). Die Verbandssatzungen wurden hierfür speziell geändert. Die Zulässigkeit einer OT-Mitgliedschaft ist noch immer umstritten.2. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts widerspricht die OT-Mitgliedschaft grundsätzlich weder einfachem Recht noch Verfassungsrecht. OT-Mitglieder können eine Tarifbindung vermeiden. Ob und gegebenenfalls welche Einschränkungen für eine OT-Mitgliedschaft zu beachten sind, ist bisher nicht entschieden.3. Nach Meinung des Verwaltungsgerichts Braunschweig stellt eine OT-Mitgliedschaft einen Gesetzesverstoß dar. Der Tarifbindung kann sich ein Handwerksbetrieb danach nur dadurch entziehen, indem er aus der Innung austritt. Andernfalls ist der Betrieb an alle Tarifverträge gebunden, die die Innung oder der Innungsverband abgeschlossen haben.Kommentar< Kaum waren die Urteile des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 17. 3. 2010 bekannt, durfte der DGB in seinem Newsletter vom 19. 3. 2010 zu „Handwerker kompakt“ eine „höchst erfreuliche Stellungnahme“ abgeben. Das DGB Vorstandsmitglied Claus Matecki wird dort mit folgender Aussage zitiert: „Dieses Urteil ist auch ein Warnsignal für die Innungen aller anderen Bezirke, die in ihrer Satzung eine so genannte OT-Mitgliedschaft vorsehen. Derartige Satzungen sind nicht rechtskonform und müssen entsprechend überarbeitet werden.“ Der DGB vermeidet in seinem Newsletter allerdings die Mitteilung, dass die Urteile des Verwaltungsgerichts nicht rechtskräftig sind und sich ein Berufungsverfahren anschließen wird. Der DGB vermeidet auch die Mitteilung, dass das Bundesarbeitsgericht in seinem Beschluss vom 18. 7. 2006 die OT-Mitgliedschaft für zulässig erachtet hat. Für eine – aus Sicht des DGB – „höchst erfreuliche Stellungnahme“ ist es nach alledem zu früh. Sollte sich ergeben, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit bis hin zum Bundesverwaltungsgericht die OT-Mitgliedschaft als unzulässig ansieht, wäre bei einem vorhandenen Widerstreit zweier Höchstgerichte wohl der Gesetzgeber gefordert. >

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