Fahrzeughandel: Neues Kaufrecht ab 2022 - Teil I

Mit der Umsetzung der EU- Warenkaufrichtlinie 2019/771 vom 20.9.2019 wird eine weitere Harmonisierung des EU-Binnenmarktes vorangetrieben. Unter der Prämisse eines einheitlich hohen Verbraucherschutzniveaus soll nunmehr unter Einbezug speziell auch digitaler Produkte im grenzüberschreitenden Warenverkehr für Verbraucher zusätzliche Rechtssicherheit geschaffen werden. Insbesondere sollen unter Geltung der Vorgängerrichtlinie 1999/44/EG in den Mitgliedstaaten unterschiedlich wahrgenommene Möglichkeiten zur Ausgestaltung des Sachmängelhaftungsrechts durch aktuell neue Vorgaben eine Anpassung erfahren, wann eine Ware vertragsgemäß ist, welche Abhilfen im Falle einer Vertragswidrigkeit zur Verfügung stehen und wie solche Abhilfen geltend gemacht werden können. Die nach der Richtlinie vorgeschriebene strikte Umsetzung in nationales Recht erfolgt in Deutschland mit dem "Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags", das fristgerecht zum 1.1.2022 in Kraft treten wird.Mit dieser Gesetzesänderung wird der Begriff des Sachmangels neu geregelt wie nachfolgend vorab dargestellt. Änderungen darüber hinaus betreffen vor allem den Verbrauchsgüterkauf und dort die Nacherfüllung, erleichterte Rücktrittsmöglichkeiten, die Verjährung, die Verlängerung der Beweislastumkehr und neue Vorschriften für digitale Produkte. Mit diesen weiteren Änderungen wird sich der Folgebeitrag in AUTOHAUS 22/2022 befassen.Betroffenheit des FahrzeughandelsDie deutschen Gesetzesmaterialien gehen davon aus, dass im Bereich des Kraftfahrzeughandels und des Handels mit Kfz-Teilen bundesweit über 60.000, unter Einbezug der Reparaturbetriebe über 112.000 Unternehmen von der Gesetzesänderung mit Umstellungsaufwand bis hin zu einer notwendigen Neugestaltung der AGBs betroffen sind. Vor allem die Änderungen der Verbraucherschutzvorschriften werden den Neuwagenhandel, vor allem aber auch das Gebrauchtwagengeschäft zusätzlich nochmals ganz massiv belasten.Mit diesem Beitrag wird vorab der neue Sachmangelbegriff und damit die Grundlage der Sachmängelhaftung beleuchtet.Neue Definition des SachmangelsGenerell und nicht nur für das Verbrauchergeschäft gültig wird die Definition des Sachmangels und der Fehlerbegriff geändert. Festgehalten wird dabei allerdings an der umgekehrten Beschreibung, wann kein Fehler vorliegt und die Kaufsache mangelfrei ist. Die neue Formulierung in § 434 BGB lautet, dass "die Sache frei von Sachmängeln ist, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht". Im Unterschied zum bisherigen Mangelbegriff, der gestuft einen Vorrang der "vereinbarten Beschaffenheit" der Kaufsache vor dem vertraglich vorausgesetzten Gebrauch und vor einer üblichen Beschaffenheit statuiert hatte, wird nunmehr gleichrangig auf die neu gefassten Anforderungen abgestellt. Diese beinhalten zum einen - neu sortiert - bereits bisher bestehende Beschaffenheitskriterien, zum anderen werden diese ergänzt durch zusätzliche Regelungen wie beispielsweise der "Ikea-Klausel" genannten Vorgabe zur Überlassung tauglicher Anleitungen.Subjektive AnforderungenUnter die neu eingeführte subjektive Komponente für die berechtigten Erwartungen des Kunden an die Kaufsache fällt künftig die bisherige vereinbarte Beschaffenheit, die Eignung für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung und nunmehr neu auch die Übergabe der Kaufsache mit vertraglich vereinbartem Zubehör und Anleitungen einschließlich Montage- und Installationsanleitungen.Zur vereinbarten Beschaffenheit gehören nach dem insoweit sicherlich nicht für jedermann verständlichen Text des Gesetzes Absprachen der Parteien betreffend "Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstige Merkmale der Sache". Abgestellt wird damit auch auf Aspekte der funktionellen Kombinierbarkeit der Kaufsache, bei E-Fahrzeugen beispielsweise bezüglich der Lademöglichkeiten. Vereinbarungen zur Beschaffenheit können dabei weiterhin ausdrücklich oder aber konkludent und somit auch außerhalb der Kaufvertragsurkunde getroffen werden. Wurde beispielsweise ein Fahrzeug im Internet mit bestimmter Ausstattung inseriert und ist diese tatsächlich nicht vorhanden, kann der Kunde also auch künftig einen Nacherfüllungsanspruch besitzen, wenn die tatsächlich vorhandene Ausstattung im Kaufvertrag selbst nicht detailliert aufgeführt ist.Äußert der Kunde im Verkaufsgespräch, dass er ein Zugfahrzeug für schwere Anhängelasten benötigt, kann dies nach den Gesetzesmaterialien auch ohne Aufnahme in die Kaufvertragsurkunde zu einer nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung führen, sofern der Verkäufer nicht auf eine etwaige Untauglichkeit des Fahrzeuges für einen solchen Zweck hinweist. Stillschweigen des Verkäufers zu mitgeteilten Verwendungsabsichten des Käufers bedeutet grundsätzlich Zustimmung.Wenn bislang Betriebsanleitungen für Gebrauchtfahrzeuge nur bei entsprechender Vereinbarung geschuldet wurden, ist es vorhersehbar, dass künftig hieraus ein Sachmangel konstruiert werden kann.Objektive AnforderungenDie objektiv an die Kaufsache zu stellenden Anforderungen umfassen die bisherige Eignung für die gewöhnliche Verwendung und eine Beschaffenheit, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann. Welche Erwartungen des Käufers berechtigt sind, bemisst sich weiterhin insbesondere nach der Art des Fahrzeuges und dem Stand der Technik, darüber hinaus aber auch nach den Versprechen des Händlers und des Herstellers insbesondere auch in der Werbung. Neu ist, dass die gelieferte Kaufsache in ihrer Beschaffenheit einer vorangehend überlassenen Probe oder einem vorangehend überlassenen Muster entsprechen muss. Bei strenger Auslegung dieser Bestimmung ist bereits jetzt an Probleme zu denken bei der Überlassung eines Vorführfahrzeuges mit besonderen Ausstattungen, die sich in der nachfolgenden Neufahrzeugbestellung des Kunden nicht wiederfinden.Für die objektiv an die Kaufsache zu stellenden Anforderungen gilt allerdings der Vorbehalt, dass sie nur gelten, wenn wirksam keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde. Außerhalb des Geschäfts zwischen Händler und Verbraucher sind solche Vereinbarungen unproblematisch. Gegenüber Verbrauchern kann der Händler nachteilige Abweichungen eines Fahrzeuges von der Eignung für die gewöhnliche Verwendung und von einer üblichen Beschaffenheit nach der neuen Gesetzeslage aber nur wirksam vereinbaren, wenn er den Verbraucher vor Abgabe seiner Vertragserklärung eigens von den objektiven Abweichungen in Kenntnis setzt und beispielsweise einen vorliegenden Ölverlust des Motors im Kaufvertrag ausdrücklich und gesondert ausweist. Es wird also weiterhin anzuraten sein, mögliche Mängel eines Gebrauchtfahrzeuges in Form einer "negativen Beschaffenheitsvereinbarung" detailliert mit in den Kaufvertrag aufzunehmen.MontageanforderungenMontageanforderungen werden im Fahrzeughandel keine große Rolle spielen, möglicherweise aber im Teilegeschäft und Zubehörhandel. Erfüllt sind die gesetzlichen Anforderungen, wenn die Montage entweder sachgemäß durchgeführt worden ist oder aber eine unsachgemäße Montage nicht auf den Verkäufer und nicht auf einen Mangel in der übergebenen Montageanleitung zurückzuführen ist. Weiteres folgt im nächsten Heft.Kurzfassung1. Mit der Umsetzung der EU-Warenkaufrichtlinie 2019/771 vom 20.9.2019 durch das Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrages vom 25.6.2021 ergeben sich auch für den Fahrzeughandel ab 1.1.2022 einschneidende Änderungen im Kaufrecht.2. Allgemein und auch außerhalb des Verbrauchergeschäfts gültig wird mit der Gesetzesänderung der Begriff des Sachmangels neu definiert und hierbei gleichrangig abgestellt auf subjektive Anforderungen und objektive Anforderungen an den Kaufgegenstand, ferner auf Montageanforderungen.3. Weitere Änderungen betreffen überwiegend den Verbrauchsgüterkauf und dort die Nacherfüllung, die Verjährung, die Verlängerung der Beweislastumkehr, die Garantiebestimmungen und neu eingeführte Vorschriften für digitale Produkte. Diese Änderungen werden im Folgebeitrag im nächsten AUTOHAUS besprochen.KommentarDer EU-Warenkaufrichtlinie liegt weiterhin der Gedanke zugrunde, dass sich Kunden nicht durch Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten davon abhalten lassen sollen, auch bei Anbietern aus dem EU-Ausland zu kaufen. Gefördert werden soll der Wettbewerb auf dem Binnenmarkt durch die Einführung möglichst deckungsgleicher Regelungen im Kaufrecht der einzelnen EU-Staaten. Gleichwertiges Hauptanliegen ist daneben die Schaffung eines einheitlich hohen Niveaus des Verbraucherschutzes. Ein grundlegender und in der Konsequenz verständlicher Schritt zur Schaffung gleichwertiger Konditionen ist eine Vereinheitlichung der nationalen Systeme zur Normierung, wann eine Ware als vertragsgemäß zu gelten hat. Art. 5 ff. der Richtlinie machen hier die Vorgaben, wie sie mit dem neuen Mangelbegriff in § 434 BGB künftig umgesetzt werden. Wenn davon die Rede ist, dass es durch solche Anpassungen umgekehrt vor allem auch kleineren und mittleren Unternehmen erleichtert werden soll, bei Angeboten im EU-Ausland die dort geltenden Verbrauchervertragsvorschriften zu erfüllen, trifft dies für den Bereich einheitlicher Regelungen grundsätzlich sicher zu. Die im nächsten Heft zu besprechenden Daumenschrauben beim Verbraucherschutz lassen allerdings wegen der zu kalkulierenden Risiken eher ein Hindernis für den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt fürchten.Rechtsanwalt Robert Glocker

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