Sachmängelhaftung: Reichweite von E-Autos

Mit der zunehmenden Zahl von Hybrid- und Elektrofahrzeugen häufen sich auch die Fälle, in denen Käufer die Reichweite ihres Fahrzeuges als unzureichend beanstanden. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen Kunden gebrauchte Elektrofahrzeuge erwerben. Aber auch Kunden von Neufahrzeugen sehen oftmals ihre Erwartungen nicht erfüllt. Im Spannungsfeld zwischen diesen Erwartungen der Kunden, den Werbeaussagen der Hersteller, den offiziell angegebenen Verbrauchswerten und den im Einzelfall realen Bedingungen des tatsächlichen Gebrauchs ist der Umgang mit solchen Reklamationen nicht leicht. Unabhängig von einer Berechtigung der Beschwerden sind vor allem auch die Möglichkeiten einer Abhilfe mit vertretbarem Aufwand regelmäßig beschränkt. Untersuchung anbieten Auch wenn eine erfolgreiche Nacherfüllung in den meisten Fällen nicht realistisch sein dürfte, empfiehlt es sich dringend dem Kunden möglichst zeitnah eine Überprüfung seiner Reklamation anzubieten, sofern er sein Fahrzeug zur Verfügung stellt. Das Angebot ist ausreichend, eine Aufforderung hierzu nicht erforderlich. Wird die Überprüfung nicht angeboten, ermöglicht dies dem Kunden, direkt Rückabwicklung, Minderung oder Schadensersatz zu verlangen. Bringt der Kunde das Fahrzeug und bestätigt die Untersuchung seine Angaben, ist anhand der Vertragslage die Berechtigung der Reklamation, also das Vorliegen eines Sachmangels zu prüfen. Begriff des Sachmangels Ein Sachmangel liegt nach dem seit 1.1.2022 geltenden Recht vor, wenn die vom Kunden beanstandete elektrische Reichweite tatsächlich einer getroffenen Vereinbarung nicht entspricht oder hinter dem zurückbleibt, was der Kunde als üblich erwarten durfte. Ausgangspunkt der Prüfung ist also zunächst, ob mit dem Kunden vertragliche Vereinbarungen zur Reichweite getroffen wurden, ihm also beispielsweise feste Zusagen zu möglichen Fahrstrecken im elektrischen Betrieb ohne Notwendigkeit eines Ladevorgangs gemacht wurden oder aber Vorgaben des Kunden beim Kauf bestanden haben, wie beispielsweise die Tauglichkeit des Fahrzeuges für fixe Distanzen zum Arbeitsplatz oder für bestimmte Lieferstrecken. Regelmäßig sollten sich solche Zusagen nicht in den Kaufvertragsunterlagen finden, in Einzelfällen werden von Kundenseite aber durchaus definierte Anforderungen gestellt, was die elektrische Reichweite und die konkrete Verwendung des Fahrzeuges angeht. Daneben ist zu prüfen, ob die festgestellte Reichweite des Fahrzeuges im elektrischen Betrieb den objektiven gesetzlichen Anforderungen entspricht. Dies ist der Fall, wenn sich das Fahrzeug für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine üblicherweise zu erwartende Beschaffenheit aufweist. Im Rahmen dieser üblicherweise zu erwartenden Beschaffenheit sind die Inhalte nicht nur von eigenen Werbeaussagen zu berücksichtigen, sondern auch Werbeaussagen des Herstellers. Letztere gelten grundsätzlich jedoch nur für Neufahrzeuge. Maßstab für berechtigte Erwartungen des Käufers kann aber auch ein dem Kunden vorangehend überlassenes Vorführfahrzeug sein, wenn dieses beispielsweise aufgrund einer besseren Batterieausstattung eine größere Reichweite hatte und der Kunde bei seiner Bestellung nicht auf einen solchen Unterschied hingewiesen wurde. Die Beurteilung, ob das Fahrzeug mangelhaft ist, gestaltet sich regelmäßig schwierig wegen der vielen unterschiedlichen Faktoren, die Einfluss auf die elektrische Reichweite haben und es deshalb einer Objektivierung bedarf. Grundproblem Die Reichweite eines Fahrzeuges im elektrischen Betrieb bestimmt sich einerseits nach der Leistung der Batterie, andererseits nach dem Energieverbrauch des Fahrzeuges im Betrieb. Die Batterie ist ein Verschleißteil und ihre Leistung nimmt mit dem Alter ab. Der Energieverbrauch des Fahrzeuges hängt ab von der Effizienz des Motors, ist darüber hinaus aber stark abhängig von den konkreten Betriebsbedingungen des Fahrzeuges, allem voran von den Außentemperaturen und den gefahrenen Geschwindigkeiten. Sowohl die Leistung der Batterie als auch der Energieverbrauch des Fahrzeuges können mit dem hierfür erforderlichen Aufwand natürlich gemessen werden. Für die notwendige Objektivierung des Ergebnisses ist dann ein Vergleich mit entsprechenden Referenzwerten notwendig. Die Batterieleistung ist nicht zu beanstanden, wenn sie bei Neufahrzeugen der Fahrzeugbeschreibung entspricht und bei Gebrauchtfahrzeugen keine übermäßigen Leistungsverluste aufweist. Komplizierter verhält es sich bei der Beurteilung des Energieverbrauchs. Außerhalb konkreter Zusagen kann hier sinnvoll wohl nur abgestellt werden auf objektivierte Messmethoden, hier vorrangig auf das offiziell aktuell etablierte Messverfahren WLTP. Taugliche Werte für den "Normalbetrieb" lassen sich aus diesem Messverfahren zwar nach wie vor nicht ableiten, gegenüber dem im Rahmen der Pkw-ENVKV nach wie vor auszuweisenden Werten des NEFZ hat das WLTP-Verfahren nach Untersuchungen aber überfällig eine größere Annäherung an reale Fahrbedingungen gebracht. In der Praxis bedarf es deshalb meist keiner konkreten Untersuchung des Fahrzeuges auf dem Rollenprüfstand unter den Bedingungen des WLTP, da sich bereits im Rahmen von Testfahrten Annäherungswerte an Reichweitenangaben des Herstellers erzielen lassen. Bei Differenzen von zehn bis 15 Prozent im Realbetrieb gehen Fachleute davon aus, dass unter Testbedingungen des WLTP die Reichweitenangaben eingehalten werden und jedenfalls keine wesentliche Abweichung vorliegt. Neufahrzeuge Beziehen sich die Reklamationen der Kunden auf Neufahrzeuge, lassen sich die obigen Grundsätze uneingeschränkt direkt anwenden. Ein Mangel in der Reichweite liegt nur dann vor, wenn die tatsächliche Batterieleistung nicht den angegebenen Werten entspricht und/oder der Energieverbrauch unter genormten Bedingungen die als möglich angegebenen Fahrstrecken nicht zulässt. Die Mehrzahl der Reklamationen unzufriedener Kunden bezieht sich in der Praxis auf Hybrid-Fahrzeuge, die beispielsweise statt angegebener 40 oder 60 Kilometer unter verschiedensten Bedingungen nur eine Reichweite von 25 oder 30 Kilometern aufweisen sollen. Hilfreich kann sein, den Kunden die Besonderheiten des zugrunde liegenden Messverfahrens WLTP zu erklären, dass die Messungen auf dem Prüfstand und bei "Wohlfühltemperaturen" von 23 °C und 14 °C in jeweils 30 Minuten mit vier verschiedenen Zyklen über eine Strecke von 23,25 Kilometern mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 46,5 km/h gefahren werden. Der die Autobahnfahrt simulierende Zyklus dauert hierbei lediglich gute fünf Minuten mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 92 km/h. Lediglich ganz kurzzeitig wird eine Maximalgeschwindigkeit von 131,3 km/h mit einem entsprechend erhöhten Energiebedarf gefahren. Bei den Reichweitenangaben handelt es sich um reine Rechenergebnisse, basierend auf zweimaligem Durchfahren des Zyklus und Konstantfahrten darüber hinaus bei 100 km/h zur Leerung des Akkus. Gemessen wird dann die notwendige Energie zur vollständigen Wiederaufladung der Batterie einschließlich der Ladeverluste bei der Umwandlung von Wechselstrom aus dem Netz zu Gleichstrom für die Batterie. Für einen VW ID. 4 errechnet sich theoretisch so beispielsweise eine kombinierte Reichweite von 517 Kilometern, bezogen auf den City-Zyklus von 701 Kilometern. Wenn Neufahrzeuge - unter gleichen Bedingungen beurteilt - mit ihrer Reichweite von den eigenen Angaben oder denen des Herstellers erheblich abweichen, liegt ein Sachmangel vor. Lässt sich dieser nicht beheben, kann der Kunde Ersatzlieferung verlangen und im Schritt danach Minderung, Rücktritt und Schadensersatz geltend machen. Über die Toleranzen, die vom Fahrzeugkäufer bei der Reichweite des Fahrzeuges hinzunehmen sind und jedenfalls seinen Rücktritt vom Kaufvertrag ausschließen, liegen bislang keine belastbaren Gerichtsentscheidungen vor. Angeknüpft werden kann hier jedoch an eine Entscheidung des BGH vom 8.5.2007 (Az. VIII ZR 19/05) zur Abweichung des Kraftstoffverbrauchs bei einem Neufahrzeug. Als unerheblich wurde hier eine Differenz von weniger als zehn Prozent zu den Angaben des Herstellers erachtet. Diese Zehn-Prozent-Grenze erscheint durchaus tauglich, für die Beurteilung eines unwesentlichen Mangels auch auf die Reichweite von Elektrofahrzeugen übertragen zu werden. Gebrauchtfahrzeuge Bei Gebrauchtfahrzeugen kann abhängig vom Fahrzeughalter wegen der üblicherweise nachlassenden Batteriekapazität ein solcher Maßstab nicht übertragen werden. Auch hier liegen bislang keine repräsentativen Urteile vor, die in der Praxis weiterhelfen können. Maßgeblich gelten auch hier eventuelle Zusagen an den Kunden im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen und daneben die im Einzelfall objektiv unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten zu stellenden Erwartungen an die - nachlassende - Reichweite eines gebrauchten Elektrofahrzeugs. Vorgeschlagen wird in verschiedenen Veröffentlichungen, hier die Erheblichkeitsschwelle mit einer Abweichung von 20 bis 25 Prozent anzusetzen, so dass bei einer ursprünglich anzunehmenden Reichweite von beispielsweise 400 Kilometern kein erheblicher Mangel vorliegen würde, wenn das Gebrauchtfahrzeug nur noch eine Reichweite von 300 oder 320 Kilometern besitzt. Vorbehaltlich einer Beurteilung des Fahrzeugalters und der Laufleistung im Einzelfall kann dem zugestimmt werden. Ein Jahreswagen mit wenigen Kilometern ist hier jedoch sicher anders einzuordnen als ein drei Jahre altes Elektrofahrzeug mit 80.000 Kilometern. Maßgeblich handelt es sich bei den vorgeschlagenen Beurteilungswerten auch im Fall des Neufahrzeuges aber um solche, die wegen Unerheblichkeit des Mangels den Rücktritt ausschließen. Kann im Fall der konkreten Kundenreklamation aber davon ausgegangen werden, dass jedenfalls kein erheblicher Mangel vorliegt, erleichtert dies auch den Umgang mit Ansprüchen auf Nacherfüllung und Minderung. Abgesehen von konkreten Vereinbarungen orientiert sich auch hier die Anspruchsgrundlage nicht starr an einer Abweichung von rechnerisch ermittelten Einzelwerten, sondern an einem vernünftigen Toleranzfenster, das abhängig vom konkreten Einzelfall zu bestimmen ist. Allgemein gültige Richtlinien existieren hier leider nicht. Rechtsanwalt Robert Glocker kanzlei@raehaug-partner.de www.haug-partner.de KOMMENTAR Kundenreklamationen bezogen auf die Reichweite von Fahrzeugen sind in der Praxis oft mit vielen Emotionen beladen. Das macht den Umgang für den Verkauf nicht einfacher. Technische Erklärungen finden oft kein offenes Ohr, und immer wieder stehen vermeintliche Zusagen bestimmter Reichweiten des Fahrzeuges im Raum, die sich jedoch nicht in den Vertragsunterlagen finden. Für die Verkäufer kann dies nur bedeuten, die Angaben zu Reichweiten des Fahrzeuges im elektrischen Betrieb sinnvollerweise immer unter Vorbehalt zu stellen und deutlich auf die Maßgeblichkeit vor allem individueller Faktoren im Gebrauch des Fahrzeuges hinzuweisen, welche die Reichweite beeinflussen können bis hin zum Gebrauch der Klimaanlage.

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