Videoüberwachung: Sicherheitsinteresse vs. Persönlichkeitsrecht

Seit 25.05.2018 - nach einer zweijährigen Umsetzungsphase - gilt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und ist einzuhalten. Gegenstand und Ziel der DSGVO ist ausgewiesenermaßen der Schutz der Persönlichkeitsrechte natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten (Art. 1 Abs. 1 DSGVO). Der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO gilt für die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung solcher Daten, wenn diese in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Nach der gesetzlichen Definition des Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten "alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen". Der Begriff der "Identifizierbarkeit" wird vom Gesetz hierbei in einer Aufzählung äußerst weitreichend gefasst. Mit dem Schutz personenbezogener Daten kollidieren regelmäßig Unternehmensinteressen an der Verarbeitung solcher Daten. Dies gilt unter anderem für Sicherheitsinteressen der Unternehmen im Rahmen einer Videoüberwachung von Geschäftsräumen oder Betriebsgeländen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in seinem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 27.03.2019 zur Rechtmäßigkeit einer Videoüberwachung von Geschäftsräumen Stellung genommen. Der Fall Die spätere Klägerin, eine Zahnärztin, betrieb im Jahr 2012 eine Praxis in einem Gebäude, in dem mehrere Arztpraxen und eine Tagesklinik für Psychiatrie untergebracht waren. Die Eingangstür zur Praxis war während der Öffnungszeiten nicht verschlossen, der Empfangstresen war nicht besetzt. Oberhalb des Tresens befand sich eine Digitalkamera, die laufend Bilder in Echtzeit herstellte. Die Bilder konnten auf Monitoren angesehen werden, die die Zahnärztin in den Behandlungszimmern aufgestellt hatte. Durch die Kamera wurden der Bereich hinter dem Empfangstresen sowie diejenigen Bereiche überwacht, in denen sich Besucher nach dem Betreten der Praxis aufhielten. An der Außenseite der Eingangstür und am Empfangstresen in der Praxis waren Hinweisschilder mit der Aufschrift "Videogesichert" angebracht. Auf die Beschwerde eines Patienten gab der zuständige Landesdatenschutzbeauftragte der Klägerin auf, die Kameras so auszurichten, dass die Bereiche, die Besuchern offenstehen, während der Öffnungszeiten der Praxis nicht mehr erfasst werden. Gegen diese Anordnung erhob die Zahnärztin Anfechtungsklage. Sie verlor durch sämtliche Instanzen. Urteil des BVerwG Zwar ging es bei der Anfechtungsklage der Zahnärztin um einen Fall aus dem Jahr 2012 - die DSGVO existierte also zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Allerdings nahm das BVerwG die Angelegenheit zum Anlass, vom damals geltenden Datenschutzrecht einen Bogen zur DSGVO zu schlagen und die Sache auch unter dem aktuell geltenden Datenschutzrecht zu beurteilen. Hiernach - so das BVerwG - sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Verarbeitung personenbezogener Daten in Art. 6 Abs. 1 DSGVO abschließend geregelt. Gemäß dieser Bestimmung ist die Verarbeitung nur rechtmäßig, wenn eine von sechs enumerativ aufgezählten Bedingungen erfüllt ist: - die betroffene Person hat ihre Einwilligung zur Datenverarbeitung gegeben - die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrags oder zu Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich - die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich - die Verarbeitung ist zum Schutz lebenswichtiger Interessen erforderlich - die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe erforderlich - die Verarbeitung ist zur Wahrung berechtigter Interessen erforderlich Eine Einwilligung der Patienten in der Zahnarztpraxis lag nicht vor. Mit der Anbringung von Hinweisschildern "Videogesichert" an der Eingangstür und am Empfangstresen der Praxis konnte eine Einwilligung nicht fiktiv unterstellt werden. Solche Schilder sind nach Darlegung des BVerwG "für die Zulässigkeit der Videoüberwachung ohne Bedeutung". Eine Zulässigkeit der Videoüberwachung hätte im Geltungsbereich der DSGVO somit nur im im Hinblick auf die "Wahrung berechtigter Interessen" erfolgen können. Die Zahnärztin hatte in ihrer Klage hierzu vorgetragen, der ungehinderte Zugang zu ihrer Praxis könne ausgenutzt werden, um unerkannt Straftaten zu begehen. Dies reichte dem BVerwG nicht aus. Zwar stellen nach dem Urteil des BVerwG der Gesichtspunkt der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten grundsätzlich berechtigte Interessen im Sinne des Datenschutzrechts dar. Sie können eine Videoüberwachung jedoch nur dann als objektiv begründbar rechtfertigen, wenn eine Gefährdungslage besteht, "die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht". Eine solche Gefährdung kann sich nur aus tatsächlichen Erkenntnissen ergeben. Subjektive Befürchtungen oder ein Gefühl der Unsicherheit reichen nicht aus. Nachdem die Zahnärztin keine Tatsachen vorgetragen hatte, die den Schluss auf eine erhöhte Gefährdungslage zuließen, war die Klage abzuweisen. Branchenbezug Ob es die Praxisräume einer Zahnärztin oder aber die Geschäftsräume eines Autohauses sind, macht in der datenschutzrechtlichen Beurteilung keinen Unterschied. Sofern allerdings das öffentlich zugängliche Betriebsgelände eines Autohauses betroffen ist, auf welchem Fahrzeuge abgestellt sind, kann sich eine andere Beurteilung ergeben. Fahrzeugdiebstahl und Vandalismus sind ein stets wiederkehrendes Problem, so dass nachvollziehbarerweise eine entsprechende Gefährdungslage besteht, die eine Videoüberwachung sehr wohl rechtfertigen kann. In einer streitigen Auseinandersetzung mit einem Landesdatenschutzbeauftragten oder einem sich beschwerenden Kunden ist mit dieser Gefährdungslage zu argumentieren. Hinweisschilder auf die Videoüberwachung stellen im Übrigen auch in Außenbereichen keine fiktive Einwilligung der betroffenen Personen dar. Nichtsdestotrotz ist auf diese Hinweisschilder schon im Hinblick auf die Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO nicht zu verzichten. Kurzfassung 1. Gemäß Urteil des BVerwG vom 27.03.2019 sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Verarbeitung personenbezogener Daten mit der enumerativen Aufzählung in Art. 6 Abs. 1 DSGVO abschließend geregelt.2. Das Anbringen von Hinweisschildern mit dem Vermerk "Videogesichert" beinhaltet keine fiktive datenschutzrechtliche Einwilligung eines Betroffenen in eine Videoüberwachung.3. Die Gesichtspunkte der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten stellen für eine Videoüberwachung grundsätzlich berechtigte Interessen im Sinne des Datenschutzrechts dar. Sie können nach den Gründen des BVerwG-Urteils eine Videoüberwachung jedoch nur dann rechtfertigen, wenn eine Gefährdungslage besteht, "die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht". Eine solche Gefährdung kann sich nur aus tatsächlichen Erkenntnissen ergeben. Subjektive Befürchtungen oder ein Gefühl der Unsicherheit reichen nicht aus.4. Im Hinblick auf Fahrzeug-Diebstahl und Vandalismus liegt für Autohaus-Betriebsgelände üblicherweise durchaus eine Gefährdungslage vor, die eine Videoüberwachung rechtfertigen kann. Im Streitfall ist anhand des Urteils des BVerwG vom 27.03.2019 sorgfältig zu argumentieren. Kommentar Das in vorliegendem Beitrag besprochene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2019 ist aus der Sichtweise öffentlich-rechtlicher Gesetze gesprochen worden. Selbst wenn sich danach eine Unrechtmäßigkeit einer Datenverarbeitung - hier in der Form einer Videoaufzeichnung - ergeben sollte, bedeutet dies noch keineswegs, dass unrechtmäßig erhobene Daten zivilrechtlich generell nicht verwertbar sind. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 15.05.2018 (Az. VI ZR 233/17) für die Verwendung einer Dashcam im Straßenverkehr entschieden, dass eine permanente anlasslose Videoaufzeichnung nach datenschutzrechtlichen Bestimmungen zwar unzulässig ist. Dennoch und trotz Gesetzwidrigkeit ist die Videoaufzeichnung als Beweismittel im Unfallhaftpflichtprozess gegebenenfalls verwertbar, wenn der klagende Unfallgeschädigte in Beweisnot ist. Über die Verwertbarkeit entscheidet hierbei eine Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des aufgenommenen Unfallgegners und dem Interesse des Unfallgeschädigten an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche. Bei der Abwägung der verschiedenen Interessen führte der Bundesgerichtshof unter anderem an, dass sich der Unfallgegner freiwillig in den öffentlichen Straßenraum begeben hat und er sich selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Personen aussetzt. Dieses Abwägungskriterium könnte im Sinne einer zulässigen Videoüberwachung durchaus auch für diejenigen Geltung haben, die sich freiwillig auf das Betriebsgelände eines Autohauses begeben.Rechtsanwalt Rainer Bopp

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