Ausgabe 14-15/2012: Benchmark in Europa

Benchmark in EuropaMeister-HU – Die sechs wichtigsten Prüforganisationen trafen sich zu einem Round Table in München. Fazit der Diskussion über die Werkstatt-HU: das duale deutsche System hat sich – auch im internationalen Vergleich – bewährt. von Kerstin HadrathDie Stimmung war schon besser. Oder wie es Bernhard Kerscher, Sprecher der Geschäftsführung der TÜV Süd Auto Service GmbH, anlässlich eines Round Table der Prüforganisationen in der Redaktion AUTOHAUS formulierte: „Es gibt atmosphärische Störungen zwischen dem Kfz-Gewerbe und den Überwachungsorganisationen.“ Grund ist die sogenannte Meister- oder Werkstatt-HU, die seit einiger Zeit im Kfz-Gewerbe, vor allem von den Landesverbänden Bayern und Sachsen, diskutiert wird. Der Zentralverband des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes erarbeitet bis September ein Konzept mit den aus seiner Sicht wesentlichen Kriterien zur sogenannten Meister-HU. Zugleich werde der Dialog mit den Überwachungsinstitutionen weitergeführt, hieß es vom ZDK.Auch die Prüfunternehmen zeigten sich während des Round Table gesprächsbereit. „Die Situation ist keineswegs verfahren“, stellte Rainer de Biasi, Geschäftsführer der GTÜ, klar. „Die Erde ist nicht verbrannt“, bestätigte auch Prof. Dr. Jürgen Brauckmann, Vorstandsmitglied des TÜV Rheinland. Deutlich wurde jedoch auch, dass die Prüforganisationen sowohl den Stil, in dem die Debatte geführt wird, als auch den Zeitpunkt kritisch sehen. Kerscher: „Durch den Vorstoß zum Thema Werkstatt-HU zum jetzigen Zeitpunkt werden verschiedene bewährte Systeme im deutschen Kfz-Gewerbe gefährdet.“ Die Uneinigkeit, auch in den Verbänden selbst, strahle nach außen ab und werde über kurz oder lang zu einem Imageverlust des Kfz-Gewerbes führen.Auch zum Wohl der WerkstattMit Nachdruck wiesen die Vertreter der Prüforganisationen darauf hin, dass sich das duale System über Jahrzehnte bewährt habe. „Ein großer Teil der Autohäuser und Werkstätten kann mit dem System prima leben“, fasste Dr. Gerd Neumann, Geschäftsführer der Dekra Automobil GmbH, seine Erfahrungen aus Gesprächen mit Gewerbevertretern zusammen und ergänzte: „Wir haben in Deutschland das System, welches die meisten Möglichkeiten für den Kunden und das höchste Niveau der Untersuchung bietet.“ Christoph Diwo, Technischer Leiter der KÜS, bewertete die technische Fahrzeugüberwachung in ihrer jetzigen Form als ein effektives Kundenbindungsinstrument für die Werkstatt. Dieses werde beschädigt, „denn wenn die Prüfung von der Werkstatt vorgenommen wird, ist das problemlose Verkaufen der nötigen Reparaturen anhand eines von neutraler Instanz erstellten Prüfberichts nicht mehr möglich“. Der mündige Verbraucher werde mit einer Vermischung von Prüfung und Reparatur seine Probleme haben, waren sich die Diskussionsteilnehmer einig.Die Beibehaltung einer Trennung von Prüfungs- und Reparaturaufgaben sei auch auf EU-Ebene erklärtes Ziel. „Reparieren und Prüfen zu trennen, ist eine Forderung, die die EU-Kommission in die Verordnung zur Hauptuntersuchung aufnimmt. Der dahinterstehende Third-Party-Ansatz findet bei allen EU-weiten Gesetzgebungen Anwendung“, erläuterte Kerscher. Gerade vor dem Hintergrund der Harmonisierung der Fahrzeugüberwachung bis 2015 sei der Zeitpunkt denkbar ungünstig, das deutsche System, das in Europa eine Art Benchmark sei, von innen heraus infrage zu stellen. Die Kompromisslösung, Prüfungen von neutralen Sachverständigen sowohl in Werkstätten als auch in Prüfstellen anzubieten, existiere nur in Deutschland. „Es gibt in Europa nur fünf Länder mit einer Werkstatt-HU, alle anderen arbeiten auf Prüfstellen“, umriss Diwo die aktuelle Situation. „Das deutsche System ist die optimale Sicherung der Schnittstelle zwischen Werkstatt und Prüfer. Wir haben die einzige Kompromisslösung, und genau die wird nun infrage gestellt.“ Professionalität erhaltenMan solle das überwiegend nach wie vor vertrauenswürdige Verhältnis zwischen Gewerbe und Überwachern lieber nutzen, um in Europa für das deutsche System zu werben, fasste Brauckmann die Meinung aller Prüforganisationen in Worte. „Es geht darum, die Verkehrssicherheit in Europa insgesamt zu erhöhen. Die technische Überwachung ist ein wichtiger Baustein für Verkehrssicherheit und einen umweltgerechten Fahrzeugbetrieb, sie ist anerkannt und in ihrer Wirkung bestätigt“, ergänzte Neumann. Kerscher wies darauf hin, dass in Deutschland 2011 im Schnitt 25 Prozent weniger Verkehrstote auf eine Million Einwohner zu beklagen waren als in Österreich, Belgien und Italien. Die Fahrzeugprüfung in hiesiger Form sei zwar nicht allein dafür verantwortlich, sie trage jedoch signifikant dazu bei, so Kerscher.Egal, wie die EU-Kommission die Verordnung letztlich ausgestalte, wichtig sei, die heutige Qualität der Prüfung aufrechtzuerhalten und die Prüfinhalte weiterzuentwickeln. Dafür sei eine hohe Professionalität der Prüfingenieure vonnöten. Dr. Klaus Kleinherbers, Vorstandsmitglied des TÜV Nord, erläuterte, dass die Anzahl der durchzuführenden HU in der Werkstatt bei durchschnittlich zwei pro Tag liegen würde. „Die große Frage ist dann, ob angesichts dieser recht kleinen HU-Zahlen die Professionalität, die wir mit unseren Sachverständigen täglich realisieren, auch zu halten ist“, gab Kleinherbers zu bedenken.Drohende ZweiklassengesellschaftAllein für die Ausbildung eines einzigen Prüfingenieurs investieren die Überwachungsorganisationen über 20.000 Euro. Die Schulungen, externen Prüfungen und Führerscheinausbildung sowie Fahrtrainings summieren sich auf fast ein Jahr Ausbildungszeit. Hinzu kommen jährlich fünf Weiterbildungstage und der quartalsweise abzuleistende Erfahrungsaustausch. Alles in allem sind die Anforderungen an einen Prüfingenieur sehr hoch. Er müsse bei der Arbeit am Fahrzeug permanent Ja/Nein-Entscheidungen treffen und habe keine Möglichkeit, sich bei einer Prüfung an einem seltenen Fahrzeug Rat von Kollegen einzuholen. Auch an seine Persönlichkeit stelle die Tätigkeit hohe Ansprüche. „Prüfingenieure müssen ganz allein als Persönlichkeit bestehen. Es geht nicht nur darum, jede Schraube zu kennen. Es geht auch um mögliche Interessenskonflikte und den ausgewogenen Umgang damit, der Rückgrat erfordert“, wies Neumann auf nötige Soft Skills hin. Kleinherbers wies auf die große Herausforderung für Kfz-Meister hin, „den Wechsel zwischen der Prüf- und der Reparaturbrille ständig hinzubekommen“. Angesichts der Beträge für Ausbildung, Fehlzeiten etc. stelle sich die Frage, wie lange eine Werkstatt brauche, um die Investitionen in die Ausbildung des Prüfpersonals zu amortisieren. Zu den Kosten für die Ausbildung kämen weitere für die Dokumentation der durchgeführten Prüfungen und deren Qualitätskontrolle. „Die Kosten, vor allem die des laufenden Betriebs, werden vom Gewerbe deutlich unterschätzt“, resümierte Brauckmann. Und Neumann warnte abschließend vor einer drohenden Zweiklassengesellschaft im Kfz-Gewerbe. „Angesichts der Lasten, die mit dem Prüfen einhergehen, werden sich nur wenige Autohäuser dieses Geschäft leisten können.“ ■Lesen SIe hier...... welche Argumente aus Sicht der Überwachungsorganisationen dafür sprechen, am bewährten dualen System bei der Hauptuntersuchung festzuhalten.

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