14. Berliner Automobildialog: Das Ringen um die Fahrzeugdaten

Jedes moderne Fahrzeug produziert Unmengen an Daten - Tendenz stark steigend. Zunehmend werden diese Daten auch over the air, also über Fernzugriff, übertragen. Ein großer Teil davon ist für Wartung, Reparatur und Fahrzeugüberwachung zwingend erforderlich. Der Zugang zu diesen Daten und zu Fahrzeugfunktionen ist daher sowohl für den automobilen Aftermarket als auch für die Überwachungsorganisationen überlebenswichtig. Doch wie müsste der Zugang - vor allem over the air - zu den Fahrzeugdaten und -funktionen aussehen? Und wie sollen die Marktteilnehmer die Daten künftig für ihre Geschäftsmodelle nutzen können? Diesen Fragen widmete sich der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) in seinem 14. Berliner Automobildialog im vergangenen Dezember. Der Kunde soll die Hoheit haben Moderiert von Christoph Konrad und Alex Jan Erdmann vom ZDK-Hauptstadtbüro gingen Experten auf verschiedene Aspekte der Thematik ein. Tibor Pataki vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) macht sich dafür stark, dass die Verbraucher die Hoheit über ihre Fahrzeugdaten haben müssen. Um einen freien und fairen Wettbewerb zu gewährleisten, müssten aber selbstverständlich alle Akteure einen gleichberechtigten Zugang zu diesen Daten haben. In diese Kerbe schlug auch Fred Blüthner von der FSD - Zentrale Stelle nach StVG (Dresden). Ihn treibt in diesem Zusammenhang vor allem das Thema Fahrzeugüberprüfung an. Die Prüforganisationen können seiner Ansicht nach ihren hoheitlichen Aufgaben - etwa der Hauptuntersuchung von Fahrzeugen - nur dann nachkommen, wenn sie jederzeit einen grundsätzlich selbstbestimmten und diskriminierungsfreien Zugang zu den Fahrzeugdaten und -funktionen haben. Seit 15 Jahren entwickelt die FSD im hoheitlichen Auftrag als Zentrale Stelle (ZS) nach dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) die Vorgaben für die elektronische Hauptuntersuchung (HU). Sie ermöglicht unter anderem die Prüfung mit dem dafür entwickelten HU-Adapter über die elektronische Fahrzeugschnittstelle (sog. On-Board-Diagnose/OBD). Zusammen mit ZDK, GVA, VdTÜV und ADAC arbeitet die FSD ZS seit mehreren Jahren im Arbeitskreis Telematik an einer gemeinsamen Position bezüglich des Zugangs zu Fahrzeugdaten "over the air". Dabei geht es vor allem darum, unabhängigen Datenzugang für alle berechtigten Nutzer zu ermöglichen und Insellösungen zu verhindern. Das von der Automobilindustrie bevorzugte und "Extended Vehicle" genannte Modell, wonach Bereitstellung und Zugriff auf Fahrzeugdaten über das Internet erfolgen sollen, wird als äußerst ungeeignet erachtet, einen gleichberechtigten Zugang zu Fahrzeugdaten für alle Player herzustellen - Begründung: Die OEMs hätten so die Rolle eines "Gatekeepers", der allein über Umfang, Verfügbarkeit und Qualität der Daten entscheiden könnte. Stattdessen unterstützen die Mitglieder des Arbeitskreises Telematik das Konzept einer "Offenen Telematik-Plattform (OTP)". Offene Plattform oder Treuhänder? Der Europaparlamentarier Ismail Ertug (SPD/SPE) forderte zur Eröffnung des 14. Automobildialogs in seiner Keynote grundsätzlich feste Regeln für den Datenaustausch. Er spricht der EU hier eine Vorreiterrolle zu. In diesem Zusammenhang erwähnte er ein so genanntes "Datentreuhändermodell". Genau dieses Konzept stößt beim deutschen Kfz-Gewerbe auf große Skepsis. Der ZDK vertritt dagegen die Position, dass fahrzeuggenerierte Daten und Funktionen zukünftig - wie heute bereits über die bekannte OBD-Schnittstelle - direkt im Fahrzeug zugänglich sein müssen. "Wir sehen das Fahrzeug in der Gesamtheit als digitale Plattform an, in dem es möglich sein muss, Applikationen zu installieren und auch darüber hinaus mit dem Fahrer und dem Fahrzeug ohne Umwege über das zentrale Fahrzeugdisplay kommunizieren zu können. Einen Datentreuhänder, der die fahrzeuggenerierten Daten verwaltet und an berechtigte Dritte weitergibt, halten wir zumindest für das Servicegeschäft als nicht zielführend, da dadurch das Installieren von Applikationen, die Interaktion mit dem Fahrer sowie das notwendige Ausführen von Funktionen wie z. B. das Ansteuern von Aktoren nicht ermöglicht wird", teilt der ZDK auf Nachfrage mit. Man präferiere dagegen eine OTP mit "Trust Center" zur Verwaltung von "Zugriffsrechten und digitalen Zertifikaten". Die FSD ZS griff diese Diskussion im Vortrag auf. Sie setzt sich für eine "Föderierte Telematikstruktur" ein, die durch die Prinzipien der OTP ermöglicht würde (mehr dazu im Interview). Der Autofahrer wählt seine favorisierten Anbieter, sowohl für hoheitliche als auch für freiwirtschaftliche Dienste. Der Zugang zu Fahrzeugdaten ist direkt und unabhängig vom OEM möglich. Das föderierte System setzt auf eine dezentrale Struktur. Für die Verwaltung des Zugriffs kommen "Trust Center" zum Einsatz. Will beispielsweise ein Sachverständiger auf den Unfalldatenspeicher eines Fahrzeugs zugreifen, muss er sich in einem "Trust Center" für diese Zwecke authentifizieren. Dieses "Trust Center" - etwa eine Behörde oder eine mit dieser Aufgabe beliehene Stelle - hat selbst keinen Zugriff auf oder Einsichtsrechte in die Daten. Es stellt lediglich eine sichere Verbindung für autorisierte Nutzer zum Fahrzeug direkt oder zu einem passenden so genannten Datentreuhänder her, an den das Fahrzeug solche Daten sendet. Diese Datentreuhänder sollten ebenfalls Behörden oder andere vertrauenswürdige Stellen sein. Solche klaren Zuständigkeitsregeln für den Zugang zu Fahrzeugdaten haben auch die Prüforganisationen in einem gemeinsamen Positionspapier festgehalten (https://www.vdtuev.de/pressemitteilungen/zugang-zu-fahrzeugdaten). Interview: "Vertrauenswürdiger und unabhängiger Zugang" AH: Herr Blüthner, wer hat Interesse an digitalen Fahrzeugdaten (Telematik)? F. Blüthner: Sowohl hoheitlich tätige Stellen als auch freiwirtschaftlich tätige Anbieter sind auf Fahrzeugdaten angewiesen: Behörden, Werkstätten, Sachverständige, Mobilitätsdienstleister, Versicherer oder Teilehandel. Die FSD - Zentrale Stelle nach StVG unterstützt in diesem Zusammenhang die Initiative "Datenraum Mobilität" der Bundesregierung. AH: Sie wollen ein "Föderiertes" Fahrzeugdatenmanagement. Was ist das? F. Blüthner: Der Fahrzeughalter bzw. der Verbraucher entscheidet frei, wem er seine Daten auf welchem Wege zugänglich macht. Dies geschieht vollkommen unabhängig vom OEM. Nur ein solcher Zugriff von Anbietern auf vertrauenswürdige Fahrzeugdaten 'an der Quelle' garantiert die Qualität und Verfügbarkeit von Daten sowie die Sicherheit vor Manipulation. Deshalb unterstützt die FSD - Zentrale Stelle nach StVG die Bemühungen zur Schaffung eines Mobilitätsdatengesetzes, das die Kriterien sowohl für ein anerkanntes vertrauenswürdiges Zugriffsmanagementsystem (Trust Center) als auch für ein anerkanntes vertrauenswürdiges Datentreuhändersystem definiert. AH: Wie definieren Sie die Begriffe "Trust Center" und "Datentreuhänder"? F. Blüthner: Ein anerkanntes Trust Center verwaltet den Zugang zu Daten. Es stellt also über Zertifikate sicher, dass nur Berechtigte Zugriff auf Daten bekommen, ohne selbst Fahrzeugdaten zu verarbeiten. Ein anerkannter Datentreuhänder ist demgegenüber ein berechtigter Datenempfänger und -anbieter und allgemein als eine Institution definiert, an die besonders hohe Ansprüche bei der Datenspeicherung und -verarbeitung gestellt werden. Dies impliziert u. a., dass ein solcher Anbieter dann kein weiteres geschäftliches Interesse an der Nutzung und Veräußerung der sensiblen Daten haben dürfte. Zudem sind für eine Speicherung der Daten allerhöchste Anforderungen an die IT-Sicherheit zu gewährleisten. Solche Datentreuhänder kommen insbesondere für hoheitliche Zwecke in Betracht. Diese Begriffe werden leider nicht immer trennscharf verwandt. Auch deshalb drängen wir auf die Schaffung entsprechender gesetzlicher Regelungen. AH: Wer würde die Rolle der Datentreuhänder übernehmen? F. Blüthner: Die Datentreuhänder sind zweckgebunden, und im Falle von hoheitlichen Tätigkeiten können dies Behörden oder entsprechend beliehene Stellen sein. Es kann zum Beispiel einen Treuhänder für Unfalldaten automatisierter Fahrzeuge geben sowie einen weiteren für die Feldüberwachung automatisierter Fahrfunktionen. AH: Welche Rolle würden die Prüforganisationen in Ihrem Modell übernehmen? F. Blüthner: Prüforganisationen bzw. ihre Sachverständigen treten hier als hoheitlich tätige Datennutzer auf, die einen hohen Anspruch an Authentizität und Verfügbarkeit der Daten haben. Ein föderiertes Modell sichert ihnen diesen Zugriff auch ohne Abhängigkeit vom OEM. AH: Der ZDK ist gegen ein Datentreuhändermodell und favorisiert eine "Offene Telematik-Plattform". F. Blüthner: Aus unserer Sicht gibt es hier keinen Konflikt. Das föderierte Telematikmodell wird durch eine Offene Telematik-Plattform technisch ermöglicht bzw. bringt sie zur Anwendung, und auch wir setzen uns gemeinsam mit dem ZDK für eine OTP ein. Beide Modelle haben gemein, dass durch einen vertrauenswürdigen und unabhängigen Zugang zu Fahrzeugdaten und -funktionen für berechtigte Behörden und den freien Markt die Voraussetzungen für einen fairen Wettbewerb in einem digitalen Binnenmarkt geschaffen werden. Der ZDK spricht sich unserer Meinung nach gegen die Interpretation eines Datentreuhändermodells aus, bei dem es keine klare Trennung zwischen Verwaltung des Zugriffs und tatsächlichem Zugang zu Fahrzeugdaten gibt. Dies ist bei dem von uns vorgestellten föderierten Datenzugangsmodell nicht der Fall. AH: Ist mit einer EU-weiten Regelung zu rechnen? Und wenn ja: wann? F. Blüthner: Das EU-Parlament und die EU-Kommission haben hier Regelungsbedarf festgestellt, und die Kommission lässt aktuell untersuchen, wie eine solche Regulierung aussehen kann. Wir als FSD - Zentrale Stelle nach StVG rechnen noch in diesem Jahr mit den Ergebnissen dieser Untersuchung. Das ist auch dringend notwendig! Wir bringen unsere Expertise auf jeden Fall ein.

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