Ausgabe 18/2009: Deckmantel „soziales Grundrecht“

Deckmantel „soziales Grundrecht“Urlaubsgrüße vom EuGH E Lang andauernde Arbeitsunfähigkeit und Urlaubsanspruch bzw. -abgeltung Autohaus-Juristen Rechtsanwälte G. Haug & PartnerUnter der Überschrift „Urlaubsgrüße“ wurde in AUTOHAUS 8/2008 über ein anhängiges Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof berichtet. Die in diesem Verfahren von der Generalstaatsanwaltschaft gestellten Anträge lauteten unter anderem dahingehend, dass die innerdeutsche gesetzliche Regelung gemäß § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. In juristisch hochtrabenden Termini wurde begründet, dass ein Mindesturlaubsanspruch für jeden Arbeitnehmer zu gelten hat, selbst wenn er aufgrund fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nicht einmal in der Lage ist, Urlaub in Anspruch zu nehmen. Die Generalanwaltschaft bezeichnete diesen Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers als „soziales Grundrecht“. Das Urteil des EuGH liegt nunmehr vor. Es ist zu befürchten, dass die Urteilspraxis sich hierauf in der näheren Zukunft einstellen wird. Kurz gefasst geht es darum, ob der Arbeitgeber selbst für langzeiterkrankte Arbeitnehmer zum Zeitpunkt von deren Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis eine Urlaubsabgeltung zu bezahlen hat. Bisherige Rechtslage und aktuelle EuGH-EntscheidungNach § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hat der Arbeitnehmer den ihm zustehenden Urlaub im jeweils laufenden Kalenderjahr zu nehmen. Nur dann, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen, ist der Urlaub auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen. Die Übertragung in das nächste Kalenderjahr findet nach deutschem Gesetz nicht schrankenlos statt. Sofern der Urlaub nicht bis zum 31.03. des nachfolgenden Jahres genommen wird, verfällt er ersatzlos (hier nicht zu diskutierende Ausnahmen bestätigen die Regel). Dies gilt sowohl für den Urlaubsanspruch „in natura“, wie auch für das so genannte Surrogat, also den Abgeltungsanspruch, welcher finanziell auszugleichen ist. Diese vom BAG wiederholt bestätigte Rechtslage galt auch dann, wenn Arbeitnehmer aufgrund einer Langzeiterkrankung und bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht mehr in der Lage waren, den Urlaub anzutreten. In seiner vor kurzem veröffentlichten Entscheidung hat der EuGH folgende Grundsätze aufgestellt: Europarecht gestattet mitgliedsstaatliche Regelungen, nach denen während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit kein Urlaub genommen werden kann. Europäische mitgliedsstaatliche Regelungen, wonach der Urlaubsanspruch auch dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub während des Urlaubsjahres einschließlich eines Übertragungszeitraums auf das nächste Jahr wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnte, verstoßen gegen Gemeinschaftsrecht. Das Europarecht gestattet keine mitgliedsstaatliche Regelung, nach der eine finanzielle Vergütung ausgeschlossen wird, wenn der Arbeitnehmer wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit während des Bezugs- und Übertragungszeitraums seinen Urlaub nicht nehmen konnte. Für die Berechnung der Urlaubsabgeltung ist das gewöhnliche Arbeitsentgelt maßgebend, das während des jeweiligen Urlaubs zu zahlen gewesen wäre. Bedeutung für die PraxisZum Urteil des EuGH, welches die deutsche Rechtslage nichts weniger als auf den Kopf stellt, kam es, weil das Landesarbeitsgericht Düsseldorf einen anhängigen Prozess zur Vorlage zum EuGH gab. Der EuGH sah sich – zum wiederholten Mal – berufen, die Deutsche Rechtspraxis ad absurdum zu führen. In der Konsequenz bedeutet das Urteil des EuGH, dass die Arbeitgeber sich darauf einzustellen haben, dass – über kurz oder lang – die Arbeitsgerichte sich an das EuGH-Urteil anlehnen. Dies wird zur Folge haben, dass die Arbeitgeber für jeden langzeiterkrankten Arbeitnehmer schon gedanklich zumindest ein bis zwei Monatsgehälter als Rückstellung zu berücksichtigen haben, denn: Nach Auffassung des EuGH hat jeder Arbeitnehmer einen unverfallbaren garantierten Urlaubsanspruch von mindestens vier Wochen pro Jahr, der auch durch Langzeiterkrankung nicht erlöschen kann. Dies soll nach der Auffassung des EuGH auch dann gelten, wenn ein Arbeitnehmer für ein komplettes Jahr oder auch weit darüber hinausgehend arbeitsunfähig krank ist und im Anschluss an die Erkrankung nahtlos aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. In seinem Urteil hat es der EuGH nicht einmal für nötig befunden, eine zeitliche Obergrenze für die Einstandspflicht des Arbeitgebers festzulegen. Aufgrund existierender multilateraler Abkommen über die „internationale Arbeitsorganisation über den bezahlten Jahresurlaub“ (Bundesgesetzblatt II 1975, 745), welche eine Höchstgrenze von 18 Monaten beinhalten, wäre durch den EuGH eine diesbezügliche Bezugnahme und Festlegung im Urteil möglich gewesen. Auf eine solche Festlegung hat der EuGH jedoch verzichtet; auch deshalb ist eine vollkommen unausgegorene Rechtslage vorhanden. Nach dem für jeden Rechtsstreit geltenden Grundsatz entfaltet das Urteil des EuGH Rechtswirkung nur zwischen den am Verfahren beteiligten Parteien. Dies bedeutet, dass die deutschen Gerichte auch weiterhin nach den bisherigen Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts urteilen können. Jedoch: Werden sich die Instanzgerichte von dem Urteil des EuGH beeindrucken lassen? Die Ansicht des EuGH läuft letzten Endes darauf hinaus, dass die Arbeitgeber für eine nicht geleistete und auch vom Arbeitnehmer in Zukunft nicht leistbare Tätigkeit eine Abfindung zu bezahlen haben. Dies unter dem Deckmantel – so der EuGH – eines „sozialen Grundrechts“. Rechtsanwalt Rainer Boppkanzlei@raehaug-partner.de Kurzfassung1. Nach deutscher Gesetzeslage und nach Rechtsprechung des BAG ist der Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen. Kann er aus Berücksichtigungsfähigen Gründen nicht genommen werden, ist er auf das nächste Kalenderjahr bis maximal 31.03. des Folgejahres übertragbar. Danach erlischt der Urlaubsanspruch – auch der finanzielle Ausgleichsanspruch – ersatzlos. 2. Gemäß Urteil des EuGH vom 29.01.2009 ist ein Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen pro Jahr ein soziales Grundrecht. Dieser Mindestanspruch von vier Wochen kann unter keinen Umständen erlöschen, ist also auch bei einem Ausscheiden während der Arbeitsunfähigkeit finanziell auszugleichen.3. Das Urteil des EuGH wurde zwischen konkreten Parteien gesprochen, entfaltet also nur zwischen diesen Rechtswirkung. Es steht allerdings zu befürchten, dass die Instanzgerichte sich dem Urteil des EuGH anpassen. Finanzielle Rücklagen der Arbeitgeber müssen diskutiert werden. Kommentar< Der EuGH geht in seinem Urteil davon aus, dass er zu Gunsten der Arbeitnehmer ein „soziales Grundrecht“ festgelegt hat. Der EuGH verkennt in seiner – und dies darf ihm nachdrücklich ins Stammbuch geschrieben werden – praxisuntauglichen Verblendung, dass sein Urteil nicht zum Arbeitnehmerschutz beiträgt, sondern exakt das Gegenteil bewirkt. Jeder Arbeitgeber wird sich auf der Grundlage des vorliegend besprochenen Urteils des EuGH darum bemühen, langzeiterkrankte Arbeitnehmer so schnell als möglich „loszuwerden“, um Zahlungsansprüche abzuwehren, die nur deshalb entstehen, weil der Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, eine Arbeitsleistung zu erbringen. Der EuGH verkennt nachdrücklich, dass die Volkswirtschaft nur dann funktionieren kann, wenn die Arbeitnehmer für ihre Arbeitsleistung, und zwar genau für ihre Arbeitsleistung, bezahlt werden. Was der EuGH mit seinem Urteil offensichtlich bezweckt, ist nichts anderes, als Sozialleistungen des Staates auf den Arbeitgeber abzuwälzen. Dem ist entgegenzutreten. >

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