E-Commerce: "Die Kunden von heute erwarten mehr "

AH: Im Fahrzeughandel hält die Digitalisierung mehr und mehr Einzug. Wie wird das die Branche in Zukunft verändern?J. Graßmann: Aktuell ist der Markt stark in Bewegung. Wohin das genau führen wird, lässt sich heute noch nicht genau sagen, aber es gibt mehrere Tendenzen. Eine davon ist die D2C-Vermarktung (D2C = Direct to Customer). Die Hersteller möchten dem Kunden die Fahrzeuge verstärkt direkt vermarkten, um mehr mit dem Kunden in Kontakt zu treten. Das ist durchaus nachvollziehbar, denn viele der relevanten Kundendaten liegen in den Händlersystemen. Durch den Direktvertrieb entsteht bei den Herstellern ein Wissen über den Kunden, das wiederum für eigene Marketingkampagnen genutzt werden kann.AH: Der Handel wird sich also in Zukunft anders am Markt positionieren?J. Graßmann: Das ist durchaus vorstellbar. Nehmen Sie nur das Agenturmodell. Der Händler wird in Zukunft eher eine beratende Rolle spielen und mit seinen Standorten die Infrastruktur vor Ort bereitstellen. Die Fahrzeuge werden dagegen direkt vom Hersteller an den Kunden verkauft, der dabei den präferierten Partner/Händler auswählen kann. Auch Ownership-Modelle wie das Auto-Abo drängen jetzt auf den Markt. Der Händler wird zu einem Mobilitätsdienstleister, über den die Services der Hersteller in Anspruch genommen werden können. Durch dieses neue Vertriebsmodell entsteht auch ein spürbarer Wandel bei den Kundeninteressen.AH: Welche Erwartungshaltung haben Kunden heutzutage gegenüber früher?J. Graßmann: Die Kunden von heute erwarten mehr, weil sie es aus dem E-Commerce in anderen Branchen gewöhnt sind. Im Internet mit ein paar Klicks einkaufen ist heute nichts Ungewöhnliches mehr. Diese Convenience wird übernommen und auf den Autohandel projiziert. Der Kunde wünscht sich reibungslose, einfache Prozesse, egal ob es sich um einen Servicetermin oder den Autokauf handelt. Diese Erwartungshaltung muss der Handel in jedem Bereich erfüllen, in dem es Kontakt zum Kunden gibt. Das fängt in der reinen Onlinewelt an und hört bei neuen Showroom-Konzepten und Pop-up-Stores auf.AH: Wie werden sich die digitalen Veränderungen Ihrer Meinung nach auf den Autohandel auswirken?J. Graßmann: Grundsätzlich werden sich in meinen Augen digitale und innovative Händler durchsetzen, die die Erwartungen und Bedürfnisse der Kunden erfüllen oder übertreffen. Darüber hinaus muss man auch zwischen kleineren Händlern, die ihre Kunden lokal bedienen, und großen Handelsgruppen unterscheiden. Ich vermute, dass sich die Konsolidierung weiter fortsetzen wird, bei der sich für die kleineren Händler auf lange Sicht entweder das Geschäft nicht mehr lohnt oder diese von den großen Gruppen aufgekauft werden.AH: Woran liegt das?J. Graßmann: Die großen Händler haben klare Vorteile beim Thema Digitalisierung, denn sie verfügen über die finanziellen Mittel und das Know-how für das digitale Marketing. Die kleineren Händler können da oft nicht mithalten. Was aber nicht heißen soll, dass nicht auch ein lokales Autohaus digital gut aufgestellt sein kann. Unsere regelmäßig durchgeführten Studien zeigen, dass der Händler nach wie vor trotz wachsender digitaler Angebote die wichtigste Anlaufstelle für den Kunden beim Autokauf ist.AH: Fehlt den Kunden das Menschliche?J. Graßmann: Genau! Ein Auto zu kaufen, ist nach wie vor für die meisten Menschen eine große Investition. Deshalb wünscht sich hier die Mehrheit der Käufer einen persönlichen Ansprechpartner, der sie während des Kaufs und auch anschließend bspw. beim Service und Aftersales begleitet. Über 90 Prozent aller Neuwagenkunden besuchen mindestens einen Händler vor dem Kaufabschluss.AH: Trotzdem steigen die Zahlen bei den Onlineverkäufen ...J. Graßmann: Die Situation rund um Covid hat beim Thema Onlineverkauf als Katalysator fungiert. Hersteller und Händler, die in den vergangenen Monaten eine Onlinekauf-Option zur Verfügung gestellt hatten, waren die klaren Gewinner. In einer Studie haben wir die Kunden konkret gefragt, ob sie ein Auto auch online kaufen würden. Die meisten haben dies mit 'Ja' beantwortet. Dabei hätte die Mehrheit der Befragten das Fahrzeug online eher beim Händler gekauft als über eine Hersteller-Website. Man sieht, der Handel wird weiterhin eine wichtige Rolle im Fahrzeugmarkt spielen. Wie genau die Hersteller und der Handel in Zukunft aber beim Thema Onlinekauf zusammenarbeiten, ist noch offen. Wir sehen hier einen iterativen Prozess beim Hersteller-Händler-Set-up.AH: Hat sich dadurch auch die Customer Journey beim Autokauf verändert?J. Graßmann: Eine klassische Customer Journey gibt es aufgrund der Vielzahl an Touchpoints und Lebenssituationen der Kunden im Prinzip nicht. Studien zeigen, dass Probefahrten und Händlerbesuche in den letzten Jahren abgenommen haben. Dafür hat die Wichtigkeit der digitalen Recherche stark zugenommen. Der Kunde kommt fast nur noch zum Kaufabschluss ins Autohaus.AH: Was muss ein Händler tun, um sein digitales Angebot zu verbessern?J. Graßmann: Das fängt mit den Basics an: Die Händlerwebsite sollte aktuell, leicht bedienbar und responsiv sein, da die meisten Seitenbesuche heute mit mobilen Geräten getätigt werden. Weiter sollte die Auffindbarkeit im Netz gewährleistet sein. Mit Google My Business können Händler ein kostenloses Unternehmensprofil anlegen und ihr Geschäft in der Google Suche und bei Google Maps präsentieren. So ein Brancheneintrag bietet eine tolle Möglichkeit, Kunden auf die Website und in den Showroom zu führen. Zusätzlich gibt es Werbeangebote der OEMs, um die Händler zu unterstützen. Die Google Search Ads, also die Werbeanzeigen auf Google, werden dabei zentral gesteuert und es gibt häufig Zuschüsse von den Herstellern. Die Händler sollten solche Angebote wahrnehmen, um Kunden Traffic zu generieren, denn dahinter stehen meist professionelle Werbeagenturen mit dem entsprechenden Know-how. Natürlich kann jeder Händler zusätzlich auch selber relevante Anzeigen über die Google Suche schalten.AH: Wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen beim Onlinevertrieb?J. Graßmann: Der Trend geht klar in Richtung Onlinevertrieb, das zeigen uns Kundenbefragungen und die aktuellen Suchtrends. Bereits 14 Prozent aller Neuwagenkäufe werden online abgewickelt, allerdings mit analogen Teilprozessen, zum Beispiel die Abholung des Fahrzeugs. Für die momentanen Hürden wie das Rückgaberecht und der digitale Finanzierungsabschluss werden zunehmend Lösungen gefunden, denn sowohl Hersteller als auch Kunden profitieren vom digitalen Vertrieb. Hinzu kommen neue Player am Markt in Form von Onlineplattformen, die bereits die digitale Verkaufsstrecke bei Gebrauchtwagen vollständig abbilden. Das tut natürlich dem Markt am Ende gut, da der Wettbewerb sich erhöht und so Innovationen vorangetrieben werden. Die USA sind diesbezüglich zwar um einiges weiter, aber der deutsche Automarkt ist dabei, aufzuholen.AH: Vielen Dank für das Gespräch!

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