IfA Branchengipfel: Geänderte Rolle für den Handel

Der Handel soll künftig beraten, vielleicht noch Fahrzeuge ausliefern. Aber vor allem Service leisten. Das war die Kernbotschaft der auf dem IfA Branchengipfel am 20. Oktober vertretenen Hersteller Audi, BMW und Volkswagen. Die 23. Ausgabe des Kongresses stand unter dem Motto "Challenges Ahead - Restart Future". Damit sich die Autobranche wieder vom Getriebenen zum Treiber entwickelt und der hohen Veränderungsdynamik proaktiv begegnen kann, setzte das Institut für Automobilwirtschaft wieder auf hochkarätige Gäste und spannende Themen. Mit über 530 Teilnehmern zählt der Fachkongress zu den wichtigsten Veranstaltungen für Verantwortliche von Autoherstellern, Händlern, Werkstätten und Dienstleistern. Neuwagen vom Hersteller Mit dem Agenturgeschäft wollen die Hersteller den Verkauf von Neuwagen langfristig an sich ziehen. Auch wenn durchaus eingeräumt wurde, dass sie dafür noch einiges lernen müssen. "Es wird noch eine Zeit dauern, bis die OEM mit den Daten, über die sie verfügen, auch etwas anfangen können", hieß es schon am Vorabend bei der Talkrunde mit AVAG-Geschäftsführer Roman Still und dem langjährigen Spitzenautomanager Jürgen Stackmann. Ganz deutlich machte die Marschrichtung Thomas Schäfer, CEO der Marke Volkswagen Pkw: "Der Händler wird eine andere Rolle einnehmen müssen, in der er vermehrt beratend zur Seite steht - aber auch bei den Herstellern sind neue Prozesse nötig. Das ist eine Lernfahrt, in der wir alle stecken." Andere Vertriebswege Trotzdem wurde die wichtige Rolle des Handels in den Reden immer wieder betont. Es schwang aber immer mit "solange man ihn noch braucht". Und das wird die entscheidende Frage sein. Denn die neuen Marken, die auf den Markt kommen, in Nürtingen vertreten durch Aiways und Nio, setzen derzeit nicht auf die Autohäuser. Aiways verkauft über Euronics Partner, den Service macht ATU. Nio setzt auf Leasing und Abo und betreibt ein eigenes Nio House in Berlin. Weitere sollen folgen. Angesichts der Tatsache, dass auch Tesla momentan Schauräume und Werkstätten baut, zeigten sich die Manager auch für Autohäuser offen. Botschaft: Wenn das eine nicht funktioniert, versuchen wir es anders. Handelsinitiativen Diese Überlegungen sind natürlich auch dem Handel nicht entgangen. Im so genannten Retail Forum war schön zu sehen, dass auch der Handel keineswegs schläft, sondern sich ebenfalls anders aufstellt. So hat die AVAG, laut IfA-Ranking die Top-Händlergruppe in Deutschland, die 2021 rund 117.000 Fahrzeuge abgesetzt hat und damit fast das Doppelte vom Zweitplatzierten, für ihre eigenen 200 Betriebe ein Tool entwickelt, das sie nun auch anderen Händlern anbietet: Alles.Auto, das Patrick Mayer von der AVAG in Nürtingen präsentierte, hat auf Basis von Händler-Bedürfnissen eine technologische Lösung geschaffen, die alle Marketing-, Verkaufs- und Service-Prozesse in einem digitalen Autohaus abbildet. Eine White-Label-Lösung verspricht, dass alle über dieses Tool generierten Kundendaten beim Händler bleiben. Angebotene Produkte und Preise auf der Händlerseite sind frei definierbar. Und der jeweilige Händler kann entscheiden, welche Aktionen und Marketing-Maßnahmen für seine Kunden ausgespielt werden. Neue Geschäftsfelder Werner Söcker erläuterte, dass auch die Weller-Gruppe nach neuen Geschäftsfeldern suche. Als Beispiel nannte er, dass die Gruppe versucht habe, auch Fahrräder der vertretenen Autohersteller zu verkaufen. Das habe nicht funktioniert, der Verkauf von anderen Fahrrädern schon. Diese könnten aber nicht das Kerngeschäft ersetzen. Wenn aber im Agenturgeschäft Preis und Bestand kein Differenzierungsmerkmal mehr sei, müsse man sich anders vom Wettbewerb unterscheiden. Deswegen würde das Unternehmen derzeit eine breit angelegte Erhebung durchführen, um herauszufinden: Was wünscht sich der Kunde? Wahrscheinlich würde sich das individuell unterscheiden, weshalb möglicherweise verschiedene Antworten gefunden werden müssten. Ebenfalls aber ganz wichtig für Söcker: Was wünscht sich der Mitarbeiter? Denn diese zu bekommen und zu halten, ist eine der größten Herausforderungen der Zukunft. Gute Mitarbeiter sind das Herz des Geschäfts. Deutliche Kritik am Hersteller Christian Welling von der Graf Hardenberg Gruppe übte ungewöhnlich deutliche Kritik am Hersteller Volkswagen-Konzern. Scherzhaft ergänzte er, dass er hoffe, nicht gleich die Revision im Haus zu haben. Seine Worte waren aber deutlich: "Nie waren Hersteller und Händler weiter voneinander entfernt." Dass derzeit mehrere Ökosysteme parallel existierten, würde der Kunde nicht verstehen. Für ihn ist klar: "Am stärksten sind wir vor Kunden gemeinsam." Der Handel sei vor Ort und löse die Probleme der Kunden. Und diese Kunden seien im Falle der Graf Hardenberg Gruppe zu 66 Prozent "Dimec", das steht für Dienstwagenkunden mit Einzelkundencharakter. Neben der Nutzung der synergetischen Möglichkeiten der Gruppe, die zu den 20 größten in Deutschland gehört, zum Beispiel durch Zentralabteilungen, mehr Volumen und mehr Effizienz, gehörte auch die Nutzung der starken und zukunftsfähigen Ertragssäulen Gebrauchtwagengeschäft und Aftersales. Dennoch überprüft auch die Karlsruher Gruppe ständig ihr Marken-, Dienstleistungs- und Produktportfolio. Neuerungen funktionierten am besten, wenn auch die Mitarbeiter dazu passten. Als Beispiel nannte er einen Filialleiter, der passionierter Harley-Davidson-Fahrer ist und jetzt unter dem Dach der Gruppe erfolgreich einen Harley-Davidson-Store führt. Elektromobilitätszentrum Einen neuen Ansatz wählte auch Carsten Seitz. Der unterfränkische Vertragshändler von Mitsubishi und Kia startete ein neues Elektromobilitätszentrum in Niedernberg. "Der Trend geht zwangsläufig zu Stores, da sich große Showrooms nicht mehr rechnen werden", erklärte der Autohaus-Chef in Nürtingen. Niedernberg ist für Seitz der erste Standort außerhalb der Heimatstadt Obernburg. Für ihn ein Schritt in Richtung Aschaffenburg, wo schon jetzt viele seiner Kunden sitzen. In dem neuen Betrieb will Seitz ein modernes Konzept für den Vertrieb von innovativen Elektrofahrzeugen umsetzen. "Kein klassisches Autohaus in Kombination von Vertrieb und Service, sondern ein Store, um Interessenten optimal und umfangreich über das Thema Elektromobilität informieren zu können", sagte er. Der Service findet im Stammbetrieb in Obernburg statt. Bezahlbare Fahrzeuge Der Trend zu immer höheren Preisen im Neuwagenbereich besorgt ebenfalls zahlreiche Händler, die fürchten, ihre Stammkunden nicht mehr bedienen zu können. Auch hier machte Thomas Schäfer die passende Ansage: "Alle Hersteller arbeiten sich gerade von oben nach unten, das liegt an den hohen Batteriekosten. Wir werden in naher Zukunft Fahrzeuge auf den Markt bringen, die schon deutlich weniger kosten. Das ist allerdings noch lange nicht das Ende. Wir wollen schon bezahlbarer werden und robben uns da langsam voran." Roman Still hatte bei der Talkrunde am Vorabend gesagt, dass die Chinesen billiger produzieren können. Geschäft mit ihnen könnte interessant werden, wenn sie mit günstigen Kleinwagen auf den deutschen Markt kämen. Danach sieht es aber derzeit nicht aus. Auch die Chinesen, die bereits in Deutschland aktiv sind, haben keine Kleinwagen. Eine Lücke, von der bisher niemand weiß, wie sie geschlossen werden soll. Auch beim Auto-Abo zeigte sich Still verhalten: Das bleibe ein Zusatzgeschäft. Kurzfassung Elektromobilitätszentrum, Harley Davidson Store, Fahrradladen - auch der Handel sucht sich angesichts der Ankündigungen der Hersteller andere Geschäftsfelder und versucht sich unabhängiger von den Herstellern zu machen.

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