Ausgabe 04/2020: Im Keim vorhanden

Manchmal bestehen noch immer Unsicherheiten im Umgang mit der Beweislastumkehrvorschrift, § 477 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Folgende Eckpunkte sind wichtig:- Die Beweislastumkehr gilt nur beim Verbrauchsgüterkauf, also Verkauf einer beweglichen Sache durch einen Unternehmer an einen Verbraucher (z. B. eines Gebrauchtfahrzeugs durch einen Händler an einen Privatkunden).- Anders als fälschlicherweise in manchen Verbraucherveröffentlichungen zu lesen, bleibt der Kunde auch während der Phase der Beweislastumkehr beweisbelastet dafür, dass überhaupt ein Mangel vorliegt.Will man sich dem Kern der Beweislastumkehrvorschrift nähern, hilft folgende Überlegung: Grundsätzlich ist jeder, der einen Anspruch stellt, beweisbelastet für die für ihn günstigen Tatsachen. So muss also derjenige, welcher Sachmängelhaftungsansprüche (früher sogenannte Gewährleistung) durchsetzen will, grundsätzlich zwei Dinge beweisen, nämlich natürlich erst einmal den Mangel als solchen und sodann, dass dieser bereits bei Übergabe (im Gesetz sogenannter Gefahrübergang) im Keim vorhanden gewesen ist. Beweislast bedeutet dabei, dass Zweifel zulasten der beweisbelasteten Partei gehen.Nun scheiterten viele Klagen von Kunden vor Gericht daran, dass ein gerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten zwar den Mangel als solchen bestätigte, vielfach aber offen blieb, ob sich dieser vielleicht "ein paar Tage vor oder ein paar Tage nach Übergabe" zu entwickeln begonnen hatte. Nur für Verbraucherkunden wurde dann festgelegt, dass wenn sich ein echter Mangel innerhalb der ersten sechs Monate nach Übergabe zeigt, gesetzlich vermutet wird, dass der Mangel bei Übergabe bereits im Keim vorhanden war, frei nach dem Motto, wenn verkaufte Waren sich bereits kurzfristig - nämlich innerhalb von sechs Monaten - als mangelhaft herausstellen, werden sie wohl schon bei Übergabe "einen Schlag weg gehabt haben".Negativ: Erweiterung der VermutungswirkungWie jegliche gesetzliche Vermutung bewirkt das dann eben eine Beweislastumkehr. Das heißt, wenn der Händler in dieser Situation nicht haften will, wäre er es, der beweisen muss, dass beispielsweise eben das Gebrauchtfahrzeug bei Übergabe den Mangel noch nicht in sich trug. Lässt das Sachverständigengutachten dies offen, so ist also er es, zu dessen Lasten die Zweifel sich dann auswirken. Leider hat der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 12.10.2016, Az.: VIII ZR 103/15) aufgrund eines zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) seine Rechtsprechung dahingehend angepasst, dass die gesetzliche Vermutungswirkung bereits dann greift, wenn dem Kunden der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten seit Übergabe ein mangelhafter Zustand in Form einer "Mangelerscheinung" gezeigt hat, der - unterstellt, er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand - dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde.Aufgrund dieser Rechtsprechung wird die Beweislast noch weiter als bisher vom Kunden auf den Händler verschoben. Konkret wirkt sich das beispielsweise aus, wenn der Händler einen Bedienungsfehler behauptet. Wenn das gerichtliche Sachverständigengutachten zum Ergebnis kommt, dass für den reklamierten Zustand gleichermaßen z. B. ein Fabrikationsfehler oder eine Fehlbedienung durch den Kunden in Betracht kommt, ließ sich früher argumentieren, dass damit ja bereits auf der ersten Stufe ein Mangel als solcher nicht bewiesen sei, so dass der Kunde seinen Prozess verlor. Nach heutiger Rechtsprechung wird in dieser Situation dann bereits gesetzlich vermutet, dass kein Bedienungsfehler, sondern ein echter Mangel vorliegt (und dieser dann "natürlich" auch bei Übergabe bereits im Keim vorhanden war).Positiv: Keine Beweislastumkehr bei Uralt-FahrzeugenGemäß § 477 BGB gilt die Beweislastumkehr dann nicht, wenn die oben näher erläuterte Vermutung mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar ist. Dies wird in der Rechtsprechung leider nicht bereits generell bei gebrauchten Sachen - wie Gebrauchtfahrzeugen - angenommen und auch sonst recht restriktiv gehandhabt. Bei besonders alten Fahrzeugen mit extremer Laufleistung wird je nach Mangel jedoch ein Schluss darauf, dass dieser bereits bei Übergabe im Keim vorlag, nicht mehr gezogen.Ferner will der BGH und mit ihm die herrschende Rechtsprechung zwar (leider) nicht der Auffassung folgen, dass bei einer bloß äußeren Beschädigung der Kaufsache, wie etwa einer Karosseriebeschädigung, die Beweislastumkehr nicht eingreift, weil sich insoweit kein hinreichend wahrscheinlicher Rückschluss auf deren Vorliegen bereits zum Zeitpunkt der Übergabe ergibt. Jedoch sieht man dort doch zumindest dann die gesetzliche Vermutung mit der Art der Sache und des Mangels unvereinbar, wenn es sich um äußerliche Beschädigungen handelt, die auch dem fachlich nicht versierten Käufer auffallen müssten.Verlängerung der Beweislastumkehr?Die Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom letzten Jahr über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs sieht in Artikel 11 vor, dass bei Vertragswidrigkeiten, die innerhalb eines Jahres nach dem Zeitpunkt der Lieferung der Ware offenbar werden, vermutet wird, dass sie bereits zu dem Zeitpunkt der Lieferung der Waren bestanden haben, es sei denn das Gegenteil wird bewiesen oder diese Vermutung ist mit der Art der Waren oder der Art der Vertragswidrigkeit unvereinbar.Auch Deutschland ist gehalten, diese Vorgabe bis zum 01.07.2021 umzusetzen und die erforderliche Vorschrift zu erlassen und zu veröffentlichen, um dieser Richtlinie nachzukommen. Angewendet werden soll die Neuregelung dann ab dem 01.01.2022, wobei eine Geltung für vor dem 01.01.2022 geschlossene Verträge ausgeschlossen wird. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz arbeitet derzeit an einem Referentenentwurf zur Umsetzung der Richtlinie, welcher kurzfristig den anderen Bundesministerien, den Ländern und Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet wird.Die geplante Verlängerung der Beweislastumkehr auf ein Jahr ist dramatisch! Nicht auszudenken wäre, wenn der deutsche Gesetzgeber - wozu er ebenfalls in Artikel 11 der genannten Richtlinie ermächtigt wird - die Frist sogar auf zwei Jahre ab Übergabe verlängern würde. Es ist zu hoffen, dass der Verbraucherschutz nicht in Richtung auf eine Beweislastumkehr "ohne Ende" übertrieben wird! Abgefedert werden kann das Ganze natürlich wie immer durch die Vereinbarung vertraglicher Gebrauchtwagengarantien.K. Martin HakeRechtsanwalt, der sich seit über 25 Jahren schwerpunktmäßig den Gebieten des Autoverkaufs-, Reparatur- und Unfallschadensrechts sowie dem Handelsrecht und auch Verkehrsstraf- und Bußgeldsachen, ferner dem Recht des Forderungsmanagements im Kfz-Bereich widmet. Gemeinsam mit den Anwälten in seiner Kanzlei "Hake Rechtsanwälte" (kontakt@hake-rechtsanwaelte.de) ist er deutschlandweit bei der Beratung sowie außergerichtlichen und gerichtlichen Vertretung insbesondere von Kfz-Händlern und Werkstätten sowie Herstellern und Importeuren im Einsatz. Parallel betätigt sich der Spezialist für Autorecht als Autor von Fachbüchern, Fachbeiträgen in Zeitschriften sowie als Konzeptionist und Seminarreferent u. a. für die zertifizierten Lehrgänge der Branche rund um das Thema Kfz-Recht. Seine Bücher "Rechtsfragen der Kfz-Werkstatt" (in der 8. Auflage erhältlich), "Rechtssicherheit beim Autoverkauf" und die Fibel "Forderungsmanagement im Autohaus" sind im Verlag Springer Fachmedien (Springer Science + Business Media) erhältlich.

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