Ausgabe 18/2010: Irreführendes Hü & Hott

Irreführendes Hü & HottGW-werbung E Irreführende Werbung bei der Angabe „Jahreswagen – ein Vorbesitzer/1. Hand“? autohaus juristen rechtsanwälte G. Haug & PartnerDer vierte Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm entschied am 20. 7. 2010 (Az: I-4 U 101/10), dass bei einem Mietwagen die Angabe „Jahreswagen – ein Vorbesitzer/1. Hand“ irreführend ist, wenn nicht über die Art des Vorbesitzers aufgeklärt wird. Diese Entscheidung steht erneut in einer Linie mit anderen Urteilen, die eine deutlich verbraucherfreundliche Sichtweise der Rechtsanwendung an den Tag legen. Gerade weil in der Presse derartige verbraucherfreundliche Urteile zuvorderst veröffentlich werden, ist es Angelegenheit der Fachpresse – so auch im konkreten Fall –, auch andere Gerichtsmeinungen darzustellen, wie die des OLG Nürnberg im Verfahren 3 U 882/10. Auffassung des OLG HammIn der Entscheidung des OLG Hamm vom 20. 7. 2010 ging es um Folgendes: Ein Kfz-Händler stellte seine GW-Angebote unter anderem in einer Internetplattform ein. Im Jahr 2010 wurde unter anderem ein Seat Ibiza 1,2 Style für 10.690 Euro inseriert. Der Pkw wurde hierbei mit den Angaben „Jahreswagen, ein Vorbesitzer/1. Hand“ beschrieben. Ein konkurrierender Kfz-Handel platzierte sein Angebot ebenfalls auf dieser Internetplattform. Bezüglich des vorgenannten Angebots für den Seat Ibiza beantragte der konkurrierende Kfz-Händler den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung der Werbung mit der Behauptung, es läge ein Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) im Sinne einer Irreführung der Verbraucherkreise vor. Jeder angesprochene Verbraucher verstehe unter der Bezeichnung „Jahreswagen“, dass das Fahrzeug ausschließlich von Werksangehörigen maximal ein Jahr genutzt worden sei, ferner, dass das Fahrzeug durch diesen einen Nutzer besonders ordentlich behandelt, sorgsam gefahren und werterhaltend gepflegt worden sei. Dem stehe eine Nutzung als Mietwagen grundsätzlich entgegen. Im Prozess war unstreitig, dass der annoncierte Seat Ibiza gewerblich als Mietfahrzeug genutzt worden war. Mit Beschluss vom 18. 8. 2010 erließ das Landgericht Essen zunächst die beantragte einstweilige Verfügung, wonach die konkrete Werbung wegen Irreführung zu unterlassen sei. Auf den Widerspruch des anbietenden Kfz-Händlers hob dieselbe Kammer des Landgerichts den eigenen Beschluss auf und verneinte eine Irreführung. Die Angabe der Vorbesitzer werde nämlich formal als Bezeichnung der eingetragenen Halter verstanden. Über eine gewerbliche Nutzung müsse nicht aufgeklärt werden, solange durch diesen Gebrauch keine Wertminderung eingetreten sei. Dies sah das OLG Hamm anders, hob das LG Essen auf und bestätigte die ursprünglich erlassene Unterlassungsverfügung des LG. Nach Auffassung des OLG folgt der irreführende Charakter der Werbung daraus, dass zusätzlich zur Verwendung des Begriffs „Jahreswagen“ auf die Anzahl der Vorbesitzer abgestellt wird, ohne dass über die Art des Vorbesitzes aufgeklärt wird. Der Adressat eines Angebots werde die Formulierung „ein Vorbesitzer“ nicht darauf beziehen, dass nur ein einziger Halter das Fahrzeug zu Eigentum hatte, es aber von beliebigen Nutzern gefahren wurde. Insofern könne nicht allein auf die formale Bezeichnung und Eintragung im Kfz-Brief abgestellt werden. Die Frage, wie viele tatsächliche Nutzer zu welchen Zwecken einen Pkw nutzen, sei für die Wertschätzung des Fahrzeugs aus Adressatensicht von Bedeutung. Dies gelte insbesondere, wenn der Vorbesitz zu Vermietungszwecken erfolgt. Fahrzeuge, die vom Vermietungsunternehmen eingesetzt werden, würden häufig von Fahrern mit wechselndem Temperament, wechselnden Fahrfähigkeiten und Sorgfaltseinstellungen benutzt. Allein der Umstand, dass ein Fahrzeug nicht ständig für eigene Zwecke genutzt wird, führe erfahrungsgemäß zur abgesenkten Sorgfaltsanforderung im Hinblick auf das Interesse an langfristiger Werterhaltung. Unterschiedliches Fahrtemperament beeinflusse auch die Verschleißteile eines Fahrzeuges und den Pflegezustand von Lack, Sitzen und „Fahrzeughimmel“. Der Käufer müsse deshalb nicht mehr über die Anzahl der Vorbesitzer, sondern auch über die Art des Vorbesitzes aufklären, ansonsten sei von einer irreführenden Werbung auszugehen. Abweichende Auffassung des OLG NürnbergDas OLG Nürnberg erließ am 8. 6. 2010 zum Aktenzeichen 3 U 882/10 eine Hinweisverfügung in einem gleichgelagerten Fall. Es ging hier um die Werbung auf der Internetplattform „AutoScout24“ für einen VW Polo. Dieser war als „Jahreswagen (ein Vorbesitzer)“ angeboten worden. Ein Konkurrent mahnte ab und beantragte, nach Verweigerung des werbenden Händlers, vorprozessual eine Unterlassungserklärung abzugeben, vor dem zuständigen LG den Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung. Dieser Antrag wurde zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Konkurrent Berufung zum OLG Nürnberg. Das OLG Nürnberg erklärt im Hinweisbeschluss vom 8. 6. 2010, dass es die Berufung des Abmahners durch einstimmigen Beschluss zurückweisen werde, falls die Berufung nicht zurückgenommen würde. Die Werbung sei nämlich nicht irreführend. Schließlich – so das OLG Nürnberg – gehe ein Verbraucher nicht mehr davon aus, dass ein als „Jahreswagen“ beworbenes Auto nicht auch als Mietfahrzeug im Einsatz war – mit der entsprechenden Konsequenz, dass der Zusatzangabe „ein Vorbesitzer“ kein darüber hinausgehender eigenständiger Charakter zukommt. Nicht zuletzt die Richtlinie zur „Abwrackprämie“ habe zu einem Wandel in der Verkehrsauffassung geführt. Im Zusammenhang mit der Abwrackprämie zählten auch ehemalige Mietwagen zur Kategorie „Jahreswagen“. Die Hinweisverfügung des OLG Nürnberg wurde vom OLG Hamm in dessen eigener Entscheidung zwar zitiert, jedoch – fehlerhaft – behauptet, es bedürfe einer Auseinandersetzung mit der Auffassung des OLG Nürnberg nicht. Denn die Bezeichnung „Jahreswagen“ werde beim OLG Nürnberg in Alleinstellung verwendet. In dem Fall des OLG Hamm seien jedoch weitere Ankündigungen verwendet worden. Das OLG Hamm übersieht hierbei – bewusst oder unbewusst –, dass das OLG Nürnberg seine Auffassung sehr wohl auch im Hinblick auf eine Werbung getroffen hat, bei welcher der Begriff „ein Vorbesitzer“ zusätzlich zur Bezeichnung „Jahreswagen“ vorhanden war. In der Vorinstanz zum OLG Hamm hat das LG Essen im Übrigen die diskussionswürdige Auffassung vertreten, dass aufgrund des technischen Fortschritts nicht mehr generell davon ausgegangen werden kann, dass ein besonderer Verschleiß allein aufgrund einer hohen Anzahl verschiedener Benutzer des Pkw bereits bei kurzzeitiger gewerblicher Nutzung verursacht wird. AusblickAufgrund der Tatsache, dass zwei Oberlandesgerichte durchaus verschiedener Auffassung sind, kann jedenfalls nicht von einer gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung ausgegangen werden. Bei der rechtlichen Beurteilung kann insgesamt nicht außer Acht gelassen werden, dass die Rechtsprechung zum Sachmängelrecht bei gleichgelagerten Fällen, bei denen eine gewerbliche Vorbenutzung – oder sogar ein wirtschaftlicher Totalschaden! – verschwiegen wird, durchgängig nur dann von einem Sachmangel ausgeht, wenn tatsächlich und bewiesenermaßen eine technische oder merkantile Wertminderung anzunehmen ist. Bis zu einer abschließenden Klärung durch den Bundesgerichtshof werden Werbungen der vorliegenden Art allerdings immer wieder die Begehrlichkeit von gewerbsmäßigen Abmahnern wecken. Wer bis dahin jegliche Schwierigkeiten vermeiden will, sollte der Werbung Zusätze hinzufügen wie „Firmenvorbenutzung“, „Leasingrückläufer“ oder Ähnliches.Rechtsanwalt Rainer Bopp,kanzlei@raehaug-partner.deKurzfassung1. Die Werbung für ein Gebrauchtfahrzeug mit der Angabe „Jahreswagen/ein Vorbesitzer/1. Hand“ ist nach dem Urteil des OLG Hamm vom 20. 7. 2010 irreführend. Ohne Angabe der Art des Vorbesitzes verstößt die Werbung gegen Bestimmungen des Wettbewerbsrechts, weil es für den durchschnittlichen Verbraucher hinsichtlich der Wertschätzung eines Pkw von besonderer Bedeutung ist, wie viele Vorbesitzer diesen tatsächlich genutzt haben.2. Nach Auffassung des OLG Nürnberg im Hinweisbeschluss vom 8. 6. 2010 ist die gleiche Werbung nicht irreführend, weil ein Verbraucher heute nicht mehr davon ausgeht, dass ein Jahreswagen nicht auch als Mietfahrzeug (mit der Konsequenz von mehrfachen Benutzern) im Einsatz war. 3. Bis zur abschließenden Klärung durch den BGH ist daran zu denken, einer solchen Werbung Zusätze wie „Firmenvorbenutzung“, „Leasingfahrzeug“ oder Ähnliches hinzuzufügen.Kommentar< Es gibt Fälle, in denen durch die bloße Behauptung, etwas sei eine Tatsache, Tatsachen geschaffen werden sollen – oder sogar geschaffen werden. Das in diesem Beitrag besprochene Urteil des OLG Hamm kann durchaus in dieser Hinsicht verstanden werden. Das OLG stellt keine Überlegungen und keine Untersuchungen dahingehend an, inwieweit die Vorbenutzung eines „Jahreswagens/Ein Vorbesitzer/1. Hand“ tatsächlich eine Wertminderung zum Inhalt hat. Es statuiert durch die Unterstellung, ein Durchschnittsverbraucher würde eine bestimmte Sichtweise haben, wirtschaftliche Tatsachen und kommt so zum irreführenden Charakter einer Werbung. Dies ist rechtlich bedenklich und wird von anderen Gerichten auch anders gesehen. >

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