Zukunft im globalen Markt: Kein Handel ohne Händler

Das Geschäftsmodell des stationären Automobilhandels steht nach über 120 Jahren vor großen Herausforderungen. Die Automobilhersteller (Original Equipment Manufacturer, OEM) unterliegen einem scharfen globalen Wettbewerb. Ambitionierte Absatzpläne führen in Asien, Nord- und Südamerika zu einem hohen Vertriebs- und Preisdruck. Starke Währungsschwankungen, hohe Zölle und politischer Druck tun ihr Übriges, um in rascher Folge neue Automobilfabriken in den Wachstumsmärkten aus dem Boden zu stampfen. Der deutsche Automobilhandel wird sich auch langfristig betrachtet auf eine rückläufige Nachfrage einstellen müssen, u. a. weil eine dauerhaft schrumpfende Bevölkerung und ein sich veränderndes Konsumverhalten den Fahrzeugbedarf reduzieren. Vor diesem Hintergrund stellen die zunehmenden Nischenangebote und die kurzatmige Abfolge neuer Modelle den Handel vor große vertriebspolitische, organisatorische und investive Herausforderungen. Für die Handelsvertreter deutscher Marken gilt: Die Premium- und Volumenhersteller verhalten sich immer stärker wie Importeure, weil der deutsche Markt zwangsläufig sein Gewicht einbüßen wird, ohne dass die Wettbewerbsintensität auf dem heimischen Markt nachlassen wird. Die Konzernmanager denken noch internationaler, transportieren ihre globalen Erfahrungen in den deutschen Markt. Das erfordert vom örtlich gebundenen Autohandelsunternehmer ein anspruchsvolles und differenziertes Verständnis der komplizierten und teilweise widersprüchlichen Entscheidungsmechanismen in diesen Konzernen. Die Vertriebsabteilungen der Automobilproduzenten wiederum müssen ihre Handelsvertreter noch stärker in ihre Kundenprozesse integrieren. Digitalisierung als "Game Changer" Die Automobilhändler in den USA investieren bereits ein Drittel ihres Marketingbudgets in Online-Aktivitäten. Die Informationsfunktion, die der Handel zwischen Hersteller und Endkunde einnimmt, verliert Stück für Stück an Relevanz. Der Kunde gewinnt dank dem Internet einen großräumigen Blick für Produkte und Preise. Das veränderte Kundenverhalten übt auch Druck auf die Marketingabteilungen der OEM aus. Die digitalen Marketingstrategien sehen die direkte Kundenansprache vor und können die Rolle des Handels herabsetzen oder gar die komplette Handelsstufe umgehen. Die Gretchenfrage lautet: Wem gehört die Kundenadresse im digitalen Vertriebszeitalter? Welche Vereinbarungen schließen Produzent und Handel, um ein faires und effizientes Leadmanagement zu gewährleisten? Handel im Wachstumsdilemma In Zeiten historisch niedriger Kapitalmarktzinsen befindet sich der Automobilhandel in der Defensive. Eine durchschnittliche Umsatzrentabilität von mühevollen 1 Prozent nach Steuern bedeutet chronischen Substanzverzehr. Die Unternehmen steuern auf das Wachstumsdilemma zu: Um für die Automobilhersteller und Kunden attraktive und unverzichtbare Handelspartner zu bleiben, bedarf es zukunftsfähiger Investitionen. Gleichzeitig reicht die Kapitaldienstkapazität in vielen Unternehmen kaum aus, um die Finanzierungen zu schultern und die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Aktives Angehen im Handel Es kommt darauf an, dass sich die jeweiligen Handelsunternehmen strategisch emanzipieren, also nicht auf die indirekten oder direkten Herstellervorgaben warten oder deren Konzepte nur adaptieren. Die Unternehmer in den Autohäusern sollten die Digitalisierung als Chance begreifen, die Branchenproduktivität durch die transparente und möglichst durchgängige Prozessautomatisierung zu verbessern, so wie es die Automobilhersteller seit Jahren vormachen. Mit Hilfe durchgängiger, softwaregestützter Abläufe wird die Verzahnung zwischen Rechnungswesen, Verkauf und Werkstatt noch stärker und werden die Verkaufserfolge noch transparenter. Das Management wird in die Lage versetzt, früher operative Fehlentwicklungen durch eine reelle Vorausschau ("Forecast") der Geschäftsfelder und Betriebe abzuwenden. Für die Verkaufs- oder Serviceleiter im stationären Autohandel bedeutet "Big Data" den Schritt von der bloßen Generierung der Kundenadresse hin zu einem messbaren betriebswirtschaftlichen Vertriebserfolg durch die permanente Steuerung von Konversionsraten, Kundenbeziehungen und erzielten Kundendeckungsbeiträgen zu machen. Vorausschauende Autohausführung institutionalisiert eine vorausschauende und kombinierte NW-/GW-Verkaufs-, Ordering- und Bestandssteuerung. Damit wird die Vertriebspolitik von morgen an den Bestandsrisiken von heute ausgerichtet. Die operativen Resultate drücken sich unmittelbar in Gewinnen oder Verlusten der Autohausbilanz aus. Der Renditehebel für den Handel steckt in einer Konzentration auf eine hohe lokale Marktdurchdringung durch die systematische Erhöhung der Kundenbindung und Maximierung von Kundendeckungsbeiträgen. Dabei ist nicht die Messung der Kundenzufriedenheit relevant, sondern die der Kundenbindung. Die permanente Messung der Kundenbindung und -deckungsbeiträge genießt den gleichen Rang wie die monatliche Auseinandersetzung mit der betriebswirtschaftlichen Auswertung. Also Wachstum durch maximale Marktausschöpfung - nicht durch mehr Stückzahlen, sondern durch mehr Umsatz und mehr Rohertrag je Kunde. Die Anforderungen an eine neue Unternehmenskultur sind herausfordernd. Innen- und Produktorientierung treten zurück zugunsten einer intelligenten und von oben gelebten Nutzer- und Lösungsorientierung. Der Erfolg in Sales und Aftersales steht und fällt mit der detaillierten, persönlichen Beziehungspflege mit dem Kunden. Szenarien je nach Größe Die wichtigsten strategischen Erfolgsfaktoren großer Gruppen liegen in der Pflege einer verkaufs- und kundenorientierten Unternehmenskultur, effizienter Prozesse, hohen Umschlagsfaktoren im Fahrzeuglager, einem tagesaktuellen Controllingsystem und umsetzungsstarken Steuerungskreisen. Voraussetzung für den Erfolg ist eine hohe Mitarbeiterkontinuität auf der Ebene der Filial- und Verkaufsleiter, Groß- und Businesskundenbetreuer, Serviceberater und Werkstattmeister. Das kleine Autohaus überlebt, wenn es sich durch eine am Unternehmer ausgerichtete Kundenorientierung auszeichnet, die weder einen Achtstundentag noch einen freien Samstag kennt. Die Stärke liegt im erstklassigen Werkstatthandwerk. Das Fahrzeuggeschäft konzentriert sich auf eine Nischenmarke und darf eine kritische Absatzgrenze nicht unterschreiten. Dank des hohen persönlichen Einsatzes des Chefs gelingt es, gute und vergleichsweise hohe Marktanteile in der Marktnische zu halten. Die mittelständischen Mehrfilialunternehmen sitzen sprichwörtlich "zwischen den Stühlen". Diese Unternehmen sind zu groß, um die persönliche Kundenbindung des Chefs in die Waagschale zu werfen, und gleichzeitig zu klein, um die Mengenund Verbundeffekte der Großen auszuschöpfen. Daher darf sich das Unternehmen strategisch nicht durch nur halb durchdachte Marken- und Standortstrategien verzetteln. Der Geschäftsführer muss ein strategischer wie operativer Kopf sein. Es muss ihm gelingen, ca. 15 Prozent seiner Mitarbeiter als echte Leistungsträger zu binden. Diese sind seine Mitstreiter in den jeweiligen Filialbetrieben oder in übergreifenden Funktionen als kaufmännisches Gewissen, im Neuwagenvertrieb oder im Gebrauchtwagenmanagement. Wie der Handel in zehn oder 20 Jahren aussieht, wissen wir nicht. Es ist nicht vorstellbar, dass Produktbegehrlichkeiten und Markenbindung ohne physische Präsenz im Showroom geschaffen werden können. Es liegt am Autohandel, seine Bedeutung als strategischer Mittler zwischen Hersteller und Automobilkäufer zu erhalten und auszubauen. Die Automobilhersteller haben eine Mitverantwortung für den betriebswirtschaftlich erfolgreichen Automobilhandel ihrer Vertragspartner. Es steht auch für die OEM viel auf dem Spiel, wenn ihre Geschäftspartner den Wandel nicht bewältigen. Die Praxis ausgeklügelter Direktvertriebsstrategien der OEM bestätigt, dass Retail und Kundenbindung sehr anspruchsvolle Geschäfte sind. Norbert Irsfeld Norbert Irsfeld Der Autor ist geschäftsführender Gesellschafter der Prudentes Management GmbH Telefon: 0 62 33 355 889 0 norbert.irsfeld@ prudentes.de Kurzfassung Weltweit vernetzte Geschäftsstrategien wirken sich auch auf den lokalen Automobilhandel aus. Um in dieser sich verändernden Welt zu bestehen, sind unternehmerischer Einsatz und vorausschauende Autohausführung gefragt. Die wichtigsten Thesen 1. Globale Trends bestimmen das Tagesgeschäft im Autohandel immer stärker.2. Der Automobilhandel befindet sich in der Defensive, weil sich die Machtverhältnisse zugunsten der Kunden und der global agierenden Automobilhersteller verschieben.3. Um in diesem Umfeld zu überleben, muss der Automobilhandel eine hohe lokale Marktdurchdringung erreichen. Nötig ist dazu eine Erhöhung der Kundenbindung und Maximierung von Kundendeckungsbeiträgen.

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