Functions on Demand: Mehrwert per Klick

Kurzfassung ▪ Für den Automobilhandel bedeutet "Functions on Demand" eine tiefgreifende Veränderung in der Rolle im Aftersales-Geschäft. ▪ Dafür ist ein gezielter Aufbau neuer Kompetenzen erforderlich. ▪ Best-Practice-Beispiele zeigen, wie Händler aktiv eingebunden werden können: In Pilotregionen übernehmen Händler die Aktivierung als Serviceleistun- oft kombiniert mit Werkstattterminen oder Probefahrten. Moderne Fahrzeuge sind mittlerweile nicht mehr nur Fortbewegungsmittel, sie entwickeln sich zu hochvernetzen Plattformen auf Rädern. Über ihre permanente Online-Anbindung erhalten sie regelmäßig Software-Updates "over the air" (OTA), die Elektronik und Steuergeräte stets auf dem neuesten Stand halten und mögliche Störungen zuverlässig beheben. Gleichzeitig ermöglicht diese Schnittstelle die nachträgliche Aktivierung zusätzlicher Funktionen - sogenannte "Functions on Demand" (FoD). Dieses Modell birgt enormes Potenzial: FoD könnten sich zu einem strategischen Hebel entwickeln, der das Aftersales-Geschäft neu definiert und die Kundenbindung nachhaltig verändert. Vom Extra zum Erlöskanal Ursprünglich wurden viele dieser Funktionen ausschließlich beim Fahrzeugkauf als optionale Ausstattung angeboten. Heute können sie flexibel und nachträglich aktiviert werden - ganz ohne Werkstatttermin. Vorreiter wie Tesla, BMW, Mercedes oder Volkswagen haben bereits umfangreiche FoD-Portfolios entwickelt und damit den Grundstein für ein neues Wertschöpfungsmodell gelegt. Die angebotenen Services lassen sich im Wesentlichen in fünf Kategorien einteilen: Komfort, Sicherheit, Performance, Infotainment und E-Mobility. Kunden erhalten dadurch maximale Flexibilität: Sie können wählen, ob sie nachträglich zum Beispiel eine Sitzheizung oder Klimaautomatik aktivieren möchten, an Kamerasystemen interessiert sind oder Kartenupdates oder Batteriepflegeprogramme bevorzugen. Diese Funktionen sind beim Kauf des Fahrzeugs vorhanden, die Freischaltung erfolgt dann über eine digitale Schnittstelle, oft per einfachem Klick in der App oder im Infotainmentsystem. Für Hersteller und Händler eröffnet sich hieraus ein doppelter Mehrwert: Zum einen entsteht ein kontinuierlicher Kundenkontakt über die gesamte Lebensdauer des Fahrzeugs hinweg, was die Bindung an Marke und Service stärkt. Zum anderen erschließen sich neue, wiederkehrende Einnahmequellen jenseits des klassischen Fahrzeugverkaufs. Potenzial und Zielgruppen FoD verändern die Erlösstruktur der Branche und bieten im Aftersales-Bereich gleich mehrere Vorteile: An die Stelle einmaliger Verkaufserlöse treten zunehmend Abo-Modelle, Pay-per-Use-Angebote sowie wiederkehrende Software-Upgrades. Was gestern noch den Besuch im Autohaus erforderte, wird morgen mit wenigen Klicks erledigt. Die Komplexität wird somit reduziert, da die Fahrzeuge ab Werk bereits vorgerüstet sind und sich die Funktionen bei Bedarf freischalten lassen. Daraus ergeben sich innovative Geschäftsmodelle für Hersteller und Handel, die weit über das traditionelle Aftersales hinausreichen. Für OEMs bedeutet das nicht nur zusätzliche Umsatzquellen, sondern auch eine verlängerte und individualisierte Kundenbeziehung über den gesamten Fahrzeuglebenszyklus hinweg. Durch regelmäßige Interaktionen entstehen datenbasierte Einblicke in Kundenverhalten und Präferenzen, die wiederum die Grundlage für zielgerichtete Produkt- und Serviceangebote bilden. Die Kundenakzeptanz ist bisher recht heterogen: Während jüngere Kunden oft technikaffiner sind und damit aufgeschlossener für digitale Upgrades und flexible Bezahlmodelle, bevorzugen traditionelle Käufer weiterhin "all inclusive", das heißt alle Funktionen sollten schon beim Kauf integriert sein. Im Premiumsegment dagegen schätzen die Kunden die Möglichkeit zur Individualisierung besonders stark. Nur wenn Preis, Nutzen und Bedienbarkeit stimmen, wird der Kunde aktiv. Letztlich entscheidet der wahrgenommene Mehrwert über die tatsächliche Nutzung. Bedeutung für Aftersales Für den Automobilhandel bedeutet Functions on Demand eine tiefgreifende Veränderung in der Rolle im Aftersales-Geschäft. Während früher Service und Wartung im Vordergrund standen, entwickeln sich Händler nun zunehmend zu Beratern und digitalen Lösungsanbietern. Damit diese Rolle erfolgreich wahrgenommen werden kann, ist ein gezielter Aufbau neuer Kompetenzen erforderlich: Verkaufs- und Servicepersonal müssen nicht nur mit den technischen Grundlagen von FoD vertraut sein, sondern auch die Vorteile, Preismodelle und Einsatzszenarien überzeugend vermitteln können. Kontinuierliche Schulungen und Qualifizierungsprogramme werden somit zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor, um Kunden professionell zu begleiten und Vertrauen in die neuen digitalen Angebote aufzubauen. Damit stellen FoD den Handel vor technische und organisatorische Herausforderungen. Eine leistungsfähige IT-Infrastruktur mit Cloud-Plattformen, durchdachtem Datenmanagement und Schnittstellen zu bestehenden Systemen ist ebenso essenziell wie eine modulare, updatefähige Software-Architektur mit OTA-Fähigkeit. Auch rechtliche Fragen - etwa zu Datenschutz und Produkthaftung - dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden. Rolle und Chancen des Handels Best-Practice-Beispiele zeigen, wie Händler aktiv eingebunden werden können: BMW und Mercedes erproben spezielle Portale, über die FoD-Funktionen direkt aktiviert oder beworben werden. In Pilotregionen übernehmen Händler die Aktivierung als Serviceleistung - oft kombiniert mit Werkstattterminen oder Probefahrten. So könnte eine Beratungssituation in der Praxis aussehen: Ein Kunde bringt seinen neuen BMW zur Inspektion - einige Komfort- und Sicherheitsfeatures wie Sitzheizung oder Fernlichtassistent sind zwar verbaut, aber noch nicht freigeschaltet. Das Service-System erkennt beim Check-in das FoD-Potenzial und informiert den Berater. Dieser spricht den Kunden gezielt an, erläutert Vorteile und Kosten. Entscheidet sich der Kunde spontan für ein Upgrade, kann es direkt freigeschaltet oder per Link zur Selbstaktivierung versendet werden. FoD als erfolgreiche Perspektive FoD stehen noch am Anfang, bergen aber großes Potenzial. Künftig wird eine stärkere technische Vernetzung erwartet - mit KI-gestützter Personalisierung und digitalen Prozessen für Beratung, Bezahlung und Aktivierung. Für den Handel sind zwei Erfolgsfaktoren entscheidend: ein intelligentes IT-System zur Potenzialerkennung und qualifiziertes Personal mit echtem Kundennutzen. FoD sollte nicht als Bedrohung, sondern als Chance zur Wertschöpfung gesehen werden. Die Kombination aus Beratungskompetenz und digitalen Tools schafft nachhaltigen Erfolg. Wer früh investiert, sichert sich neue Umsatzquellen und stärkt die Kundenbindung. Der Autor Matthias Braun ist Partner & Head of Automotive bei rpc - The Retail Performance Company. Matthias Braun ist seit 16 Jahren in der Management Beratung und seit 2023 Partner bei rpc. Er ist Experte auf dem Gebiet der Erforschung, Entwicklung und Umsetzung von nachhaltigen Kundenzentrierungsstrategien mit dem Ziel, nahtlose kanalübergreifende Einkaufserlebnisse sicher zu stellen