Ausgabe 05/2008: Sinn oder Unsinn

Ölintervalle / Ein Beitrag der Sendung "Frontal 21" (ZDF) am 8. Januar stellte den Sinn des regelmäßigen Motorölwechsels in Frage. Erwartungsgemäß gibt es dazu unterschiedliche Sichtweisen. Sinn oder Unsinnvon Thomas SeidenstückerWer bei seinem Auto regelmäßig einen Ölwechsel durchführt oder durchführen lässt, soll als Autofahrer ins Netz von Werkstätten, Fahrzeugherstellern und Mineralölindustrie geraten, die zum Ziel haben, kräftig Kasse zu machen. Denn ein Ölwechsel sei gar nicht mehr nötig, weil es seit über zehn Jahren ein Motoröl gibt, das Ölwechsel überflüssig macht. Drei Beispielfahrzeuge – eine Pistenraupe aus den Dolomiten, der Fiat Transporter eines hessischen Honda-Händlers und eine Mercedes E-Klasse eines Unternehmers im Langstreckenbetrieb – stützten die Aussage des unnötigen Ölwechsels. Alle drei Fahrzeuge wurden – teils seit über zehn Jahren – störungs- und schadenfrei ohne Ölwechsel gefahren. So weit die wesentliche Aussage eines ZDF-Fernsehbeitrages in der Sendung "Frontal 21" vom 8. Januar 2008. Intervalle unabdingbarStarker Tobak für die Kfz-Branche, die – mal wieder – öffentlich vorgeführt und als Abzocker des servicetreuen Autofahrers dargestellt wird. Es ist kein Geheimnis, dass Autohaus und Werkstatt mit dem Ölgeschäft Top-Margen erzielen und diese gerne mitnehmen. Kein anderes Produkt im Werkstattgeschäft weist eine vergleichbare Differenz zwischen Ein- und Verkaufspreis auf. Im Gegensatz zu früher hat die Branche inzwischen allerdings das fatale Problem, dass bei vielen Betrieben die ganze Existenz an den Erträgen aus dem Ölgeschäft hängt. Vielerorts kann man es sich gar nicht leisten, aufs Ölgeschäft zu verzichten. Diese Erkenntnis und Problematik löst aber nicht die grundsätzliche Frage nach der Notwendigkeit eines Motorölwechsels. Betrachtet man die Argumente der Fahrzeughersteller, Mineralölindustrie und Prüforganisationen, hat sich am Sinn regelmäßiger Motorölwechsel trotz stetig verbesserter Schmierstoffe bis heute nichts geändert. "Automobilhersteller schreiben nicht ohne Grund Ölwechsel nach bestimmten Kilometerintervallen oder Zeiträumen vor. Denn die Betriebsbedingungen sind das absolute A und O für den Verschleiß. So kann es auf Kurzstrecken zur Ölvermehrung kommen, weil sich Kraftstoffpartikel im Öl ablagern. Das Öl wird nicht warm genug, um die Teilchen auszudampfen. Die Folge: Die Viskosität sinkt und damit die Schmierfähigkeit. In jedem Motoröl reichern sich mit der Zeit neben Kraftstoff zudem weitere Stoffe an und verunreinigen das Öl. Außerdem beschleunigen Abriebmetalle, die sich nie komplett herausfiltern lassen, die Öl-Alterung. Das Gleiche geschieht durch große Hitze, wie bei längeren Vollgas-Passagen. Hinzu kommt: Additive im Motoröl bilden ein komplexes System aus einer Vielzahl von Stoffen mit unterschiedlichen, zum Teil kontraproduktiven Wechselwirkungen. Aus diesen Gründen sind regelmäßige Wechselintervalle unabdingbar", so ein Statement von Castrol.Auch die GTÜ warnt vor einer eigenmächtigen, unkontrollierten Verlängerung der Ölwechselintervalle: "Die Einsatzdauer eines Schmierstoffes hängt nicht nur von der Qualität des Motoröls ab. Auch Fahrzeugtyp, der verwendete Kraftstoff, Fahr- und Einsatzbedingungen, Wartung des Öl- und Luftfilters, Zündung- oder Einspritzeinstellung, Umgebungs- und Öltemperaturen sowie eine Vielzahl weiterer Faktoren beeinflussen die Öllebensdauer. Im Langstreckenverkehr unter optimalen Betriebsbedingungen lassen sich längere Ölwechsel-Intervalle erzielen als bei überwiegendem Kurzstreckenverkehr oder unter anderen, erschwerten Verhältnissen." Auch der ZDK – im ZDF-Beitrag interviewt – äußerte sich im Nachgang wie folgt: "Aus technischer Sicht ist die Behauptung, Autofahrer müssten nie mehr das Öl wechseln, kompletter Unsinn. Wer bei seinem Zweitwagen, dessen Leben geprägt ist von Kaltstarts und Kurzstreckenverkehr und dessen Öl kaum je Betriebstemperatur erreicht, nie das Öl wechselt, sollte sich von seinem Motor keine allzu lange Lebensdauer erhoffen."Eher Spritersparnis Für Andreas Löchter vom Anbieter des Lifetimeöls (Lifetime Technologies GmbH, Ismaning), das Ölwechsel überflüssig machen soll, alles keine Gründe an seinem Produkt zu zweifeln. Seit über zehn Jahren testet, verwendet und vertreibt Löchter das mit Partnern gemeinsam entwickelte Lifetimeöl und hat bis dato nach eigenen Angaben zahlreiche Kunden überwiegend bei Speditionen, Flughäfenfuhrparks und Feuerwehren dafür gefunden. Darunter Lkws, die seit 1,2 Millionen Kilometern mit Lifetimeöl, sprich ohne Ölwechsel rollen. Dabei sollen Schäden aufgrund gesparter Ölwechsel nicht bekannt sein. Um auf Nummer sicher zu gehen, gibt es für Kunden, die ihren Fahrzeugmotor mit Lifetimeöl befüllen lassen, eine Motorgarantie (Allianz-Versicherung) über zehn Jahre ohne Kilometerbegrenzung. Damit sollen Schäden abgesichert sein, die auf ein Nachlassen der Ölqualität zurückzuführen sind. Löchter: "Der Beitrag in 'Frontal 21' war vordergründig auf den nicht mehr notwendigen Wechsel des Motoröls ausgerichtet. Allerdings sehe ich diesen Punkt nicht als Hauptvorteil des Lifetimeöls. Viel wichtiger ist die Kraftstoffersparnis und hier liegen wir im Bereich von durchschnittlich acht Prozent. Die damit erzielbaren Kostenvorteile sind u. a. für Speditionen viel interessanter als die Ersparnis beim Ölwechsel, der bei Lkw üblicherweise alle 100.000 bis 150.000 Kilometer fällig ist." Zudem bedeutet die Verwendung des Lifetimeöls nicht automatisch: einmal einfüllen, Haube zu und nie wieder nachsehen. Laut Löchter sind die bisherigen Wartungsintervalle des Fahrzeugs auch mit Lifetimeöl weiter einzuhalten. Das heißt, der Ölfilter ist regelmäßig zu tauschen, der Ölstand zu kontrollieren und ggf. fehlendes Öl aufzufüllen. So kontert Löchter gleichzeitig den Vorwurf, mit Lifetimeöl das Geschäft der Werkstätten zu gefährden: "In erster Linie sollte es beim Werkstattservice darum gehen, für zufriedene Kunden zu sorgen und aus dem Kundenkontakt heraus sein Geschäft zu generieren. Schaut man sich das Ölgeschäft an, gerät dies für Autohaus und Werkstatt seit längerer Zeit aus vielen Richtungen (Werkstattketten, Fahrzeughersteller, Baumarkt, Waschparks) unter Druck. Da ist unser Produkt sicher nicht das Hauptproblem. Im Gegenteil, man sollte eher die Vorteile und Chancen sehen: Trotz im Vergleich niedrigerer Marge aus dem direkten Verkauf des Öls kann eine Werkstatt mit dem Lifetimeöl neue Kundenkreise erschließen und durch zufriedene Kunden ihre Folgegeschäfte und die Loyalität verbessern. Hier setzen wir unser Vertriebskonzept an."MotorbetrachtungDer grundsätzliche Unterschied zwischen herkömmlichem Motoröl und Lifetimeöl ließ sich bei einem Gespräch im Hause Lifetime Technologies dagegen nicht konkret recherchieren. Dieser bleibt verborgen zwischen Additivpaket und Blendverfahren. Zweifelhaft ist und nachdenklich macht die Bemerkung Löchters, dass das Lifetimeöl während des Betriebes eine Art Selbstregenerierung erfährt und keine Verbindung mit Kraftstoff oder Kondensat eingehen soll. Das würde bedeuten, es findet keine unmittelbare Viskositätsverschlechterung des Öls statt. Ebenfalls erwähnenswert ist der Ansatz Löchters, dass nicht die Beurteilung des Schmierstoffs über ermittelte Parametern wichtig sei, sondern die Beurteilung des Motors: "Wenn der Motor seine volle Leistung bringt, die Abgaswerte und der Verbrauch stimmen – welchen Grund sollte es geben, am Motoröl zu mäkeln oder dieses zu tauschen? Dann ist mir prinzipiell egal, mit was der Motor läuft – ob mit Wasser, altem oder neuem Öl." Mit dieser Betrachtungsweise erscheinen selbst Ölanalysen unnötig, wie sie unter anderem die Firma Wearcheck anbietet. Peter Weismann, Leiter von Wearcheck, ließ sich im Frontal-21-Beitrag zu der Aussage animieren, moderne Motorenöle könnten deutlich länger als die üblichen 20.000 bis 30.000 Kilometer im Motor bleiben. Sie könnten gar bis zu 100.000 Kilometer verwendet werden, ohne dass zu viel Verschleiß auftritt und der Motor geschädigt wird. Allerdings soll dieser Standpunkt im Fernsehen etwas missverständlich rübergekommen sein und so heißt es in einer nachträglich von Wearcheck und Peter Weismann verschickten Stellungnahme unter anderem: "Wir möchten deutlich klarstellen, dass wir von einer pauschalierten, unkontrollierten Verlängerung des Ölwechselintervalls entschieden abraten. Bisher wurden lediglich sechs Ölproben aus unterschiedlichen Fahrzeugen für die Firma Lifetime analysiert. Dabei lieferte keine dieser Analysen einen Beweis dafür, dass das Lifetimeöl unkontrolliert und bedenkenlos über Jahre hinweg im Einsatz bleiben kann. Länger mit Check?Die Ölwechselintervalle, ob sie nun über Bordcomputer ermittelt werden oder als starre Intervalle vorgegeben sind, beziehen sich nur auf getestete und freigegebene Öle. Wearcheck empfiehlt, sich an diese Intervalle zu halten, es sei denn, begleitende Ölanalysen zeigen, dass alle Werte, die im Zusammenhang mit der Beurteilung der Ölqualität ermittelt werden, innerhalb zulässiger Grenzwerte liegen. Erfahrungen haben gezeigt, dass bei der Vorgehensweise längerer Öleinsatz auf der Basis von Ölanalysen eine oft erhebliche Verlängerung des üblichen Ölwechselintervalls möglich ist. Im Langstreckenverkehr unter optimalen Betriebsbedingungen lassen sich oft deutlich längere Ölwechselintervalle erzielen, wie Ergebnisse von Ölanalysen, Prüfstands- und Feldtests zeigen. Überwiegender Kurzstreckenverkehr oder andere ungünstige Betriebsverhältnisse verkürzen Ölwechselintervalle erheblich."Die Auswirkungen solcher ungünstigen Verhältnisse zeigten sich jüngst bei einigen Turbo-Ottomotoren aus dem VW-Regal (siehe Beitrag "Schlammfeger" in Autohaus 22/07), die trotz Verwendung vorgeschriebener Longlife-Schmierstoffe und eingehaltener Intervalle von Verschlammung heimgesucht wurden. Ob ein Lifetimeöl oder ein kürzeres Ölwechselintervall das verhindert hätten? Man weiß es nicht konkret und so käme es auf einen praktischen Versuch und eine Spur Risikobereitschaft an.

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