Wertminderung von E-Autos: Skeptische Kunden

Die Unfallfreiheit rangiert bei den Kaufkriterien für einen Gebrauchtwagenkauf weit oben. Es gibt je nach Alter des Fahrzeugs und Schwere des Schadens daher typische Konstellationen, in welchen bei einem großen Teil des Publikums gegen "Unfallwagen" trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eine den Preis beeinflussende Abneigung besteht. In diesen Fällen ist es allgemeine Auffassung in der Rechtsprechung, dass dem Geschädigten gegen den Unfallgegner bzw. dessen Kfz-Haftpflichtversicherung über den Reparaturkostenersatz hinaus die landläufig sogenannte Wertminderung - vom Bundesgerichtshof (BGH) als merkantiler Minderwert bezeichnet - zuzusprechen ist. Diese ist dann auch schon fiktiv, also rein "nach Gutachten", abrechenbar. Ein Verkauf oder auch nur eine Verkaufsabsicht sind dafür nicht erforderlich. Aktueller Fall mit E-Auto In einem vom Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth am 18.09.2024 per Urteil entschiedenen Fall (Az. 8 O 4990/23) ging es um einen Unfall, in welchem ein VW ID 4 einen unverschuldeten Unfall erlitten hatte, mit einem laut Haftpflichtgutachten diagnostizierten Nettoreparaturschaden von 13.996 Euro, welcher dann später zu einem tatsächlichen Bruttopreis von 19.174 Euro repariert wurde. Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs vor dem Unfall wurde laut Urteil mit einem Händlerverkaufswert von 42.125 Euro beziffert. Das Haftpflichtgutachten ging von einem merkantilen Minderwert in Höhe von steuerneutral (siehe zur Steuerneutralität aktuell die BGH-Entscheidungen vom 16.07.2024, z. B. Az. VI ZR 205/23) 1.400 Euro aus. Das Gericht suchte, da der Posten umstritten war, auf Parteiantrag hin einen gerichtlich vereidigten Sachverständigen aus, welcher das neu bewerten sollte. Der nahm eine Berechnung des merkantilen Minderwerts auf Grundlage der gängigen Modelle BVSK, MFM ("Marktrelevanz- und Faktorenmethode") und Halbgewachs vor, wobei er so zu einem Betrag von 2.500 Euro gelangte. Was sagt das Gericht? Die zuständige Kammer des LG Nürnberg-Fürth legte weder den im Haftpflichtgutachten ermittelten Wert zugrunde, noch den des vom Gericht selbst eingesetzten vereidigten Sachverständigen, sondern nahm eine eigene Schätzung des merkantilen Minderwerts nach dem "Bauchgefühl" vor - und zwar auf 3.750 Euro. So etwas ist gemäß § 287 der Zivilprozessordnung (ZPO) durchaus zulässig. Danach darf ein Gericht über eine streitige Schadenshöhe unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung entscheiden. Der gerichtlich vereidigte Sachverständige ist ja nur Hilfsperson für das Gericht, soweit dieses sich eine eigene technische oder wirtschaftliche Einschätzung nicht zutraut. Er hat aber im eigentlichen Sinne nichts zu entscheiden. "Am Ende des Tages" muss so oder so immer das Gericht selbst die Verantwortung für seine Entscheidung übernehmen. Dass das Gericht den Ausführungen eines von ihm selbst eingesetzten vereidigten Sachverständigen im Ergebnis nicht folgt, kommt durchaus häufiger vor. Seltener ist allerdings, dass ein Gericht - wie hier - dann nicht einen weiteren vereidigten Sachverständigen hinzuzieht, sondern sich zutraut, auf Basis der bisherigen (zum Beispiel durch nachvollziehbare Teile des eingeholten Gutachtens gewonnenen) Erkenntnisse sowie eigenen Erfahrungen und Anschauungen dann doch noch eine eigene Einschätzung treffen zu können, nachdem es zunächst ja nicht davon ausgegangen war. Wie argumentiert das LG Nürnberg-Fürth? Das Gericht erklärte, die vom vereidigten Sachverständigen hinzugezogenen Berechnungsmodelle seien für konventionelle Verbrenner-Fahrzeuge entwickelt worden. Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug habe es sich jedoch um ein Fahrzeug mit ausschließlich batterieelektrischem Antrieb gehandelt. Auch wenn "nur" der Heckbereich des Fahrzeugs in Mitleidenschaft gezogen worden war, führe ein derart hoher Schaden nach Einschätzung des Gerichts zu einer überdurchschnittlichen Reduzierung potenzieller Kaufinteressenten auf dem allgemeinen Automarkt. Es sei zu sehen, dass das Vertrauen in die Reparaturmöglichkeiten von Fahrzeugen mit elektronischen Antriebs- und Steuerungssystemen, die erst seit wenigen Jahren markttauglich seien, geringer ausgeprägt sei als ein solches in die Reparaturmöglichkeiten bei konventionellen Verbrenner-Fahrzeugen. Mit anderen Worten sei die Skepsis eines potenziellen Käufers eines E-Autos, dass ein großer Unfallschaden "nicht richtig" behoben werden kann bzw. konnte, (zumindest heute) größer als die eines potenziellen Käufers eines Verbrenner-Fahrzeugs. Der E-Autokäufer werde sich daher tendenziell eher einem unfallfreien Fahrzeug zuwenden als derjenige eines Verbrenner-Fahrzeugs. Der merkantile Minderwert müsse daher bei E-Autos höher ausfallen, um den Mangel an Attraktivität auszugleichen. Daher sei der merkantile Minderwert eines E-Autos um etwa 50 Prozent höher als bei einem vergleichbaren Verbrenner-Fahrzeug einzuschätzen. Die hier vom Gericht selbst vorgenommene Einschätzung ist im Kontext des allgemein beklagten Wertverlustes gebrauchter E-Autos durchaus nachvollziehbar. Konsumenten sind bekanntlich bei gebrauchten E-Autos schon generell skeptisch, unter anderem auch im Sinne einer Vermutung, dass deren Technik noch nicht gut genug ausgereift ist bzw. zu schnell veraltet. Dieses geringe Vertrauen schlägt sich in den Verkaufspreisen nieder. Von daher erweiterte das Gericht die Dinge recht konsequent auch auf die Unfallschadensabwicklung. Der merkantile Minderwert resultiert ja letztlich daraus, dass beim Weiterverkauf des reparierten Fahrzeugs Vorschäden angegeben werden müssen, um sich nicht dem Vorwurf arglistiger Täuschung auszusetzen, was dann eben zum "Herunterhandeln des Preises" führt. Fazit Das Urteil ist soweit ersichtlich die erste veröffentlichte Gerichtsentscheidung, welche den merkantilen Minderwert bei E-Autos von der Einschätzung hinsichtlich Verbrennern abkoppelt. Es hat große Bedeutung für die Geschädigten im Rahmen der Unfallschadensabwicklung, aber auch für die Argumentation zur Preisbildung bei Verkäufen von E-Autos generell. Die Kfz-Sachverständigen sind aufgerufen, Modelle zur Einschätzung des merkantilen Minderwerts bei E-Autos neu zu denken und zu entwickeln. Wenngleich natürlich das LG Nürnberg-Fürth hier nur einen Einzelfall entschieden hat und jedes Gericht in Deutschland solche Fälle anders behandeln und entscheiden kann, könnte das Urteil durchaus einen Trend begründen, wenn sich andere Gerichte der Auffassung anschließen sollten. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird sich dann auch irgendwann der BGH zu dem Thema äußern müssen, wenn die Frage zu ihm in die dritte (und damit letzte) Instanz getragen wird. Selbst eine solche BGH-Entscheidung wäre jedoch nach dem deutschen Rechtssystem für die unteren Gerichte nicht bindend, wenngleich sich die meisten Gerichte dem dann dennoch anschließen. K. MARTIN HAKE Rechtsanwalt, der sich seit über 30 Jahren schwerpunktmäßig den Gebieten des Autoverkaufs-, Reparatur- und Unfallschadensrechts sowie dem Handelsrecht und auch Verkehrsstraf- und Bußgeldsachen, ferner dem Recht des Forderungsmanagements im Kfz-Bereich widmet. Gemeinsam mit den Anwälten in seiner Kanzlei "Hake Rechtsanwälte" (kontakt@hake-rechtsanwaelte.de) ist er deutschlandweit bei der Beratung sowie außergerichtlichen und gerichtlichen Vertretung insbesondere von Kfz-Händlern und Werkstätten sowie Herstellern und Importeuren im Einsatz. Parallel betätigt sich der Spezialist für Autorecht als Autor von Fachbüchern, Fachbeiträgen in Zeitschriften sowie als Konzeptionist und Dozent u. a. für die zertifizierten Lehrgänge der Branche rund um das Thema Kfz-Recht sowie Coachings von Händlern und Werkstätten. Seine Bücher "Rechtsfragen der Kfz-Werkstatt" (8. Auflage), "Rechtssicherheit beim Autoverkauf" und die Fibel "Forderungsmanagement im Autohaus" sind bei Auto Business Media erhältlich. www.hake-rechtsanwaelte.de

Hyundai Motor Deutschland: Ralph Kranz wird neuer Vertriebschef

Produktsicherheit im Handel: ZDK kritisiert neue EU-Verordnung

Luxus trifft auf Tradition: Aston Martin eröffnet City Store in Nürnberg

Übernahme von Schneider Automobile in NRW: Glinicke weiter auf Expansionskurs

VW-Tarifstreit: IG Metall drängt auf Einigung

Alle Schlagzeilen

Wertminderung von E-Autos: Skeptische Kunden

MEISTGELESEN

Mercedes-Benz: Vier Wechsel im Vorstand

Stellantis: Deutschland-Geschäft unter neuer Leitung

VCDP-Mitgliederversammlung: Stellantis bewegt sich auf Vertragshandel zu

STELLENANGEBOTE

Handelsmarketingberater Automotive (m/w/d) im Außendienst

KFZ-Mechatroniker (m/w/d)

Finanz- oder Bilanzbuchhalter (m/w/d)

Werkstattmeister Karosserie (m/w/d)

Servicetechniker (m/w/d)

WEITERLESEN

NEWSLETTER