Ausgabe 05/2013: Viel zu viele Lagerwagen

Viel zu viele LagerwagenICDP-Studie – Weil die Lagerbestände in Deutschland strukturell zu hoch sind, sinken die Erträge bei Herstellern und Händlern. Von Oke Beckmann* und Ben Waller* Deutsche Kunden sind bereit, länger auf ihr Neufahrzeug zu warten als Kunden in anderen Ländern. Zu diesem Ergebnis kam die „New Vehicle Supply 2012“-Studie des International Car Distribution Programme (ICDP). Seit 1993 befragt die Automobilvertriebsforschungsorganisation jährlich Hersteller, Importeure und Händler in mehreren Ländern zum Thema Neuwagenlieferkette. 63 Prozent der Deutschen sind aktuell bereit, 31 bis 61 Tage auf ihren Neuwagen zu warten. Im ICDP-Vergleich ist das Spitze. Dabei sind Kunden von Premium-Marken länger bereit zu warten als Kunden von Volumenfabrikaten oder japanischen Marken. (Abb. 1)Bestellfahrzeuge mit zehn bis zwölf Prozent mehr ErtragDiese Bereitschaft zu warten ermöglicht selbst für Volumen-Marken einen höheren Verkaufsanteil von Fahrzeugen aus der Auftragspipeline. Und das sollten die Hersteller und Händler nutzen, denn die Direktbestellung von Neufahrzeugen anstelle des Verkaufs aus dem Bestand bedeutet für Hersteller und Handel mindestens zehn bis zwölf Prozent mehr Ertrag. Dies liegt daran, dass keine Kosten für Lagerhaltung anfallen und keine zusätzlichen Nachlässe auf Lagerfahrzeuge und Tageszulassungen gegeben werden müssen. Außerdem ermöglicht die Direktbestellung, zusätzliche Ausstattungsoptionen zu verkaufen, was bei einem Lagerfahrzeug bis auf einige Zubehör-Teile nicht möglich ist.Lagerbestände zu hoch, Lagerumschlag zu geringDie Lagerbestände stiegen zwischen 2009 und 2011 insgesamt, nur bei den Premium-Marken ist ein Rückgang zu verzeichnen. Betrachtet man die Lagerbestände in Deutschland, wird zudem deutlich, dass das Neuwagenversorgungssystem ineffizient ist. Vergleicht man nämlich Lagerziele und tatsächliche Lagerbestände, zeigt sich, dass die Lagerziele für 2011 – möglicherweise aufgrund der Neuwagenlieferengpässe in 2009 – angehoben wurden. Dies lässt jedoch außer Acht, dass die Lieferengpässe kein Ergebnis zu niedriger Lagerziele, sondern der hohen Kundennachfrage aufgrund der Abwrackprämie geschuldet waren. Daraus ergibt sich, dass die Lagerbestände strukturell zu hoch sind für den in Deutschland hohen Anteil an Verkäufen aus der Auftragspipeline. Die benötigten Lagerbestände stehen nämlich in direktem Zusammenhang mit dem Anteil der Werksbestellungen. Ist der Anteil von Werksbestellungen in einem Land (wie z. B. Deutschland) hoch, bedeutet dies, dass mit weniger Lagerbeständen ausgekommen wird. Oder andersherum: Weniger Verkäufe vom Lager bedeuten, dass auch weniger Lagerbestände vorgehalten werden müssen. Die Lagerziele müssen also den Anteil der nach Kundenwunsch gebauten „Build to Order“ (kurz BTO) Fahrzeuge, berücksichtigen. Daher ist es sinnvoll, anstatt des typischen Lagerbestands den effektiven Lagerbestand zu analysieren, welcher die BTO-Rate berücksichtigt. (Tab. 1)Initiative der Hersteller gefordertDaraus ergibt sich, dass das Lagermanagement verbessert werden könnte. Dafür ist aber auch die Initiative der Hersteller gefordert. Lösungen könnten zum Beispiel so aussehen:Weniger Lager-Druck, der direkte monetäre Nachlässe oder Tageszulassungen bedeutet. Stattdessen mehr Verkaufsaktionen, z. B. Sondermodelle mit Zusatzausstattung, Service-Paketen oder Ähnlichem – weg von den direkten Rabatten!Weniger Ausstellungsfahrzeuge auf Händler-Ebene, stattdessen mehr zentral vorgehaltene Ausstellungs-/Vorführwagen bei weniger Händlern. Die Anzahl der Fahrzeugverkäufe pro Händler ist z. B. in England deutlich höher als in Deutschland. Zum Vergleich: Ein englischer Händler einer Volumenmarke verkauft im Durchschnitt 463 Fahrzeuge pro Jahr, ein deutscher 280. Da die englischen Händler mehr verkaufen, sie größer sind und es insgesamt weniger Händler gibt, werden weniger Ausstellungsfahrzeuge im gesamten Vertriebsnetz benötigt, um die Standards einzuhalten.Einsatz von Distributionszentren, wie sie in Großbritannien weit verbreitet sind. In England werden heute 34 Prozent der von Volumen-Marken verkauften Neufahrzeuge aus einem Distributionszentrum, also einer zentralen Lagerstätte eines Herstellers, bereitgestellt. Zentralisierte Lagerbestände könnten Abhilfe schaffenDiese zentralisierten Lagerbestände reduzieren die Notwendigkeit von hohen Lagerbeständen bei jedem einzelnen Verkaufspunkt, wobei eine hohe Vielfalt an Fahrzeugen und Ausstattungen für den Kunden innerhalb kurzer Lieferzeiten zur Verfügung steht, so dass den Kunden eine deutlich höhere Auswahl angeboten werden kann, als dies ein Händler oder gar eine Händlergruppe könnte. Das Verkaufspersonal des gesamten Vertriebsnetzes der Marke kann diese Lagerbestände einsehen – sowohl freie als auch bereits Händlern zugeschriebene Fahrzeuge – und kann sie abrufen oder tauschen. Auch bietet diese Art der Lagerhaltung flexible Regelungen bezüglich der Zinsfreiheit. ■KurzfassungHersteller und Händler können zehn bis zwölf Prozent mehr Ertrag generieren, wenn sie Fahrzeuge nach Kundenbestellung fertigen, anstatt sie vom Lager zu verkaufen. Weil die deutschen Kunden im internationalen Vergleich besonders lange zu warten bereit sind, könnten die Läger hierzulande auch wesentlich kleiner sein. Außerdem würden Zentrallager die Verfügbarkeit enorm erhöhen.

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