Gebrauchtwagen-Kongress: Vom Glücksspiel zum Schach

Schon in der Keynote stimmte Stephan Lützenkirchen große Veränderungen an. "Das Handelsgeschäft läuft, aber es war noch nie so schwer, Prognosen abzugeben", sagte er und verglich das GW-Geschäft mit dem Roulettespiel. Die Gewinnchancen seien hoch, allerdings steige das Risiko enorm, wenn man sich auf die Marktregeln der Vergangenheit verlasse. "Der Wechsel von 2019 und auf 2020 ist wie der Wechsel von DM auf Euro. Es wird ein Davor und ein Danach geben", so Lützenkirchen, Senior Consultant bei der gsr Unternehmensberatung. Alle Akteure am Markt, ob Kunden, OEM, Importeure, Händler oder die wachsende Anzahl an Portalen seien Teil dieser Verwerfungen. Als Grund nannte Lützenkirchen massive Einflüsse von außen. Zum einen die E-Mobilität, die unter massiven politischen Druck forciert wird. Zum anderen die drohenden Strafzahlungen infolge der CO2-Grenzwerte. Zudem gebe es weitere Entwicklungen, die einen eher längerfristigen Einfluss haben werden, wie die veränderte Beziehung des Einzelnen zum Auto sowie neue Geschäftsmodelle und Akteure. Es sei jedoch nicht das Ergebnis des Online-Handels, dass in Deutschland rund 3,5 Millionen Neuwagen gehandelt werden, sondern das Ergebnis der Händler. "Der Händler ist die Bank des Herstellers und das Lager. Er trägt das Risiko, macht das Marketing und die Logistik für den Hersteller. Der Händler ist das Regulativ", so Lützenkirchen. Um den Überblick zu behalten und die Ware ohne finanziellen Verlust in den Markt zu bringen, müsse sich das GW-Geschäft vom Glücks- zum Schachspiel entwickeln. Denn der Schachspieler plane sechs bis zehn Züge im Voraus, betrachte das Feld aus allen Richtungen und setze sich mit den Details des Felds auseinander. "Das muss die Grundhaltung im Gebrauchtwagengeschäft sein", so das Fazit von Lützenkirchen.Elektroauto ersetzt den Diesel nichtThorsten Barg von der Schwacke GmbH stimmte seinem Vorredner hinsichtlich des Wandels zu, den er aber als längeren Prozess sieht. Das Jahr 2019 sei von einer starken Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und der Realität geprägt, wie Barg am Beispiel von Dieselfahrzeugen, SUVs oder E-Fahrzeugen darstellte. Er zeigte detailliert Markthintergründe auf und lieferte nackte Zahlen aus dem Schwacke-Analyse Tool zur Restwertentwicklung von Diesel und Benzinern. "Das Elektroauto wächst, ersetzt aber nicht den Diesel", so Barg. Denn der Anteil von Dieselfahrzeugen bei den Neuzulassungen sei zwar von 2015 bis 2019 um ca. 18,7 Prozent zurückgegangen. Die Käufer sind aber nicht auf E-Fahrzeuge, sondern auf Benziner umgestiegen. "Die Elektrofahrzeuge haben gerade mal um 4,5 Prozent gewonnen, ein ökologisches Umdenken hat nicht stattgefunden", so Barg. Er ordnete die Elektromobilität in den "Gartner Hype Cycle" ein, ein Modell, das die Phasen der öffentlichen Aufmerksamkeit bei der Einführung einer neuen Technologie beschreibt. Nach dem Gipfel der überzogenen Erwartungen und dem Tal der Enttäuschungen "befinden wir uns aktuell in einer Aufwärtsbewegung, in einem Trend zu einer allgemein gebräuchlichen Technologie", beschreibt Barg das Modell. In dieser Phase gebe es noch viel Spielraum für Bewegung und Veränderung und somit noch viel Unsicherheit. Auch Professor Stefan Rostek beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Elektromobilität. Er sieht darin keine disruptive Veränderung, aber eine Chance für das GW-Geschäft. Zudem stellte er das Vermietgeschäft sowie die Vor- und Nachteile der Zentralisierung im GW-Geschäft vor. In einem zweiten Vortrag beleuchtete er die Verwendungsentscheidung.Impulse aus der Praxis gab es von Joan Hendrik Rüschkamp, Opel- und Kia- Händler in Lünen und fünf weiteren Standorten. Seiner Meinung nach führt an E- Autos kein Weg vorbei. Er ging auf die Herausforderungen bei der Bewertung gebrauchter E-Fahrzeuge ein. Demnächst soll es eine Batterieprüfung ähnlich der AU geben, die von Prüfungsorganisationen bereits in Bearbeitung sei. Das bestätigte auch Michael Tziatzios, Leiter Gebrauchtwagen bei der Dekra. Aktuell werde mit einem Partner eine Batteriediagnose entwickelt: "Es geht darum, die Batterie technisch und optisch zu prüfen: Wie ist der Ladezustand und wie belastbar ist die Batterie noch", so Tziatzios.Digitale GW-VermarktungAUTOHAUS-Herausgeber Professor Hannes Brachat moderierte die Veranstaltung, die von der Dekra, autobid.de, AutoScout24.de und der CarGarantie unterstützt wurde. Am Nachmittag standen digitale GW-Prozesse im Fokus. Christian Brunkhorst, Geschäftsführer, Autohaus Brunkhorst, und Arie Frank Zwang, Geschäftsführer, afz-software.de, berichteten von der filialübergreifenden Einführung der digitalen Fahrzeugauszeichnung. "Wir haben die Prozessketten extrem verkürzt", so der Autohaus-Geschäftsführer. Es gebe keine Differenzen mehr zwischen der Internet-Auszeichnung und der auf dem Hof. Auch Frank Motejat, Geschäftsführer Autohaus Mothor, konnte die GW-Prozesse durch die Einführung eines digitalen Preismanagements verbessern. Anhand von QR-Codes an den Fahrzeugen und auf den Akten sind alle Prozessschritte und Daten jederzeit einsehbar.Einen weiteren Praxisbericht gab es von Susanne Brennecke von Beresa. Sie stellte die eigene GW-Börse vor, von der Idee über die Umsetzung bis zur Personalisierung der Online-Plattform. Markus Hoffmann, Head of Product-Management bei der Twinner GmbH, wies anschließend auf die Bedeutung der Darstellungsqualität im Internet hin, um Fahrzeuge digital zu vermarkten. Er stellte den Digital Twin, eine 360-Grad-Darstellung des Fahrzeugs vor.Marc Eschen, Senior Consultant und Aret Bedoyan, Senior Manager von der MHP Management- und IT-Beratung GmbH zeigten für die smarte GW-Vermarktung vier wesentliche Pfade auf, angefangen von der Individualisierung und Datenhoheit über die Invasion der Touchpoints, die zu kontrollieren sind, bis zur Infrastruktur und den Kundenerwartungen der Generation Greta. Für Autokäufer werde es immer schwieriger aus dem riesigen Angebot das richtige Fahrzeug auszuwählen, sagte auch Jochen Kurz, Director Product & Marketing bei AutoScout24. "Jeder hat einen anderen need und will individuell angesprochen werden", erklärte er den Teilnehmern die geänderte Herangehensweise, die sich beispielsweise durch intelligente Suchvorschläge oder personalisierte Feeds umsetzen lässt. "Wir müssen uns weg von der Suche hin zur Inspiration entwickeln", so Kurz. Ziel dabei: Der Kunde soll aktiv zum richtigen Fahrzeug geführt werden.

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