Ausgabe 23-24/2007: Wachstum Ost

Automarkt Indien / Wer in Indien im Autogeschäft Erfolg haben will, muss dort produzierenWachstum OstVon Ralph M. MeunzelJedes Land hat seine automobilen Ikonen. Was dem Deutschen der Käfer ist, heißt in Frankreich 2CV. In England hat man dem alten Mini diesen Status verliehen. Auch die Motorisierung in Indien ist mit einem viersitzigen Kultobjekt verbunden, das zur Freude von Nostalgikern immer noch in geringen Stückzahlen gebaut wird. Seit über 50 Jahren rollt das Morris-Derivat Hindustan Ambassador auf den verstopften, holprigen und oft von Schlaglöchern durchsetzten Straßen des Subkontinents. Bereits am Flughafen wird man von einer Armada der kleinen schwarzen Limousinen mit dem Taxameter auf dem Kotflügel empfangen und wähnt sich dabei eher auf einem Oldtimertreffen als an einem modernen Airport. 1.700 Autos des archaischen Typs werden pro Jahr noch gebaut und für 400.000 Rupien (ca. 7.000 Euro) verkauft.Der Nachfahre des legendären Morris Oxford deckt damit allerdings bei weitem nicht mehr die Nachfrage nach neuen Automobilen. Mit 1,3 Millionen Neuzulassungen pro Jahr ist die ehemalige britische Kolonie mit ihren 1,08 Milliarden Einwohnern noch ein kleiner Markt mit großem Potenzial. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis man zu den großen Weltmärkten aufgeschlossen hat. In diesem Jahr wird ein Wachstum von 14 Prozent erwartet – 2006 waren es 19 Prozent. Trotz der gewaltigen Unterschiede zwischen Arm und Reich, dem Elend der Slums und der maroden Infrastruktur eines Schwellenlands. Billige Autos gefragtNach China hat Indien damit das zweitgrößte Wachstumsvolumen. Anders als in den saturierten Märkten der Triade USA, Japan und Europa steckt die Motorisierung mit neun Autos pro 1.000 Indern noch in der embryonalen Phase. Was Indien braucht, sind neben Tausenden von Kilometern neuer Straßen in erster Linie kleine und billige Autos. Das Pro-Kopf-Einkommen nimmt aufgrund des Wirtschaftswachstums zwar ständig zu, liegt allerdings derzeit erst bei 3.500 US-Dollar pro Jahr. Das Investment ins Automobil kann seitens der Bevölkerung zunächst also nur überschaubar sein. Der Wunsch nach Mobilität ist aber immens. Nicht umsonst hat die Nummer 2 auf dem Markt, Tata, das "One lakh car" (100.000 Rupien-Auto) für 1.760 Euro zur Auto Expo in Neu-Delhi im Januar 2008 angekündigt. Das Vorhaben erweckt weltweit Aufmerksamkeit. Derzeit ist der Maruti 800 für 3.350 Euro der beliebteste Kleinwagen. Gemeinsam mit Suzuki hat sich das Jointventure mit 35 Prozent den größten Marktanteil gesichert. Auf Platz drei der Statistik findet man einen koreanischen Hersteller: Hyundai ist in Indien die größte Importmarke. Im November wurde die Produktionskapazität durch die deutliche Erweiterung der Fabrik in Chennai im Süden (vormals Madras) auf maximal 600.000 Einheiten erweitert. Die Hälfte der Produktion soll dann unter anderem nach Europa importiert werden – bisher sind es 35 Prozent. Aus Chennai stammt künftig beispielsweise der neue i10 (Getz-Nachfolger). Im indischen Markt ist der Santro (Atos) für 4.700 Euro das Einsteigermodell der Koreaner. Mit Getz, Accent, Verna, Lantra und Sonata (24.000 Euro) sind fünf weitere Autos im Programm. Derzeit verfügt man über ein Händlernetz von 183 Verkaufs- und 700 Servicestützpunkten – angepeilt werden 250 Händler. Nur in Neu-Delhi, Mumbai (Bombay) und der Sieben-Millionen-Einwohner-Stadt Chennai hat der Hersteller eigene Betriebe.Indischer BrückenkopfHyundai hat sein Indien-Engagement 1996 begonnen und beschäftigt jetzt 5.000 Mitarbeiter. Außerdem wurden 5.000 weitere Arbeitsplätze bei Zulieferern geschaffen. Insgesamt hat man bisher im Land 1,2 Milliarden Euro investiert. Die Koreaner wollen ihren indischen Brückenkopf, den größten außerhalb von Korea, weiter ausbauen und planen im kommenden Jahr, zusätzlich ein Motorenwerk zu errichten. "Wir bieten den indischen Kunden keine veralteten Autos, sondern immer die neueste Technik zu einem sehr günstigen Preis", verrät P. Sudhir Kumar, Press Officer bei Hyundai Motors India, das Erfolgsrezept. In der Regel ist es bisher üblich, aus Kostengründen vor allem ältere Modelle mit überholter Technik in Indien auf den Markt zu bringen. Aufgrund des starken Wettbewerbs lässt sich der Kunde dies aber sicher nicht mehr lange bieten. Der Staat macht es seinen Bürgern mit hohen Steuern allerdings nicht gerade leicht, in die individuelle Mobilität einzusteigen.Aufgrund zusätzlicher, hoher Importsteuern, die sich auf 100 Prozent belaufen, ist der Markt weitgehend abgeschottet. Wer sich hier langfristig etablieren will, muss vor Ort produzieren beziehungsweise konfektionierte Teile montieren. Das hat auch BMW bewogen, im Februar in der Hafenstadt Chennai ein neues Montagewerk zu eröffnen. Indien ist nicht nur ein Markt für automobilen Minimalismus. Die wachsende Mittelschicht wird auf rund 300 Millionen Menschen geschätzt und wurde als Zielgruppe für Premiumanbieter identifiziert. Dieses lukrative Segment war der Hauptgrund für das umfangreiche BMW-Engagement. Innerhalb eines Jahres ist im Industriepark Mahindra World City auf der grünen Wiese eine moderne Anlage nach den neuesten Produktions- und Umweltstandards entstanden. Die Kapazität beläuft sich derzeit auf 1.700 3er- und 5er-Modelle pro Jahr im Ein-Schicht-Betrieb. "Bei der Einstellung der Mitarbeiter konnten wir aufgrund der Zugkraft der Marke in Bezug auf gut ausgebildete Bewerber aus dem Vollen schöpfen", erklärt Werksleiter Stefan Hülsenberg und weiter: "Wir hatten für die 120 offenen Stellen im neuen Werk rund 25.000 Bewerbungen. Die Leute verfügten in der Regel über zehn Jahre Schule, mindestens drei weitere Jahre Ausbildung und teilweise Erfahrungen in der Autoindustrie", so der BMW-Manager. Hülsenberg lobt die Motivation und Lernbereitschaft seiner Belegschaft. Die Vorbereitung auf den neuen Job fand vier Wochen lang im BMW-Werk in Thailand statt. Jeder Mitarbeiter am Montageband verdient im Durchschnitt 350 Euro pro Monat. Dazu kommen die Mahlzeiten, der Bustransfer und ein Versicherungspaket. Das ist deutlich mehr, als die Masse der Werktätigen verdient. Made-by-BMWDennoch sind die Autos aufgrund der Steuern immer noch teurer als in Europa. So kostet der preiswerteste 320i – allerdings in sehr guter Serienausstattung – immer noch 46.500 Euro. Dafür bekommt der Kunde zusätzlich noch einen umfangreicheren Unterbodenschutz als Tribut an Indiens Straßenzustand. "Alle ausgelieferten Modelle sind made-by-BMW, das heißt, dass sich die bei uns gebauten Autos nicht von den Autos aus beispielsweise deutschen Werken unterscheiden. Die indischen Kunden erwarten von uns identische Qualität und die bieten wir dem Markt", hebt der Werkschef hervor. Mit der Zentrale in Delhi im Norden und dem Teilelager in Mumbai im Westen haben die Bayern rund 20 Millionen Euro investiert. Bisher sind acht Händler installiert. 2008 sollen vier weitere folgen. Im vergangenen Jahr hat BMW noch 227 weißblaue Modelle über drei Importeure abgesetzt. In diesem Jahr rechnet Stefan Hülsenberg mit zirka 1.200 Autos. Gerade die Dieselmodelle würden sich einer zunehmenden Beliebtheit erfreuen. Die größten Märkte lägen in Mumbai (vormals Bombay) und Delhi. Neben den beiden Limousinen werden von BMW India auch 6er, 7er, X3 und M5 angeboten. Der Manager stellt auch klar, dass BMW zum richtigen Zeitpunkt in Indien investiert und noch nichts versäumt habe.Mercedes-Benz gebührt VorreiterrolleAuch wenn die Premiumautos derzeit nur in homöopathischen Dosen verkauft werden, wollen die deutschen Hersteller künftig am indischen Marktwachstum partizipieren. Mercedes-Benz, als bisher erfolgreichster Nobelhersteller, hat die Vorreiterrolle übernommen und produziert beziehungsweise montiert bereits seit 1995 in einem gemieteten Werk bei Tata C-, E- und S-Klasse. Im vergangenen Jahr wurden 2.200 Autos über 27 Händler in Indien verkauft. In diesem Jahr sind es per Oktober nach Werksangaben 2.000 Einheiten. Im Mai dieses Jahres hat man den Grundstein für eine eigene Produktion in Chakan/Pune im Westen gelegt. "In den kommenden Jahren werden wir 50 Millionen Euro in den neuen Produktionsstandort investieren", kündigte Dr. Joachim Schmidt, Vorstandsvorsitzender von Mercedes-Benz Indien, an. Bei Audi ist die Produktion des A6 aus in Deutschland hergestellten Teilesätzen im Herbst in Aurangabad (Westen) auf dem Gelände von SkodaAuto India Ltd. angelaufen, den drei Händler in Mumbai, Bangalore und Delhi verkaufen. "Ohne Montage können Sie in Indien keine Stückzahlen machen. Wir wollen auch in Indien die führende Premiummarke werden. Im Jahr 2010 wollen wir 3.000 Einheiten an Kunden ausliefern", erklärt Vertriebsvorstand Ralph Weyler die Ziele der Ingolstädter. Die Nachfrage sei groß. Fakt ist also: Der Premiummarkt auf dem Subkontinent ist noch lange nicht verteilt. Die deutschen Anbieter haben gute Chancen, künftig als die neuen automobilen Ikonen des modernen Indien zu gelten.

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