Ausgabe 16/2013: Die Mär vom Autoverzicht

Alle zwei Jahre lockt die Internationale Automobil Ausstellung (IAA) die Branche nach Frankfurt. Im Vorfeld beantwortet VDA-Präsident Matthias Wissmann unsere Fragen zu den anstehenden Themen.AH: Herr Wissmann, in Deutschland sind die Pkw-Neuzulassungen im ersten Halbjahr 2013 um acht Prozent auf 1,5 Millionen zurückgegangen. Was erwarten Sie für das zweite Halbjahr und wie ist Ihre Prognose für das Gesamtergebnis dieses Jahres?M. Wissmann: Auch wenn wir eine leichte Besserung im zweiten Halbjahr erwarten, rechnen wir damit, dass insgesamt in diesem Jahr in Deutschland nur zwischen 2,9 und 3 Millionen Pkw verkauft werden. Die Staatsschuldenkrise führt zu einer enormen Marktschwäche im westeuropäischen Raum, das spüren wir auch hierzulande. Langfristig gehen wir aber davon aus, dass der deutsche Markt wieder etwas anzieht und sich in den kommenden Jahren um die 3-Millionen-Marke herum bewegen wird.AH: Carsharing wird immer wieder als Bremse für den Automobilabsatz genannt. Wie schätzen Sie den Effekt des Autoteilens auf die Verkäufe ein?M. Wissmann: Carsharing passt gut in mittlere und große Städte und ermöglicht Menschen, die kein eigenes Auto haben, noch mobiler zu sein. Viele Nutzer entwickeln dabei eine solche Begeisterung für die gefahrenen Autos, dass sie, wenn sie es sich leisten können, später ein entsprechendes Modell anschaffen. Dass junge Leute heute lieber aufs Auto verzichten, ist eine Mär. Studien zeigen, dass die meisten nach wie vor Wert auf ein eigenes Auto legen, aber aufgrund der Kosten sich später zum Neuwagenkauf entscheiden, als das früher noch der Fall war.Wachstum in anderen RegionenAH: Wie würden Sie die derzeitige Lage der Automobilindustrie hierzulande charakterisieren?M. Wissmann: 2013 ist ein forderndes Arbeitsjahr, denn vor allem der westeuropäische Markt bereitet uns Sorgen. Für 2013 rechnen wir mit einem Verkaufsrückgang um fünf Prozent auf 11,1 Millionen Einheiten. Das sind rund drei Millionen weniger als in normalen Jahren. Die derzeitige Schwäche Westeuropas spüren alle Hersteller. Im Gegensatz zu manchem Wettbewerber sind unsere Hersteller aber nicht nur in Europa stark aufgestellt, sondern auch in den großen Wachstumsmärkten erfolgreich. Allein in China haben wir einen Marktanteil von gut 20 Prozent, in den USA wachsen wir seit sieben Jahren schneller als der Markt. Durch diese globale Präsenz können wir die Absatzrückgänge in Westeuropa durch Wachstum in anderen Regionen ausgleichen.AH: Warum wehrt sich die deutsche Automobilindustrie gegen den nächsten Schritt der EU zur CO2-Reduzierung? Mit solchen Regulierungen gehen doch immer auch Impulse für Neuentwicklungen einher.M. Wissmann: Wir wehren uns nicht. Im Gegenteil, wir haben immer gesagt, dass wir den Grenzwert von 95 Gramm für den europäischen Flottendurchschnitt im Jahr 2020 erreichen wollen. Und das, obwohl er der schärfste weltweit ist. Aber es kommt darauf an, eine Regulierung zu finden, die seriös ist und die technischen Machbarkeiten im Blick hat. Dazu gehört auch, dass man nicht schon heute aus der Luft gegriffene Zielmarken für 2025 festlegt. Die Regulierung sollte nicht nur starre Grenzwerte vorschreiben, die innovationshemmend wirken, sondern spürbare Impulse für die Entwicklung neuer, noch sparsamerer Technologien setzen.Denn nur wenn sich alternative Antriebe verstärkt am Markt etablieren, sind die 95 Gramm zu schaffen. Das hat zuletzt auch eine Studie der RWTH Aachen nachgewiesen. Die klassischen Antriebe (Benziner und Diesel) allein können das nicht leisten.Keine TricksAH: Auch die sogenannten "Supercredits", die Mehrfachanrechnungen zum Beispiel für Elektroautos, wurden immer wieder kritisiert. Hat die deutsche Automobilindustrie solche Tricks nötig?M. Wissmann: Diese Mehrfachanrechnung sind keine Tricks, sondern zusätzliche Anreize für die Hersteller, alternativ angetriebene Fahrzeuge in den Markt zu bringen. Intelligent ausgestaltet, sind sie ein wirksames Instrument zur Förderung von Innovationen, das dem Fiskus keine Kosten verursacht und gleichzeitig dem Klimaschutz dient. Wer wie wir die Strategie "Weg vom Öl" wirklich will, müsste solche Vorschläge eigentlich unterstützen.Elektro: Pionier- und SchlüsselrolleAH: Welche Entwicklungen erwarten Sie im Bereich der Elektroautos? Vom Ziel der Kanzlerin, bis 2020 eine Million Elektroautos in Deutschland zu haben, sind wir derzeit noch weit entfernt.M. Wissmann: Das Ziel ist guter Ansporn, diese Technologie voranzutreiben. Wie beim Verbrennungsmotor wollen wir als deutsche Automobilindustrie auch bei der Elektromobilität eine Pionier- und Schlüsselrolle einnehmen. In den nächsten Jahrzehnten werden die meisten Autos noch mit Benzin und Diesel fahren. Langfristig wird aber die Elektromobilität ein wichtiger Bestandteil nachhaltiger Mobilität sein. Deshalb investiert die deutsche Automobilindustrie zehn bis zwölf Milliarden Euro in die Entwicklung alternativer Antriebe in den nächsten drei bis vier Jahren. Hiervon sind allein 80 Prozent für die Elektromobilität bestimmt. Heute ist ein Elektroauto zwar noch teurer als ein vergleichbares Modell mit Verbrennungsmotor, aber mit zunehmenden Stückzahlen sinken auch die Kosten. Untersuchungen zeigen, dass sich für viele Autofahrer Elektromobilität schon in kurzer Zeit rechnen wird. Das sind vor allem Pendler aus den Speckgürteln mittelgroßer und größerer Städte und gewerbliche Nutzer wie Kurier- oder Pflegedienste, die geregelte Strecken fahren und eine mittlere jährliche Fahrleistung haben.Mehr InfrastrukturausgabenAH: Stichwort Bundestagswahlen. Wenn Sie drei Wünsche an die künftige deutsche Bundesregierung frei hätten, welche wären das?M. Wissmann: Die Politik sollte sich mit aller Kraft dafür einsetzen, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland zu sichern. Dazu gehört auch, die industriellen Kerne zu stärken und nicht durch falsche Weichenstellungen unnötig zu belasten. So muss etwa darauf geachtet werden, dass die Energiekosten nicht aus dem Ruder laufen und keine steuerpolitischen Entscheidungen hinter dem Rücken des Mittelstands getroffen werden. Zudem brauchen wir nachhaltige Investitionen in die Verkehrswege. Da für die kommenden Jahre Haushaltsüberschüsse erwartet werden, sollte es möglich sein, hier zwei Milliarden mehr pro Jahr für eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur in die Hand zu nehmen.IAA zeigt Mobilität von morgenAH: Die Vorbereitungen für die IAA laufen auf Hochtouren. Welche Impulse erwarten Sie in diesem Jahr von der Ausstellung?M. Wissmann: Die IAA ist der international bedeutendste Treffpunkt der automobilen Welt. Die Messe wird eindrucksvoll zeigen, wie die Mobilität von morgen aussieht: Neben zahlreichen Weltpremieren werden alternative Antriebe und das vernetzte Fahren im Mittelpunkt stehen. Das große Potenzial der Elektromobilität wird mit einem Fachkongress unterstrichen. Und bei der Optimierung der klassischen Antriebe, Benziner und Clean Diesel, werden unsere Hersteller erneut mit tollen Ideen aufwarten: Zahlreiche Sonderaktivitäten und Fachveranstaltungen machen die Messe außerdem zu einer bedeutenden Plattform für verkehrspolitische Kommunikation und den Austausch innerhalb der Automobilindustrie.AH: Immer wieder heißt es, dass junge Menschen sich vom Auto abwenden. Steuert die IAA diesem Trend entgegen?M. Wissmann: Dieser Trend wird immer wieder behauptet, unsere Erfahrung deckt sich damit nicht. Auch aktuelle Umfragen zeigen, dass gerade junge Menschen nach wie vor den ausgeprägten Wunsch nach dem eigenen Auto haben - und dass, unterstützt durch den "Führerschein mit 17", auch immer mehr 17- bis 24-Jährige im Besitz einer Fahrerlaubnis sind. Viele dieser jungen Autofahrer fiebern der IAA schon entgegen, das sehen wir unter anderem auf unserer IAA Facebook-Seite, die besonders von vielen jungen Leuten genutzt wird. Auf der Messe selbst bieten wir auch diesmal Automobile zum Anfassen. Zahlreichen Aktionen und Teststrecken laden dazu ein, sich selbst hinter das Steuer zu setzen und Fahrzeuge auszuprobieren.AH: Herr Wissmann, vielen Dank für das Gespräch.KurzfassungDass junge Leute heute lieber aufs Auto verzichten, hält VDA-Präsident Matthias Wissmann für eine Mär. Die meisten legen Wert auf ein eigenes Auto, entscheiden sich nur aufgrund der Kosten später zum Neuwagenkauf, als das früher noch der Fall war.Die IAA wird mit Weltpremieren, alternativen Antrieben und vernetztem Fahren zeigen, wie die Mobilität von morgen aussieht.Der europäische Automobilmarkt 2013 macht den Herstellern zwar Sorgen, sie sind aber anderswo erfolgreich und können den Absatzrückgang dadurch ausgleichen.Von der Politik erwartet Wissmann, dass sie sich mit aller Kraft dafür einsetzt, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland zu sichern.

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