Liquidation: Aufhören, bevor es nicht mehr schön ist

Wolfgang Kottenberg hat schon viel erlebt. Der gelernte Jurist hat fast 30 Jahre als Strafverteidiger in Deutschland und Spanien gearbeitet. Seit Ende der 1990er-Jahre hat sich der heute 66-Jährige aber auf die Abwicklung von Autohäusern spezialisiert. Dabei hat er einige bekannte Branchengrößen ehrenvoll aus dem Markt verabschiedet: den früheren Renault-Händler Hanauer aus München zum Beispiel und den ehemaligen Ford-Händler Niedermair + Reich. Beide stellen ihm hervorragende Referenzen aus. Aktuell ist der in Bamberg ansässige Spezialist für Liquidation an der Abwicklung des Volkswagen/Audi-Autohauses Baudisch in Garching beteiligt. Einen dramatischen Mangel an Fachkräften sowie erhebliche finanzielle Belastungen durch Leasingverträge von Dieselfahrzeugen nannte Inhaber Stefan Baudisch als Gründe für seinen geordneten Ausstieg. Themen, die derzeit wohl viele in der Branche belasten. "Die geordnete, strukturierte Liquidation eröffnet dem Unternehmer im Gegensatz zur Insolvenz die Möglichkeit und Chancen wirtschaftlich vernünftig und kapitalschonend seiner unternehmerischen Verantwortung gegenüber Kunden, Mitarbeitern und nicht zuletzt ganz persönlich sich selbst gegenüber gerecht zu werden." Wie das geht, erläutert Kottenberg im Gespräch mit AUTOHAUS-Redakteurin Doris Plate. AH: Wieso braucht ein Autohaus einen Liquidator? Das könnte doch auch der Geschäftsführer, der sich zum Liquidator umbenennen lässt, selber machen? W. Kottenberg: Da geht es gar nicht so sehr um Fachwissen, sondern um die Emotionsfreiheit, mit der ein Liquidator an die Sache herangeht. Der Eigentümer oder Gesellschafter ist befangen, denn es geht um sein Vermögen, seine Existenz und seine Zukunft. Insolvenz oder Liquidation? AH: Wann ist die Zeit gekommen, um die Reißleine zu ziehen? W. Kottenberg: Spätestens wenn der Gesellschafter oder Eigentümer im ersten Jahr einen sechsstelligen Betrag Minus schreibt, ist das ein Warnsignal. Geht das im zweiten Jahr weiter und erhöht sich gar noch, dann ist die Zeit gekommen, um zu sagen, ich gehe. AH: Welche Hilfen können Sie einem Betrieb, der geordnet aussteigen will, anbieten? W. Kottenberg: Da ich nur Jurist bin und meine Stärken im operativen Bereich liegen, nehme ich mir, wenn es um die Analyse geht, ob ein Betrieb abwicklungsreif ist, einen Diplom-Kaufmann dazu, der viele, viele Jahre als Prüfer bei PricewaterhouseCoopers gearbeitet hat. Der beschäftigt sich dann mit den Bilanzen und den BWAs. Die wesentliche Frage ist, heißt die Reißleine Insolvenz oder heißt die Reißleine Liquidation. Weil bei der Insolvenzantragstellung eine Frist von maximal drei Wochen einzuhalten ist, muss man schnell handeln. Sonst bekommt man es mit dem Staatsanwalt zu tun. Erst der Gesellschafterbeschluss AH: Wie geht eine Liquidation? W. Kottenberg: Haben sich die Gesellschafter zur Liquidation entschieden, wird ein Liquidator bestellt. Die Liquidation wird mit notarieller Urkunde im Handelsregister veröffentlicht. Eine Liquidationseröffnungsbilanz wird erstellt. Der Liquidator tritt an die Stelle des Geschäftsführers und regelt die Vorgehensweise in enger Abstimmung mit dem/den Gesellschaftern. Eine wöchentliche oder monatliche Liquiditätsvorausschau - abhängig von der Größe des Unternehmens - zeigt auf, ob und ggf. wann die Liquiditätsdecke "dünn" wird und die Gesellschafter eine ausreichende Deckung sicherstellen müssen. Wenn liquidiert wird, fallen die Einnahmen zunehmend weg, aber die Ausgaben bleiben noch über einen ganz erheblichen Zeitraum bestehen. Dieses Delta muss der Liquidator immer im Auge haben, denn da wird es gefährlich. Der Unternehmer muss wissen, dass er zum Beispiel in der 38. oder 39. Kalenderwoche noch mal 100.000 Euro zuschießen muss, weil er ansonsten zahlungsunfähig oder überschuldet ist. AH: Bedeutet Liquidation, dass der Geschäftsbetrieb sofort eingestellt wird? W. Kottenberg: Nein. Es wird beim Notar die Liquidation der Gesellschaft beantragt und frühestens zwölf Monate nach Liquidationsbeginn kann die Löschung der Gesellschaft beim Handelsregister beantragt werden. Das operative Geschäft läuft ganz normal weiter. Wichtig: Bis zum Tag der Betriebsversammlung sollte absolutes Stillschweigen herrschen. Dann die Mitarbeiter informieren AH: Das heißt, man sollte als Erstes eine Betriebsversammlung einberufen? W. Kottenberg: Ja. Den Mitarbeitern muss klarer Wein eingeschenkt werden. Der Knackpunkt ist die Vermittlung der Arbeitnehmer in einen neuen Arbeitsplatz. Die innere Kündigung der Arbeitnehmer nach dem Motto "Was soll ich noch machen, der Laden macht doch zu" muss verhindert werden. Deswegen sage ich den Mitarbeitern in der Betriebsversammlung zu, dass sie im Idealfall bis zum 31. des Monats bei uns arbeiten und am 1. bei einem neuen Arbeitgeber anfangen, so dass sie gar nicht in die Problematik der Arbeitslosigkeit kommen. Das ist mir praktisch immer gelungen. AH: Was ist, wenn es einen Betriebsrat gibt? W. Kottenberg: Wenn ein Betriebsrat vorhanden ist, müssen Sozialplanverhandlungen geführt werden. Die können sich über mehrere Wochen, je nach Größe des Unternehmens sogar über Monate, hinziehen. Erst dann kann gekündigt werden, wenn auch die Massenentlassungsanzeige bei der Bundesanstalt für Arbeit eingereicht wurde. Das gilt für Betriebe über 25 Mitarbeiter. Als Drittes die Vertragspartner AH: Was passiert mit den bestehenden Vertragsverhältnissen? W. Kottenberg: Nach den Mitarbeitern werden die Vertragspartner informiert. Das sind dann der Hersteller und die Dauerschuldverhältnisse. Man muss sich innerhalb von einem Jahr aus Verträgen lösen, die teilweise noch zwei oder drei Jahre fortbestehen. Das muss so geschehen, dass dem Gesellschafter möglichst wenig Geld verloren geht. Üblicherweise werden Verträge bzw. Dauerschuldverhältnisse per Vergleich beendet. AH: Muss das Vertragsverhältnis zum Hersteller gekündigt werden? W. Kottenberg: Das Verhältnis zum Hersteller wird fristgerecht mit zwei Jahren Kündigungsfrist gekündigt. Ansprüche aus § 89b HGB, der sogenannte Handelsvertreterausgleich, gegenüber dem Hersteller generieren Liquidität. Ersatzteile können zurückgegeben werden. Fahrzeuge können meistens nicht zurückgegeben werden. Mit den Banken verhandeln AH: Was geschieht mit den anderen Partnern wie zum Beispiel den Banken? W. Kottenberg: Das hängt davon ab, mit wem man als Partner zu tun hat. Meine besten Erfahrungen habe ich mit Volks- und Genossenschaftsbanken, weil die die Probleme des Mittelstandes verstehen. Die Großbanken sind da sehr problematisch und haben oft - vor allem wenn Immobilien im Hintergrund sind, die werthaltig und von Interesse sind - nur ein Ziel, nämlich gegen Schuldenerlass die Immobilien zu bekommen. Man muss da mit einer Position der Stärke arbeiten. Hier kommt der Diplom-Kaufmann ins Spiel, der die Zinsentwicklung prüft. Denn viele der mittelständischen Automobilbetriebe haben das Problem, dass sie so am Tropf der Bank hängen, dass die Bank die Zinsen nach Gusto bestimmt. Deswegen müssen wir erst mal wissen, wie viel das Autohaus in den letzten fünf Jahren als Zinsen bezahlt hat. Der Bank wird dann mitgeteilt, dass die Forderungen befriedigt werden, die Saldierung aber zunächst geprüft wird. Stichwort: falsche Zinsabrechnungen. Anlagevermögen wird versteigert AH: Was passiert mit dem Anlagevermögen? W. Kottenberg: Zum Schluss kommt die Verwertung des Anlagevermögens. Das Anlagevermögen lasse ich von einem Gutachter bewerten, zum Beispiel durch den Industrierat in Hamburg. Diese Bewertung braucht der Steuerberater auch für die Schlussbilanz. Davon hängt ab, wie viel Steuern nachher noch bezahlt werden müssen. Diese Werte werden dann versteigert. Meiner Erfahrung nach wird bei Autohäusern alles auf diesem Wege verkauft, und zwar so, dass es wieder Geld in die Kassen spült. Nach 12 Monaten kann es vorbei sein AH: Wann ist frühestens alles vorbei? W. Kottenberg: Frühestens nach zwölf Monaten. Meistens dauert es aber länger, normalerweise zwischen ein und zwei Jahren. Zum Schluss kommt noch mal die Betriebsprüfung. Sind alle steuerlichen Belange der Gesellschaft ausreichend behandelt, stimmt das zuständige Finanzamt der Löschung zu. Die Gesellschaft wird dann aus dem Handelsregister gelöscht. Die gute Nachricht: Etwaige, nach diesem Rechtsakt geltend gemachte Forderungen von Gläubigern können nach Löschung nur noch im Wege der Nachtragsliquidation geltend gemacht werden. Dies geschieht in der Regel äußert selten, da zu kompliziert. AH: Vielen Dank für das Gespräch! Interview: Doris Plate Kurzfassung Gesellschafterbeschluss, Mitarbeiterinformation, Kündigung der Vertragspartnerverhältnisse - das sind die drei Schritte zur Liquidation. Dazwischen werden jede Menge Verhandlungen nötig. Ein externer Liquidator hilft bei der Abwicklung. Nach frühestens zwölf Monaten kann alles vorbei sein.

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