Ausgabe 16/2013: Cyberspace mit Trennwand

Wissen Sie noch, welche Themen vor sieben Jahren im Autohandel wichtig waren? - Mercedes führte den Online-Direktvertrieb für Gebrauchtwagen mit Lieferung auf dem Lkw vor die Haustür ein, der bayrische Kfz-Verbands-Präsident Klaus-Dieter Breitschwert forderte die Kfz-Zulassung im Autohaus und die Presse schrieb, dass chinesische Autos stinken. Es gab noch kein iPad, keine Apps - man wundert sich beinahe, wie wir es damals ausgehalten haben.Der Online-Direktvertrieb für Gebrauchtwagen wurde von Mercedes 2009 aus technischen Gründen wieder eingestellt, die Kfz-Zulassung im Autohaus gibt es immer noch nicht und chinesische Autos sind immer noch eine Randerscheinung. Der App-Store für das iPhone war aber eine Revolution: 2008 startete er mit etwas über 500 Anwendungen. Die 30 Prozent Kommission, die Apple vom App-Preis einbehielt, waren nicht zum Geldverdienen da - sondern nur, um die Plattform einigermaßen kostendeckend zu betreiben. Inzwischen kann Apples Store über 900.000 Apps und 50 Milliarden Downloads vorweisen. Ein riesiger Markt.Mehr Käufe im InternetDie Spannweite dieser Ereignisse zeigt ungefähr, worauf wir uns im Automobilhandel im Jahr 2020 - das sind nur noch sieben Jahre - einstellen müssen. Alle Experten sind sich darüber einig, dass die Rolle des Internets weiter zunehmen wird. Gerade hat das renommierte Institut für Automobilwirtschaft (IfA) der Hochschule Nürtingen-Geislingen im Auftrag der Dekra eine Studie zu dem Thema veröffentlicht. Ergebnis: Während heute erst 0,5 Prozent der Neuwagen in Deutschland direkt im Internet verkauft werden, erwarten Händler und Kunden, dass es 2020 bereits zehn Prozent sein werden (s. Grafik 1 auf S. 13).Das Problem dabei: Nach Berechnungen des IfA muss ein Händler bei Neuwagenverkäufen über das Internet mindestens einen Bruttoertrag von 6,5 Prozent erzielen, um kein schlechteres Ergebnis als bei einem reinen Showroom-Verkauf zu haben. Bei einer Neuwagen-Marge von 19,5 Prozent bedeutet dies, dass der maximale Kundennachlass 13 Prozent nicht überschreiten darf. Ob dies ausreicht, bezweifelt der wissenschaftliche Leiter der Studie, Professor Willi Diez: "Internet-Kunden erwarten Nachlässe, die bei über 20 Prozent liegen."Weniger HändlerDamit wären wir beim Problem der Preiserosion, das sich auch außerhalb des Internetverkaufs ausbreitet, weil sich die Kunden auf Internetangebote berufen. Die Forscher des International Car Distribution Programme (ICDP) beobachten dieses Phänomen schon länger. Weil zusätzlich der Markt in Europa rückläufig ist und sich in den nächsten Jahren nach Meinung von ICDP auch nicht mehr deutlich verbessern wird, erwarten sie gravierende Veränderungen im Kfz-Vertrieb in den nächsten Jahren. "Zu viele Händler verlieren Geld, das können die Hersteller nicht mehr auffangen", erläutert ICDP-Experte Steve Young. Seine Prognose: Teilweise wird es zwar neue Investoren geben, die glauben, in der Talsohle einzukaufen, um dabei zu sein, wenn es wieder aufwärts geht. Insgesamt werden sich die Netzwerke aber verkleinern.Das sagt auch das IfA voraus: "Die Zahl der wirtschaftlich und rechtlich selbstständigen Automobilhändler in Deutschland wird von heute 7.880 bis zum Jahr 2020 auf 4.500 Unternehmen sinken." (s. Grafik 2 auf S. 15). Die IfA-Experten erklären diese Entwicklung unter anderem mit der anhaltenden Übernahme von kleineren Autohäusern durch die großen Gruppen.Änderung des KundenverhaltensDie zunehmende Bedeutung des Internets hat aber noch einen anderen Aspekt: Die Änderung des Kundenverhaltens. Die Kunden kommen nun noch viel seltener ins Autohaus, und wenn doch, eigentlich nur noch, um das bereits gewählte Modell Probe zu fahren und ein Preisangebot einzuholen (s. Kasten auf S. 15). "Die Kunden wissen schon, was sie kaufen wollen, wenn sie ins Autohaus kommen", so Steve Young. "Für Hersteller und Händler heißt das, sie müssen die Kunden für ihre Marke gewinnen, bevor sie ins Autohaus kommen." Für den ICDP-Forscher bedeutet das, dass Hersteller und Händler dafür viel enger zusammenarbeiten müssen. Und der Einfluss der Hersteller wird auch durch eine andere Entwicklung noch zunehmen: Telematik ermöglicht ihnen zusätzliche direkte Kundenkontakte.Stärkere MarktsegmentierungDabei sieht Young durchaus Unterschiede in der Entwicklung der Marken je nach Marktsegment. "Premium wird sich zukünftig anders präsentieren als Massenhersteller." Premium wird nach den Erkenntnissen der Forscher seltener im Internet gekauft, bessere Händlermargen ermöglichen zudem höhere Investitionen. Auch Prof. Stefan Reindl vom IfA-Institut erwartet, dass sich die Betriebstypen "einerseits verstärkt an konkreten Kundengruppen sowie andererseits an bestimmen Servicesegmenten ausrichten und sich schärfer als in der Vergangenheit im Marktverhalten ausdifferenzieren werden." Dabei geht er davon aus, dass das Geschäftsmodell "Autohaus" weiterhin nur durch die Wertschöpfung und den Ertrag aus den Servicebereichen stabilisiert werden kann. "Dominieren werden künftig beispielsweise Markenbetriebe, die sich als lokal agierende 'Markenchampions' hauptsächlich markenfokussierten, eher preisbereiten Kundengruppen widmen." Freie Anbieter werden dann eher die markenfokussierten, aber auch preisbewussten Kunden bedienen.Verlierer des sich bereits abzeichnenden Strukturwandels werden laut Reindl die kleinen Einmarkenbetriebe sein. "Sie werden aufgrund der fehlenden betriebswirtschaftlichen Tragfähigkeit zu einer Mehrmarkenstrategie übergehen müssen." Das wird aber durch die aktuelle rechtliche Situation erschwert. Und das wird sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern: Die aktuelle Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) gilt noch bis 2022. Auf ihrer Grundlage können die Hersteller die Markentrennung wieder vermehrt einfordern, und viele tun das auch.InnenstadtpräsenzGerade die Premium-Hersteller haben in Sachen Kundengewinnung für die Marke schon die Weichen gestellt, bevor der Kunde ins Autohaus kommt. Audi zeigt mit seiner "Audi City", wie der Kunde auf relativ kleiner Fläche in einer Haupteinkaufsstraße in der Innenstadt für die Marke gewonnen werden kann. Auch Mercedes-Benz hat mit "Connection" ein solches Konzept. Die Stuttgarter wollen darüber hinaus mit Pop-up-Stores und Pavillons die Gastronomie mit ungezwungenen Informationen rund um die Marke und ihre Produkte verbinden, näher am Kunden sein. Auch BMW geht für seine Elektrofahrzeuge neue Wege mit mobilen Verkäufern und stärkerer Vernetzung von Internet und realen Schauräumen. Multi-Touch-Tische mit 3-D-Darstellung der gewählten Optionen auf großen Leinwänden ist ganz sicher ein Trend, der in die Autohäuser einziehen wird. Dass dies nicht nur eine Sache für große und/ oder Premium-Marken ist, zeigen Fiat und Citroen. Die Italiener haben mit Fiat Click schon im Juli 2011 einen solchen Shop in der Innenstadt von Birmingham an den Start gebracht. Zwar wurde die Idee dann nicht weiter verfolgt, weil man doch lieber wieder Händler eingesetzt hat, aber auch diese Marke hat ein solches Konzept in der Schublade. Und auch Citroen-Deutschland-Marketingchefin Sevilay Gökkaya ist schon länger am "Point of Interest"-Marketing dran. Im Herbst wird in Paris eine "DS-World" eröffnen. In dem kleinen Shop in Innenstadtlage wird es nach Auskunft von Gökkaya ebenfalls nicht nur um Autos gehen, sondern geplant sind ein Restaurant und Entertainment.Mehr HerstellereinflussFür Automobilprofessor Stefan Bratzel ist die logische Konsequenz solcher Innovationen: "Es müssen noch mehr Kosten und Risiken vom Hersteller übernommen werden." Wie das gehen kann, zeigt zum Beispiel BMW derzeit mit seinen Agenturverträgen für die Elektromobile. Abgerechnet wird je nachdem, wer welchen Anteil am Verkaufsprozess hatte.Diesen Trend sieht auch ZDK-Geschäftsführerin Antje Woltermann: "Ich vermute, im Neuwagenhandel wird die Abhängigkeit größer." Sie erwartet auch neue Vertriebsformate, bei denen die Hersteller ihre Führungsrolle noch stärker ausfüllen werden. Mit dem geänderten Konsumentenverhalten müssen die Aufgaben ihrer Ansicht nach innerhalb der Wertschöpfungskette neu verteilt werden. "Das muss für die heutigen Händler, die künftig vielleicht eher Agenten sind, nicht grundsätzlich schlecht sein", meint Woltermann. "Dies gilt insbesondere dann, wenn sie für die Aufgaben, die sie künftig übernehmen, eine angemessene Vergütung erhalten." Ein Beispiel wäre Bezahlung für die Dienstleistung, dem Kunden, der im Internet eine Probefahrt bestellt hat, das Fahrzeug nach Hause zu bringen und ihn mit dem neuen Fahrzeug vertraut zu machen.Besonderheit ProbefahrtDenn genau diese Probefahrt ist das, was das Internet und auch moderne interaktive Hilfsmittel noch nicht bieten können. Professor Diez: "Ich denke, auch künftig will der Kunde das multisensuale Produkterlebnis - vor allem im Premiumbereich. Und außerdem: Die Hersteller müssen hier auch aufpassen, denn die wirkliche Produktdifferenz (z. B. zwischen einem Audi, BMW und Mercedes) lässt sich nur 'real' erleben und nicht virtuell. Cyberspace-Konzepte sollten daher nicht so geplant werden, dass sie die Probefahrt ersetzen, sondern dazu animieren." Und: "Weil auch im Jahr 2020 oder 2025 nicht 100 Prozent der Autos über das Internet verkauft werden, wird es natürlich auch in Zukunft noch die ganz klassische Probefahrt beim Händler vor Ort geben."Allerdings ist für Diez absehbar, dass sich neue Probefahrt-Formate rund um den Internetvertrieb entwickeln werden: Das können Probefahrtzentren bei einzelnen Händlern oder werkseigenen Niederlassungen sein, die das volle Modellprogramm mehr oder weniger vorrätig haben. Hinzu kommen Vermieter und Carsharing-Betreiber, mit deren Fahrzeugen man letztlich auch "Probefahrten" machen kann.Und der Händler hat noch ein Pfund, mit dem er auch in Zukunft wuchern kann: den persönlichen Kontakt. Für den Automobil-Experten Dr. Thomas Dmoch ist klar: "Der Händler kennt seinen Kunden noch persönlich, und das ist viel mehr, als nur über seine Daten zu verfügen." Aus dem direkten Kontakt und dem "Kenne Deine Kundschaft" können auch in Zukunft noch Verkäufe abgeleitet werden.KurzfassungWissenschaftler sehen folgende Megatrends für unsere Branche1. Viel mehr Verkäufe im Internet2. Weniger Händler3. Weniger Händlerkontakte4. Stärkere Marktsegmentierung5. Mehr Innenstadtpräsenz6. Mehr Herstellereinfluss7. Neue Probefahrt-FormateKommentar" Gehören Sie auch zu diesen unverbesserlichen Gestrigen, die für die Bedienung ihres immerhin schon internetfähigen Handys manchmal die Hilfe ihrer Kinder oder der freundlichen Redaktionsassistentin (danke, Frau Schwarzenböck) brauchen, die Flinkster nur aus Erzählungen kennen und bei WhatsApp Fragezeichen in die Augen bekommen? Willkommen im Club!Ich bin mittlerweile fast 54 Jahre alt, habe bisher in meinem Leben sieben Neuwagen gekauft. Wenn ich davon ausgehe, dass ich das mindestens noch 20 Jahre machen und meinen Anschaffungszyklus beibehalten werde, werden es wohl noch vier weitere werden. Dafür werde ich weiterhin auf die Hilfe meines Händlers (vielen Dank, Herr Weber!) setzen, der mich hoffentlich berät, meinen Gebrauchten in Zahlung nimmt und mir bei der Übergabe - und in den Monaten darauf immer wieder - meinen Neuen erklärt. Denn das neue Modell kann so viel mehr als das alte. Ich kann mir das gar nicht alles merken. Und brauchen tue ich das auch nicht alles. Vieles ist aber angenehm und hilft gerade dem alternden Menschen, der vielleicht nicht mehr so schnell reagiert. Abstandswarner, Spurassistent, Einparkhilfe usw. lassen grüßen.Vielleicht gehöre ich mit meinem Kaufverhalten zu den letzten meiner Art. Aber es gibt schon noch viele von uns, die sich nicht vorstellen können, ein Auto im Internet zu kaufen, ohne es vorher gefahren, gesehen und gerochen zu haben. Die schönen, neuen Autowelten wird es sicherlich geben müssen - vor allem für die Jungen, aber auch für die Alten, die mit der Zeit gehen wollen und sich dort gerne umschauen. Das klassische Autohaus wird aber noch eine ganze Weile seine Kunden haben. Bis dass der Tod uns scheidet. Und ehrlich gesagt, wer kann heute schon sagen, was in 20 Jahren sein wird. " Doris Plate Leitung Fabrikate AUTOHAUS

Ausgabe 16/2013: Cyberspace mit Trennwand

MEISTGELESEN

Weltpremiere in Ingolstadt: Audi enthüllt neuen Q3

Neue Marke im Portfolio: Moll startet Partnerschaft mit BYD

GM-Chefin Barra: "Wir glauben, dass es hier enorme Chancen gibt"

STELLENANGEBOTE

Technischer Betriebsleiter - Volkswagen Konzernhandel

Leiter Fahrzeugaufbereitung (m/w/d)

Assistenz der Geschäftsführung mit Schwerpunkt Marketing

Verkaufsleiter Neue Automobile (m/w/d)

Kommunikations-Elektroniker /Hochvolttechniker (m/w/d) in Pfullendorf

NEWSLETTER