Ausgabe 03/2013: Das Recht auf Attest

Das Recht auf AttestBundesarbeitsgericht – Urteil zur Attestpflicht des ArbeitnehmersAutohaus-Juristen Rechtsanwälte G. Haug & PartnerZu einem nicht geringen Aufsehen führte ein zum Ende des letzten Jahres bekannt gewordenes Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – Urteil vom 14.11.2012, Aktenzeichen 5 AZR 886/11. Das BAG hatte darüber zu entscheiden, ob der Arbeitgeber ohne jeden Anlass berechtigt ist, von seinem Arbeitnehmer bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit die Vorlage eines ärztlichen Attestes zu verlangen. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Dieses Recht steht dem Arbeitgeber zu, eine lang andauernde juristische Diskussion wurde damit beendet.Gesetzliche RegelungEigentlich ist die gesetzliche Regelung nicht misszuverstehen. Gemäß § 5 Abs. 1, Sätze 1 bis 3 gilt Folgendes: „Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauf folgenden Arbeitstag vorzulegen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen.“ Das Gesetz unterscheidet also zwischen einer Mitteilungspflicht des Arbeitnehmers und einer Attestvorlagepflicht. Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer sich eine Arbeitsunfähigkeit ab dem 4. Tag der Erkrankung ärztlich bescheinigen lassen. Dennoch kann der Arbeitgeber dieses Attest früher verlangen, also – logischerweise – auch bereits ab dem ersten Tag der Erkrankung.Der FallDiese Eindeutigkeit der gesetzlichen Regelung wollte sich eine Angestellte einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt nicht gefallen lassen. Sie war dort zuletzt als Redakteurin zu einem sehr stattlichen Bruttogehalt tätig. Für den 30.11.2010 beantragte sie bei ihrem Vorgesetzten eine Freistellung für eine Dienstreise. Dieser Antrag wurde abgelehnt, ebenso wie eine diesbezügliche nochmalige Anfrage der Angestellten vom 29.11.2010. Am Tag der beabsichtigten Dienstreise, dem 30.11.2010, meldete sich die Angestellte krank (ein Schelm, wer dabei Schlechtes denkt ...). Daraufhin wies der Vorgesetzte die Angestellte an, in Zukunft ab dem ersten Tag einer Erkrankung ein ärztliches Attest über die Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Der Vorgesetzte begründete dies in einem Schreiben an die Angestellte – durchaus nachvollziehbar – mit einem eingetretenen Vertrauensverlust. Die Angestellte erhob daraufhin Klage zum Arbeitsgericht. Sie vertrat die Auffassung, die Anweisung des Arbeitgebers sei rechtsmissbräulich, insbesondere habe sie in der Vergangenheit durch ihr Verhalten keinen Anlass zu einem Misstrauen des Arbeitgebers gegeben. Sie beantragte, den Arbeitgeber zu verurteilen, die Anweisung zur sofortigen Attestvorlage zu widerrufen. Die Klage blieb durch alle Instanzen erfolglos.Keine Ermessensausübung nötigDas Landesarbeitsgericht Köln bestätigte in der Berufungsinstanz die Auffassung des Arbeitgebers, dass für die Aufforderung zur sofortigen Attestvorlage weder eine Begründung noch ein Sachverhalt, der Anlass für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Arbeitnehmers gibt, erforderlich ist. Das BAG nahm diese Argumentation auf mit der ausdrücklichen Bemerkung, dass der Arbeitgeber keinen begründeten Verdacht hinsichtlich einer vorgetäuschten Erkrankung haben muss. Im Gegenteil, der Arbeitgeber muss nicht einmal irgendeine Abwägung vornehmen bzw. irgendein Ermessen ausüben, bevor er gegenüber dem Arbeitgeber die Anweisung zur sofortigen Attestvorlage ausspricht. Die Vornahme einer solchen Anweisung ist einseitiges Recht des Arbeitgebers.Mitbestimmung des BetriebsratsEs stellt sich die Frage, ob das einseitige Anweisungsrecht des Arbeitgebers auch dann gilt, wenn ein Betriebsrat vorhanden ist. Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei „Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb“. Dies allerdings nur, „soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht“. Im aktuell besprochenen Fall lässt sich aus den Urteilen nicht entnehmen, dass ein Betriebsrat vorhanden war. Es ist dennoch zu diskutieren, ob die im Entgeltfortzahlungsgesetz geregelte Attestvorlagepflicht eine „gesetzliche Regelung“ im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ist. Diese Auffassung wird zwar von einem Teil der Literatur vertreten. Dieser Meinung ist allerdings das Urteil des BAG vom 25.01.2000 (Aktenzeichen 1 ABR 3/99) entgegenzuhalten. Hier hat das BAG bereits entschieden, dass das Mitbestimmungsrecht eines Betriebsrats durch das Entgeltfortzahlungsgesetz nicht ausgeschlossen wird, der Betriebsrat vielmehr bei der Frage mitzubestimmen hat, ob und wann der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit vor dem 4. Tag nachzuweisen hat. ■Rechtsanwalt Rainer Bopp Kanzlei@raehaug-partner.de www.haug-partner.de Kurzfassung1. Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz hat ein Arbeitnehmer grundsätzlich ab dem 4. Tag einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein ärztliches Attest vorzulegen. Der Arbeitgeber kann nach der gesetzlichen Bestimmung allerdings auch die Attestvorlage „früher“ verlangen.2. Nach dem Urteil des BAG vom 14.11.2012 steht dem Arbeitgeber ein einseitiges Anweisungsrecht zu, vom Arbeitnehmer die Vorlage eines ärztlichen Attestes bereits ab dem 1. Krankheitstag zu verlangen. Der Arbeitgeber muss keine Abwägungen treffen bzw. irgendein Ermessen ausüben, es muss insbesondere kein Verdacht auf eine vorgetäuschte Krankheit vorliegen.3. Existiert ein Betriebsrat, hat dieser bei der Frage mitzubestimmen, ob und wann vom Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit vor dem 4. Krankheitstagen nachzuweisen ist.Kommentar< Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 14.11.2012 in erfreulicher Eindeutigkeit der Auffassung eine Absage erteilt, dass die Anweisung des Arbeitgebers nach der Vorlage eines sofortigen Attests einem „billigen Ermessen“ entsprechen müsste. Das BAG hätte sich hierbei auf den gesetzgeberischen Willen beschränken können, wie er auch im Urlaubsrecht zum Ausdruck kommt. Gem. § 9 BUrlG gilt Folgendes: „Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.“ Auch hier werden also dem Arbeitnehmer einseitige Nachweispflichten bereits ab dem 1. Krankheitstag auferlegt. Ohne Attest gibt es keine Begünstigung des Arbeitnehmers, Krankheitszeiten werden auf den Urlaub angerechnet. >

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