Ausgabe 04/2007: David gegen Goliath / Das Autohaus Ryll in ...

David gegen Goliath / Das Autohaus Ryll in Wittenberge wehrt sich gegen die Kündigung des Vertretervertrages durch DaimlerChrysler. Stern-Stürmevon Annemarie SchneiderEs gibt Tage, die man am liebsten vergessen möchte. Für Mercedes-Benz Vertreter Siegfried Ryll ist der 15. Juni 2006 so ein Tag: In einem Schreiben kündigt die DaimlerChrysler AG ihm sämtliche Vertriebs- und Serviceverträge für Pkw, Transporter und Lkw fristlos, hilfsweise fristgemäß. Laut dem Schreiben nimmt die DaimlerChrysler AG "zahlreiche Vertragsverletzungen und betrügerische Verhaltensweisen" zum Anlass, die Verträge zu kündigen. Auf eine schriftliche Anfrage von AUTOHAUS zu den Gründen führt DaimlerChrysler aus: "Kündigungsgründe ergaben sich aus den Feststellungen einer unternehmensinternen Revision: Unerlaubte Geschäfte mit nicht-autorisierten Wiederverkäufern und Verletzung der Einsatzbestimmungen für Vorführ- und Geschäftswagen."Was haben sich Siegfried Ryll, ein weiterer Verantwortlicher im Unternehmen und ein Verkäufer vorzuwerfen? Für Rylls Rechtsanwalt Jörg-Klaus Baumgart ist klar: "Herr Ryll hat sich persönlich gar nichts vorzuwerfen. Im Einzelfall kann es durchaus einen Vorwurf gegen Verkäufer gegeben haben." Herr Ryll habe einen solchen Fall aufgedeckt und das Arbeitsverhältnis dann fristlos gekündigt. Die Vorwürfe ließen sich, wenn man ins Details geht, auch ausräumen, "nur die Revision hatte kein Interesse an Aufklärung oder an Kenntnissen, sondern man hatte augenscheinlich vorab – schon vor der Revision – den Entschluss gefasst, den Händlervertrag zu kündigen", meint Baumgart. Den Revisionsbericht habe Ryll außerdem bis heute nicht gesehen. Ryll widerspricht folglich der Kündigung und erwirkt am 25. Juli 2006 eine einstweilige Verfügung am Landgericht Stuttgart. Das Urteil der Richter besagt, dass das Autohaus Ryll von DaimlerChrysler weiterbeliefert werden muss, bis geklärt ist, ob die Kündigung wirksam ist."Fristlose Kündigung nicht gerechtfertigt"Am selben Tag kündigt die DaimlerChrysler AG erneut die Verträge und stellt zwei Tage später beim LG Stuttgart einen Antrag auf Aufhebung der Verfügung. Ryll erhebt im August Widerspruch gegen die zweite Kündigung. Das LG Stuttgart kommt am 5. September zu einem Urteil über den Antrag der DaimlerChrysler AG. Die Richter weisen den Antrag ab und begründen ihre Entscheidung ausführlich. Sie nehmen Bezug auf das Urteil vom 25. Juli, wo es unter anderem heißt: "..., dass die erfolgten Verkäufe an nicht autorisierte Wiederverkäufer in den Jahren 2005 und 2006 eine Kündigung nicht rechtfertigten, da von einer vorsätzlichen Vertragsverletzung nicht ausgegangen werden könne. Hinsichtlich des Vorwurfs, im großen Umfang Vorführfahrzeuge als Neufahrzeuge verkauft zu haben, fehle es an der erforderlichen Darlegung und Glaubhaftmachung..." Und auch die neu vorgetragenen Umstände würden eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen, weshalb der Antrag zurückgewiesen wurde. Wie geht DaimlerChrysler weiter vor? Auf diese Frage antwortet die AG: "Wir haben beim OLG Stuttgart Rechtsmittel gegen die Entscheidung des LG Stuttgart eingelegt." Da auch in einem Sondierungsgespräch zwischen DaimlerChrysler und Ryll am 30. November keine Ergebnisse erzielt wurden, geht es jetzt am LG Stuttgart ins Hauptsacheverfahren. Wird DaimlerChrysler dort die endgültige rechtliche Klärung suchen? "Wir sind der Klage der Autohaus Ryll GmbH selbstverständlich im vollen Umfang entgegengetreten", erklärt DaimlerChrysler. Auf die Frage, welche einvernehmliche Lösung sich die AG vorstellen kann, lautet die Antwort kurz und knapp: "Es gibt keine konkreten Ergebnisse." Für Baumgart kommt eine einvernehmliche Auflösung des Vertretervertrages in Frage: "Dies setzt voraus, dass Herr Ryll seinen Handelsvertreterausgleich nach gekündigtem Vertretervertrag erhält, den er sich teuer zu Beginn der Vertragsverhältnisse einkaufen musste."Kündigung der BankkrediteSeit der Kündigung kämpft Ryll im Geschäftsalltag jedenfalls mit erheblichen Hürden. Denn trotz der Verfügung beliefert DaimlerChrysler nach Aussagen von Ryll-Anwalt Baumgart das Autohaus gar nicht oder nur gegen Vorkasse: "Darüber hinaus werden Order nur schleppend bearbeitet. Alles muss über die Niederlassung Magdeburg abgewickelt werden, wodurch das eigentliche Kundennetz ausgedünnt und den Kunden damit suggeriert wird, dass man sich gleich nach Magdeburg wenden könne." Und er ergänzt: "Bei den Kunden entsteht der Eindruck, als ob es die Firma Ryll nicht mehr gäbe." Baumgart will im Zuge des Hauptsacheverfahrens deshalb Schadenersatz für seinen Mandanten erreichen. Für ihn ergeben sich aus dem Verhalten der AG erhebliche Schadenersatzansprüche. Das betreffe nicht gewährte Sonderrabatte auf Ersatzteile, Boni auf Fahrzeuge sowie nicht bezahlte und abgewickelte Kulanz- und Garantiefälle. "Gegenwärtig wickelt Herr Ryll aus Verantwortung für seine Kunden sämtliche Kulanz- und Garantiefälle ab, erhält diese jedoch nicht von der DaimlerChrysler AG vergütet", so Baumgart. DaimlerChrysler behauptet hingegen: "Wir beachten derzeit selbstverständlich die Regelungen der vom LG Stuttgart zugunsten der Autohaus Ryll GmbH erlassenen einstweiligen Verfügung."Was Ryll neben der Vertragskündigung durch die AG lange Zeit ebenfalls beschäftigt hat, ist die fristlose Kündigung sämtlicher Kreditverträge durch die DaimlerChrysler Bank. "Das bedeutet, dass Herr Ryll plötzlich mit Schreiben vom 15. Juni 2006 angebliche Verbindlichkeiten in Höhe von 780.000 Euro zurückzuführen hätte", erläutert Baumgart. Er hat im Auftrag von Ryll daher auch dieser Kündigung widersprochen und beim LG Stuttgart erreicht, dass die fristlose Kündigung unwirksam ist. Eine fristgerechte Kündigung des Vertrages, die drei Monate beträgt, war aber möglich gewesen. Siegfried Ryll hat daher Mitte November vergangenen Jahres alle Verbindlichkeiten abgelöst. Ryll konnte die Liquidität aufbringen. Manch anderem Händler hätte dies finanziell das Genick gebrochen. Eine Insolvenz wäre nahezu unausweichlich gewesen.Versuchter Diebstahl?Für Aufregung im Autohaus Ryll sorgte auch ein Ereignis, das am 28. Juni 2006 stattfand. An diesem Tag holten zwei Mitarbeiter des Corporate Security Departments (CSD) der DaimlerChrysler AG acht Vorführwagen, so genannte Konsignationsfahrzeuge, zusammen mit einem Ryll-Mitarbeiter ohne Wissen von Siegfried Ryll oder eines anderen Verantwortlichen im Autohaus vom Hof. Die Fahrzeuge wurden jedoch auf einem Parkplatz in Wittenberge entdeckt und Ryll ließ die Fahrzeuge mit Hilfe der Polizei wieder auf das Autohaus-Gelände bringen. Wer gab den beiden Mitarbeitern dafür den Auftrag? DaimlerChrysler antwortet darauf: "Die beiden Mitarbeiter waren damit beauftragt, den Verbleib von so genannten Konsignationsfahrzeugen, deren Eigentümer die DC AG war, vor Ort in Erfahrung zu bringen und diese gegebenenfalls herauszuverlangen." Denn trotz mehrfacher Aufforderung habe das Autohaus die Herausgabe verweigert. Baumgart sieht diesen Sachverhalt anders: "Selbst wenn die Fahrzeuge im Eigentum der DaimlerChrysler AG stehen, war die Firma Ryll berechtigter Besitzer." Und: "Bis heute ist die DaimlerChrysler AG mit keinem Schreiben offiziell an die Firma Ryll herangetreten, dass diese Fahrzeuge herausgegeben werden sollten." Der Rechtsanwalt hat daher im August Strafanzeige wegen versuchten Diebstahls gegen die AG, die beiden CSD-Mitarbeiter und den mittlerweile fristlos entlassenen Mitarbeiter gestellt.Nach Ansicht von DaimlerChrysler haben sich die Mitarbeiter nicht strafbar gemacht. Doch wie sieht die zuständige Staatsanwaltschaft in Neuruppin die Lage? Auf eine schriftliche AUTOHAUS-Anfrage kam keine Antwort. Erst auf telefonische Anfrage äußerte sich der Oberstaatsanwalt lediglich, dass die Ermittlungen unter dem Aktenzeichen 346 Js 25010/06 andauern würden und es beabsichtigt sei, die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen.Durchsuchung bei RyllDie Betrugsvorwürfe, die zu den zivilrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen der DaimlerChrysler AG und dem Autohaus Ryll geführt haben, hatten aber noch weiter reichende Konsequenzen. Denn die DaimlerChrysler AG erstattete im Juli 2006 bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg Strafanzeige, weil nach Angaben der DC AG der Verdacht begründet war, dass sie Opfer zahlreicher Straftaten geworden sei. Der Strafanzeige folgten Ende August ein richterlicher Beschluss, der die Durchsuchung des Autohauses, der Privaträume von Siegfried Ryll und anderer Personen wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betruges anordnete. Die Durchsuchung, bei der unzählige Geschäftsunterlagen beschlagnahmt wurden, fand am 5. Dezember statt. Mit dabei war ein Mitarbeiter der Konzernsicherheit der DaimlerChrysler AG. Der Mitarbeiter der AG hat sich laut Rechtsanwalt Baumgart dabei nicht zu erkennen gegeben. Erst als sich Siegfried Ryll unmittelbar nach Beginn der Durchsuchung die Ausweise zeigen ließ, habe er festgestellt, dass es sich bei einer der schätzungsweise 80 Personen um einen DaimlerChrysler-Mitarbeiter handelte. "Er hat sich mit einer Visitenkarte ausgewiesen und wollte zunächst das Grundstück nicht verlassen. Erst nach meinem telefonischen Hinweis, dass Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch erstattet wird, hat er das Grundstück verlassen", erläutert Baumgart.Fragwürdiger EinsatzWelche rechtliche Grundlage gibt es dafür, dass bei der Durchsuchung im Autohaus Ryll ein CSD-Mitarbeiter der DaimlerChrysler AG anwesend ist? Wer hat dies zugelassen oder erlaubt? Die Staatsanwaltschaft Magdeburg hat dazu auf eine schriftliche Anfrage geantwortet. Vorweg wird allerdings angemerkt, dass sich die Ermittlungsakten noch beim zuständigen Amtgericht befänden und eine Einsichtnahme nicht möglich ist. Daher könnten die Fragen vorerst nur aus der Erinnerung des zuständigen Staatsanwalts beantwortet werden. Zur Anwesenheit des DC-Mitarbeiters schreibt die Staatsanwaltschaft: "Der Ermittlungsbeamte der DaimlerChrysler AG hat, nach Kenntnisstand des zuständigen Staatsanwalts, an der Durchsuchung nicht teilgenommen, er wurde des Grundstücks verwiesen."Die Frage, warum bei der Durchsuchung ein DaimlerChrysler-Mitarbeiter anwesend war, ging auch an die DC AG. Die Antwort: "Der zuständige Staatsanwalt hatte uns die Teilnahme von sachbearbeitenden Mitarbeitern anheim gestellt. Davon haben wir Gebrauch gemacht. Ein Mitarbeiter unserer Konzernsicherheit nahm an dem Durchsuchungstermin als sachverständiger Zeuge zunächst teil, entfernte sich jedoch freiwillig in Absprache mit dem Einsatzleiter, als sich Herr Ryll auf ein Zutrittsverbot für alle DC-Mitarbeiter berief."Ryll-Anwalt Baumgart sieht keine rechtliche Grundlage, die ein solches Vorgehen ermöglicht: "Mir ist diese nicht bekannt. Augenscheinlich beugen sich hier die Staatsanwaltschaft und das Gericht dem großen Namen der DaimlerChrysler AG." Er hält dieses Vorgehen für beispiellos. Deshalb hat er im Januar unter anderem gegen den DC-Mitarbeiter Anzeige wegen Hausfriedensbruchs und falscher Verdächtigung erstattet sowie bei der Staatsanwaltschaft eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Der DaimlerChrysler AG war die Strafanzeige Mitte Januar nicht bekannt.Ein Bericht über das zivilrechtliche Verfahren und die strafrechtlichen Ermittlungen folgt demnächst.

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