Händlernetz und Marktanteil: Die Markenstrategie zählt

Alle gegen einen: Wie lange hält das klassische Geschäftsmodell des Automobilhandels den neuen Mobilitätskonzepten, der Digitalisierung und dem Strukturwandel noch stand? Unter anderem neue Player, die Neuwagen markenübergreifend und ausschließlich online zum Kauf anbieten, machen den Autohäusern das Leben schwer. Viele Automobilmarken ziehen nach, und nicht nur die weltweit herrschende Covid-19-Pandemie zwingt die etablierten Hersteller, den volldigitalen und kontaktlosen Neuwagenkauf zu ermöglichen. Vor allem virtuelle Showrooms spielen dabei eine wichtige Rolle. Diese sind zumindest teilweise in der Lage, das emotionale Erleben einer Fahrzeugbesichtigung zu ersetzen. Sie sollen die Fahrzeuge erlebbar machen und den persönlichen Kontakt zur Marke herstellen. Dieser Strukturwandel, in dem sich der Neuwagenvertrieb aktuell befindet, zeigt sich in besonderem Maße an der Volvo-Elektro-Tochter Polestar. Die Marke hat inzwischen weltweit Standorte eingerichtet, an denen Interessenten Probefahrten durchführen können und ausführliche Beratung erhalten. Angebote und Verträge für den Fahrzeugkauf werden dann jedoch nicht vor Ort, sondern ausschließlich online ausgestellt. Hinzukommend gewinnen Carsharing und Fahrzeug-Abo-Modelle als flexible Formen der Mobilität zunehmend an Interesse. All dies wirft die Frage nach dem langfristigen Sinn des stationären Vertriebs auf. Gerade vor dem Hintergrund der vertriebsmäßigen Ausrichtung von neuen Wettbewerbern wie Polestar und Tesla kann die Bedeutung der Händler für die Hersteller angezweifelt werden. Händlersterben in Deutschland Welche Auswirkungen diese Vertriebsverlagerung ins Internet und das Interesse an neuen Mobilitätskonzepten auf die Vertriebsnetze der Automobilhersteller in Deutschland hat, belegen folgende Zahlen: Von den 14.668 Vertriebspartnern im Jahr 2010 existiert mittlerweile eine große Anzahl nicht mehr. Vor allem kleinere Händler, die in der Vergangenheit nur eine relativ geringe Anzahl an Neuwagenverkäufen erreichten, haben sich heute als reine Servicepartner der jeweiligen Hersteller spezialisiert. Besonders das Volumensegment, also Hersteller, die auf die breite Masse abzielen, sind betroffen: Ungefähr jeder vierte Vertriebspartner hat inzwischen seinen Neuwagenvertrieb eingestellt. Die Marke Renault ist ein gutes Beispiel für die stark rückläufige Anzahl an Vertriebspartnern. Bot der französische Automobilhersteller mit 1.228 Vertriebsstätten im Jahr 2010 - noch vor Volkswagen - das größte Händlernetz am deutschen Markt an, sind hiervon heute noch 762 Standorte übrig. Ähnlich steht es um die Vertriebspartner der Marke Opel. Auch durch die Sparmaßnahmen des Mutterkonzerns PSA sind von den 1.048 Vertriebsstätten aus dem Jahr 2010 noch 68 Prozent übrig. Und auch die japanischen Automobilhersteller tragen einen wesentlichen Anteil zum Händlersterben am deutschen Markt bei. Sie reduzierten in den vergangenen Jahren die Größe ihrer Vertriebsnetze am deutschen Markt massiv. Kunden der Hersteller Mazda, Toyota und Honda müssen heute immer weitere Wege zurücklegen, um einen persönlichen Kontakt zur Marke zu bekommen. Auch im Premiumsegment sind Rückgänge zu verzeichnen, allerdings nicht ganz so drastisch. Automobilhersteller wie zum Beispiel BMW, Audi oder Volvo verzichteten auf 16 Prozent ihrer Vertriebsstandorte in Deutschland. Unter den deutschen Premiumherstellern dünnte BMW mit 132 Vertriebsstandorten, die geschlossen wurden, sein Händlernetz am stärksten aus. Dicht gefolgt von Audi mit 119 geschlossenen Vertriebsstandorten seit dem Jahr 2010. Der Daimler Konzern trennt sich zwar zunehmend von kostenintensiven Mercedes-Benz Niederlassungen, die Anzahl an Vertriebspartnern allerdings blieb bisher nahezu identisch. Nur wenige Automobilhersteller wirken diesem Trend entgegen und bauen durch neue Standorte ihre Vertriebsnetze sogar noch aus. Vor allem die Volkswagen-Tochter Seat erhöhte mit dem Aufbau 61 neuer Vertriebspartner seit 2010 ihre Präsenz am deutschen Markt signifikant. Im Premiumsegment verdichteten die Marken Jaguar und Land Rover ihr Händlernetz durch neue Vertriebsstandorte. Händlernetz und Marktanteil Nun stellen sich zwei spannende Fragen: Welche Folgen haben diese Veränderungen und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Kundennähe für die Automobilhersteller? Und wie wirkt sich dies auf die Anzahl der Neuwagenverkäufe am deutschen Markt aus? Durch die Covid-19-Pandemie hatten fast alle Hersteller einen Neuzulassungsrückgang am deutschen Markt zu verzeichnen. Um die Folgen des Händlersterbens abschätzen zu können, müssen wir daher die Neuzulassungszahlen bis ins Jahr 2019 betrachten. Der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Händlernetze und dem Marktanteil des jeweiligen Automobilherstellers am deutschen Markt zeigt sich anschaulich am Beispiel von Opel. Die Anzahl an Vertriebspartnern wurde im Betrachtungszeitraum um 240 Standorte vermindert. Als mutmaßliche Folge stürzte ihr Marktanteil um enorme 2,02 Prozent ab. Das Ziel, mit weniger Vertriebspartnern mehr Einheiten pro Händler zu verkaufen, gelingt ihnen aber trotzdem. Opel schafft es damit, die rein rechnerische Effizienz seines Händlernetzes zu verbessern: Kamen auf jeden Opel-Vertriebspartner im Jahr 2010 durchschnittlich 223 Neuzulassungen, so steigerte sich diese Zahl um fast 20 Prozent im Jahr 2019. Der Automobilhersteller Seat, der sein Händlernetz gegensätzlich zum beschriebenen Trend ausbaut, verzeichnet währenddessen einen Zuwachs seines Marktanteils. Im betrachteten Zeitraum konnte mit dem Aufbau von 52 neuen Vertriebspartnern nicht nur der Marktanteil mehr als verdoppelt, sondern gleichzeitig mit 382 verkauften Neuwagen pro Händler auch die Vertriebseffizienz signifikant gesteigert werden. Wachstum mit weniger Händlern Da stellt sich die Frage: Ruiniert ein Automobilhersteller, indem er sein Händlernetz ausdünnt, seinen Marktanteil zugunsten der reinen Vertriebseffizienz? So einfach ist das nicht! Es gibt durchaus Beispiele, die gegen diese Annahme sprechen. So baute der Automobilhersteller Volvo im Betrachtungszeitraum von 2010 bis 2019 ganze 56 seiner Vertriebspartner ab und verdoppelte gleichzeitig seinen Marktanteil. Ein Grund für diesen enorm hohen Anstieg könnte die Ausrichtung der Markenstrategie hin zum klimaneutralen Unternehmen bis 2040 sein. Von den 2020 in Deutschland neu zugelassenen Fahrzeugen, fährt beinahe jedes vierte teil- oder vollelektrisch. Das offensichtlich steigende Umweltbewusstsein bei den potenziellen Käufern und die staatlichen Fördermaßnahmen spielen Volvo mit seiner überdurchschnittlich großen Auswahl an Plug-in-Hybriden in die Karten. Ähnlich sieht es bei Renault aus. Trotz einer rückläufigen Anzahl an Vertriebspartnern stieg der Marktanteil. Vor allem das Elektroauto Renault Zoe, welches 2019 erneut Deutschlands meistverkauftes Elektroauto war, trug zur Effizienzsteigerung des Händlernetzes bei. Verbliebene Händler wichtig Die Auswirkungen neuer Mobilitätskonzepte sowie einer Vertriebsverlagerung ins Internet sind deutlich spürbar und haben Konsequenzen für die Händlernetze. Dadurch blieben in den vergangenen Jahren eine Vielzahl der Vertriebspartner auf der Strecke, und es wurde teilweise Marktanteil eingebüßt. Dennoch ist deutlich zu erkennen, dass es insbesondere den Herstellern, die auf zeitgemäße Markenstrategien und Vertriebsmodelle setzen, gelingt, mehr Fahrzeuge pro Vertriebspartner abzusetzen. Damit gewinnt die Daseinsberechtigung der verbleibenden Vertriebspartner umso mehr an Bedeutung. Vor allem der persönliche Kontakt schafft die einprägsamste Art der Kommunikation. Gelingt es dem Händler vor Ort, seine Präsenz mit einem optimalen Kundenerlebnis zu verbinden, dann bleibt er weiterhin das wichtigste Bindeglied zwischen Hersteller und Kunde. Kurzfassung Laut einer Analyse von Jan Lange und Max Knorpp von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn (DHBW) verkaufen Hersteller, die auf zeitgemäße Markenstrategien und Vertriebsmodelle setzen, mehr Fahrzeuge pro Vertriebspartner. Damit gewinnt der verbleibende stationäre Handel trotz der Reduktion der Händlernetze an Bedeutung. Jan Lange und Max Knorpp haben BWL-Dienstleistungsmanagement mit dem Schwerpunkt Consulting & Sales an der DHBW Heilbronn studiert. Bereits während des Studiums haben sie sich auf die Branche Automotive spezialisiert.

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