Kaufvertragsrecht: Goldener Aschenbecher

Pacta sunt servanda"! Der altrömische Rechtsgrundsatz zur Vertragstreue, wonach Verträge generell einzuhalten sind, gilt bis heute und in allen rechtsstaatlich legitimierten Grundordnungen. Dies bedeutet allerdings sinnvollerweise nicht, dass die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls ohne Berücksichtigung bleiben können. Angemessene Gewichtungen sind vorzunehmen. Dem hat das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch im Rahmen des Rücktritts vom Kaufvertrag beispielsweise in § 323 Abs. 5 S. 2 Rechnung getragen. Hiernach gilt: "Hat der Schuldner die Leistung nicht vertragsgemäß bewirkt, so kann der Gläubiger vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist." Bagatellen sollen also nicht als Begründung für einen Rücktritt vom Kaufvertrag dienen können. Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hat am 10.03.2015 ein interessantes Urteil zur Bagatellgrenze gesprochen (Az. 13 U 73/14). Der Fall Der Geschäftsführer der Käuferin hatte bei einem Autohaus einen Pkw Lexus bestellt und fuhr diesen mehrere Jahre. Der Pkw war mit einem "Raucherpaket" ausgestattet. Der Geschäftsführer der Käuferin war Raucher und legte Wert darauf, jederzeit - auch während der Fahrt und nachts - im Fahrzeug rauchen zu können. Der Aschenbecher war mit einer Beleuchtung ausgestattet. Im Januar 2013 bestellte die Käuferin das Nachfolgemodell des Pkw Lexus zu einem Preis von 135.000 Euro. Bei der Bestellung hatte der Geschäftsführer dem zuständigen Mitarbeiter des Autohauses gegenüber ausdrücklich erklärt, dass für ihn ein Raucherpaket sehr wichtig sei. Es wurde deshalb vereinbart, dass das neue Modell so ausgestattet ist wie das bisher genutzte Vorgängermodell - also auch inklusive eines beleuchteten Aschenbechers. Es kam, wie es kommen musste: Als der Wagen ausgeliefert wurde, musste festgestellt werden, dass dieser nicht über einen installierten und beleuchteten Aschenbecher verfügte. Die Nachrüstung eines integrierten beleuchteten Aschenbechers war nicht möglich - jedenfalls nicht mit einem sinnvoll zu bestimmenden Kostenaufwand. Die Käuferin erklärte den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Das Autohaus argumentierte, das Fehlen des Aschenbechers sei nur eine Bagatelle und die Rückabwicklung deshalb unzumutbar. Es könne nur um eine angemessene finanzielle Entschädigung gehen. Dies akzeptierte die Käuferin nicht und erhob Rückabwicklungsklage. Urteile erster und zweiter Instanz Das erstinstanzlich zuständige Landgericht (LG) Osnabrück (Az. 3 O 363/14) wies die Klage ab und argumentierte, es läge nur eine geringfügige Einschränkung des Rauchkomforts vor. Man könne eine Aschenbecherdose in einem Getränkehalter in der Mittelkonsole platzieren, so dass das Rauchen im Pkw auch weiterhin möglich sei. Nach Auffassung des LG Osnabrück war also die Unerheblichkeitsschwelle des § 323 Abs. 5 BGB nicht überschritten und ein Rücktritt somit ausgeschlossen. Die Käuferin legte gegen das Urteil des LG Osnabrück Berufung zum OLG Oldenburg ein. Das OLG hob das erstinstanzliche Urteil auf und gab der Käuferin Recht. Das Vorhandensein eines Raucherpakets sei eine Beschaffenheitsvereinbarung. Fehle eine vereinbarte Beschaffenheit - wie hier der beleuchtete Aschenbecher -, sei deshalb ein Mangel anzunehmen. Dieser Mangel sei auch nicht unerheblich. Die besondere Wichtigkeit sei schon grundsätzlich vertraglich festgehalten worden. Des Weiteren würde auch nicht lediglich eine Einschränkung des Rauchkomforts vorliegen. Bei Dunkelheit könne wegen einer fehlenden Beleuchtung nicht "abgeascht" werden, ohne das Fahrzeug zu beschmutzen oder gar ein Gefahrenpotenzial zu schaffen. Auch könne die Zigarette nicht ohne Weiteres abgelegt werden. Des Weiteren könne auch der Getränkehalter in der Mittelkonsole nicht bestimmungsgemäß benutzt werden, wenn dort ein Aschenbecher angebracht würde. Demgemäß sei der Kaufvertrag rückabzuwickeln. Unter Berechnung der Gebrauchsvorteile für die zwischenzeitlich von der Käuferin mit dem Pkw gefahrenen 44.000 km muss das Autohaus nach dem Urteil des OLG Oldenburg über 117.000 Euro an die Käuferin zurückzahlen - ein "goldener" Preis für einen Aschenbecher. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Pflichtverletzung bei Beschaffenheitsvereinbarung Das Gesetz bestimmt in § 434 Abs. 1 BGB, dass eine Sache nur dann frei von Sachmängeln ist, "wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit" hat. Ob die vereinbarte Beschaffenheit" hat. Ob eine Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt, ergibt sich aus den jeweiligen Umständen. Die Schwelle für die Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung liegt durchaus niedrig. So hat der BGH beispielsweise im Januar 2011 entschieden (Az. VIII ZR 346/09), dass durch das Einstellen eines Fahrzeugs in eine Onlinebörse bei gleichzeitiger Abbildung einer Standheizung eine Beschaffenheitsvereinbarung dahingehend anzunehmen ist, dass das angebotene Fahrzeug auch tatsächlich über eine Standheizung verfügt - ohne dass in der Fahrzeugbeschreibung die Standheizung als Zusatzausstattung überhaupt nur erwähnt wird. Für eine Beschaffenheitsvereinbarung eignen sich jegliche technischen Details oder Ausstattungsmerkmale. Hat ein Fahrzeug nicht die vereinbarte Beschaffenheit, liegt automatisch ein Sachmangel vor (§ 434 Abs. 1 BGB). Wegen eines solchen Sachmangels hat der Käufer die gesetzlichen Gewährleistungsrechte. Unter anderem kann er nach fehlgeschlagener oder verweigerter Nacherfüllung vom Kaufvertrag zurücktreten. Zurücktreten kann er allerdings dann nicht, wenn die Pflichtverletzung (die nicht eingehaltene Beschaffenheitsvereinbarung) lediglich "unerheblich" im Sinne des § 323 Abs. 5 BGB ist. Dabei - so der BGH im Urteil vom 17.02.2010 (Az. VIII ZR 70/07) - "indiziert der Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung in der Regel die Erheblichkeit einer Pflichtverletzung". Im damaligen Fall hatte der BGH über eine geringfügig abweichende Wagenfarbe zu entscheiden und kam unter "umfassender Interessenabwägung bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls" zur Annahme einer erheblichen Pflichtverletzung. Im Aschenbecher-Fall des OLG Oldenburg ist wohl auch keine andere Auffassung gerechtfertigt: Es liegt die Beschaffenheitsvereinbarung "Raucherpaket" vor, die Käuferin hat die diesbezügliche Wichtigkeit ausdrücklich erklärt, eine Nachrüstung ist nicht möglich. Es ist wohl kaum anzunehmen, dass der BGH den Fall zur Revision annehmen wird. Kurzfassung 1. Eine Sache ist nur dann frei von Sachmängeln, "wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit" hat (§ 434 Abs. 1 BGB).2. Für eine Beschaffenheitsvereinbarung eignen sich jegliche technischen Details oder Ausstattungsmerkmale. Die Schwelle für die Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung liegt durchaus niedrig.3. Liegt ein Sachmangel wegen Fehlens einer Beschaffenheitsvereinbarung vor, kann nach fehlgeschlagener oder verweigerter Nacherfüllung der Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt werden.4. Der Rücktritt vom Kaufvertrag ist dann nicht möglich, wenn die Pflichtverletzung, also die nicht eingehaltene Beschaffenheitsvereinbarung, lediglich unerheblich im Sinne des Gesetzes ist. Hierbei indiziert gemäß Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung in der Regel die Erheblichkeit einer Pflichtverletzung. Eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ist vorzunehmen. Kommentar in Autohaus Heft 4/2015 wurde an gleicher Stelle über das Urteil des Bundesgerichtshofs aus Mitte 2014 berichtet (Az. VIII ZR 94/13), unter welchen Voraussetzungen davon auszugehen ist, dass die Erheblichkeitsschwelle des § 323 Abs. 5 BGB für einen Rücktritt vom Kaufvertrag überschritten wird. Der Bundesgerichtshof entschied, dass eine Pflichtverletzung dann in der Regel nicht mehr unerheblich ist, wenn die erforderlichen Kosten für die Beseitigung eines Mangels mehr als 5 % des Kaufpreises ausmachen. Allerdings gilt dies nur für behebbare Mängel. Nur in solchen Fällen können Kosten klar berechnet und eine Fünf-Prozent-Grenze bestimmt werden.Geht es allerdings wie im Aschenbecher-Fall des OLG Oldenburg darum, dass eine Nachrüstung nicht möglich ist und Mängelbehebungskosten nicht sinnvoll bestimmt werden können, muss es bei allgemeinen Interessenabwägungen bleiben. Die jüngere Rechtsprechung lehrt, dass der Verkäufer bei einem Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung sehr genau überlegen muss, ob er sich einem Rückabwicklungsverlangen widersetzen will.Rechtsanwalt Walter Sattler

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