Ausgabe 21/2012: Heißes Eisen

Heißes EisenOnline-Neuwagenverkauf – Wohin geht der Trend? Vor welchen Herausforderungen steht der Handel? von karolina OrdyniecDie Idee ist simpel: Der Kunde sitzt bequem daheim auf dem Sofa, konfiguriert sich sein Wunschfahrzeug im Internet. Lederausstattung, Schwarz metallic, Navigationssystem, etc. Nur noch wenige Klicks trennen ihn von dem Angebot, das ihm sogleich auf seinem Bildschirm aufleuchtet. Er staunt nicht schlecht: das Angebot eines Händlers am anderen Ende der Republik beinhaltet genau den Audi A3, den er haben will. Und nicht nur das: sogar mit 25-prozentigem Rabatt! Der Kunde jubelt. Und kauft. Binnen weniger Tage flattert der Kaufvertrag in seinen Briefkasten, kurz darauf wird ihm sein Wunschauto geliefert. Klingt verlockend einfach. Und entspricht auch dem Trend im World Wide Web. Einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung Arthur D. Little zufolge, bei der 1.000 Kunden aus Deutschland, China und Amerika befragt wurden, wird sich das Kaufverhalten der Kunden in der Automobilbranche in Zukunft immer mehr in der Online-Welt abspielen. In Deutschland würden laut den Studienergebnissen aktuell 38 Prozent wahrscheinlich oder sogar sehr wahrscheinlich ein Neufahrzeug online kaufen (s. Abb. 1). In China sind es sogar 86 Prozent, während die Teilnehmer in den USA einen Anteil von 42 Prozent ausmachen. Und warum? Worin liegen die Gründe dafür? Auch das wurde abgefragt: 86 Prozent der Deutschen versprechen sich davon einen Preisvorteil (s. Abb. 2), in den USA sind es 86 Prozent. Nur für die befragten Chinesen liegt der Komfort, den ein Online-Kauf bietet, mit 69 Prozent fünf Prozent über einem möglichen Preisvorteil. In Deutschland entscheidet also die ratio, und nicht die emotio. Konkret: Der Preis ist der ausschlaggebende Faktor. Und genau darin liegt das Problem – für den Handel und letztlich auch für den Kunden.Ernst zu nehmender VertriebskanalLangsam aber sicher entwickelt sich der Online-Neuwagenverkauf zu einem ernst zu nehmenden Vertriebsweg. Bereits in diesem Jahr vermitteln sämtliche Neuwagenbörsen (fünf größere, darunter MeinAuto.de und autohaus24.de als Topplayer) rund 35.000 Neufahrzeuge in erster Linie an Privatkunden. Das entspricht in etwa einem Marktanteil von 1,1 Prozent, Tendenz steigend, wie aus einer Studie des Duisburger Professors Ferdinand Dudenhöffer hervorgeht. Dudenhöffer geht davon aus, dass es bis 2015 rund 100.000 Einheiten werden, was einen Marktanteil von gut 3,3 Prozent bedeuten würde. Wäre ja an sich nicht weiter dramatisch, gäbe es nicht ein einschneidendes Problem: die hohen Rabatte, die im Neuwagen-Internetverkauf vergeben werden, bei denen Händler mit Preisnachlässen von bis zu 30 Prozent locken. Und auch wenn es derzeit „nur“ 200 Händler sind, die über Neuwagenvermittler einen Teil ihrer Fahrzeuge absetzen, so sorgt das bei den 9.800 Markenhändlern für Verärgerung. Davon weiß Ulrich Fromme, Vizepräsident des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes, zu berichten. „Es sind einige wenige Händler, die mit ihren Preisnachlässen die Margen eines ganzen Netzes gefährden“, sagt Fromme. Die meisten Fahrzeuge würden nämlich überregional abgesetzt. Verkauft ein Händler sein Fahrzeug zum Beispiel von Hamburg nach München, hat der Hamburger Händler wegen des hohen Rabatts im Endeffekt wenig bis gar nichts verdient, denn das Servicegeschäft entgehe ihm ja auch, so Fromme. Und letztlich sei es doch das Servicegeschäft, das mittlerweile die wichtigste Ertragssäule im Autohaus darstellt. Es könne gar keine Kundenbeziehung aufgebaut werden, aus der sich Zusatzgeschäft generieren lassen könnte.Keine „Win-Win“-SituationAber nicht nur der Händler ist in den Augen des ZDK-Vize der Verlierer, sondern insbesondere die Kunden, die zum Normalpreis kaufen: „Wenn das Rabattniveau insgesamt steigt, sinken die Restwerte“, sagt Fromme. „Der Käufer des extrem rabattierten Fahrzeugs hat diesen Verlust beim Kauf ausgeglichen. Alle anderen Kunden, die zu normalen Konditionen gekauft haben, leiden später unter dem niedrigen Restwertniveau.“ Insofern könne von einer „Win-Win“-Situation für Händler und Kunde, wie es die Online-Vermittler suggerieren, nicht die Rede sein. „Es gewinnen in erster Linie die Vermittler und dann die Online-Kunden“, bekräftigt Fromme. Die Gründe für diese Rabattschlachten im Internet sieht der ZDK-Vize in einer falschen Vertriebspolitik der Hersteller: „Diese Schleuderpreise resultieren aus einer Überproduktion an Fahrzeugen, die der Hersteller in den Markt drückt. Würde bedarfsgerecht an den Handel geliefert werden, wären die Preisunterschiede geringer und somit der Verkauf über Online-Plattformen weniger attraktiv und würde das stationäre Geschäft nicht gefährden.“ Eine Lösung des Problems sieht Fromme nur in einem Konsens zwischen den Händlerverbänden und den Herstellern. „Beide müssen gemeinsam einen Weg finden, wie das Problem gelöst werden könnte.“ Zu diesem Zweck hat die Fachgruppe Fabrikatsvereinigungen eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, erste Gespräche liefen bereits, die Ergebnisse sollen aber erst im Januar 2013 präsentiert werden. Dort wird auch die Möglichkeit unter die Lupe genommen, dass Hersteller/Importeure im Verbund mit dem Handel eigene Plattformen auf die Beine stellen. Erst kürzlich forderte der Präsident des ZDK, Robert Rademacher, in seiner Rede am Tag der Automobilwirtschaft in Nürtingen, dass Hersteller und Handel diesen Vertriebskanal nicht weiter fremden Dritten überlassen dürfen, sondern forderte sie dazu auf, zusammenzurücken und sich eine gemeinsame Lösung zu überlegen.Lockangebote nützen keinemAlexander Bugge, Geschäftsführer der größten Neuwagen-Vermittlungsplattform in Deutschland, MeinAuto.de, kämpft nicht nur um die Gunst der Kunden, sondern auch um die positive Sicht der Branche auf Internetgeschäfte. Der Geschäftsführer wehrt sich gegen Vorwürfe, er würde Lockvogelangebote auf seiner Plattform abbilden. „Wir lehnen diese ab. Es gibt in meinem Unternehmen einen Bereich Händlermanagement, dessen Aufgabe es ist, im Gespräch mit den Händlern, auch vor Ort, Jahresstückzahlen festzulegen. Das funktioniert bislang sehr gut. Lockvogelangebote nützen keinem was, weder den Händlern noch uns“, sagt Bugge. Weiter führt er aus, dass Händler mit dem Verkauf über seine Plattform einen Teil der Vertriebskosten sparen, da ihnen ja letztlich nur noch die Aufgabe zukommt, den Kaufvertrag fertig zu machen und das Fahrzeug auszuliefern, räumt aber gleichzeitig ein, dass sich das System, sprich die Margenpolitik der Hersteller, an den zusätzlichen Vertriebskanal anpassen muss. Letztlich belegen ja die eingangs erwähnten Studienergebnisse, dass Neuwagenkäufe übers Netz im Trend liegen. „Das Internet schafft eine Preistransparenz, der sich Handel und Hersteller gleichermaßen stellen müssen“, so Bugge. Das erinnert ein wenig an die Diskussionen bei der Einführung der ersten Online-Börsen für Gebrauchtwagen vor über 15 Jahren, als anfänglich ebenfalls von einer Gefahr für die Erträge des Handels gesprochen wurde. Dass Bugges Geschäftsidee Zuspruch findet, sieht der Geschäftsführer anhand der Besucherzahlen der Webseite MeinAuto.de: über eine Million Mal im Monat wird die Seite aufgerufen. Tendenz steigend. In diesem Jahr sollen insgesamt 15.000 Fahrzeuge über MeinAuto.de vermittelt werden.Hersteller reagieren verhaltenUnd wie reagieren bislang die Hersteller und Importeure? Zwar gibt es schon Vorstöße von Importeuren bei eigenen Verkaufsplattformen für Neuwagen, wie zum Beispiel bei Peugeot oder Renault. Dennoch sind diese Vorstöße in der Minderzahl. Auf die Frage, wie Audi, BMW und Volkswagen das Online-Geschäft beurteilen, gibt man sich verhalten. VW antwortete, dass die Marke zum Vertragshandel und zum freien Unternehmertum stehe. „Fahrzeugpreise werden daher von jedem Partner nach eigenem unternehmerischen Ermessen festgesetzt“, so das Unternehmensstatement. Karsten Engel, Vertriebschef Deutschland für die BMW Group, teilte mit, dass man die Entwicklung des Online-NW-Verkaufs genau beobachte. Derzeit sehe Engel aber keine Gefahr für die BMW-Händler. „Im Premiumbereich sind die Rabatte zwar höher als im Vorjahr, aber noch längst nicht da, wo wir schon einmal waren“, sagte Engel gegenüber AUTOHAUS. Audi-Vertriebschef Michael Julius Renz unterstrich, dass der Autobauer grundsätzlich nur an autorisierte Audi-Vertragshändler liefere. „Für uns ist eine erfolgreiche Geschäftsentwicklung untrennbar mit der Qualität der Kundenbeziehung verbunden. Dazu zählen persönlicher Service vor Ort, die kompetente Beratung und vieles mehr“, so Renz. Audi wolle weiter auf das freie Unternehmertum setzen, dessen Leistungen über ein Bonussystem honoriert werden, das sich ausschließlich nach qualitativen Kriterien bemesse. „Die hohe Wirksamkeit dieses Ansatzes bestätigen auch unsere Partner und der Audi Händlerbeirat, mit dem wir entsprechende Systeme gemeinsam entwickelt haben“, so Renz. Fest steht, dass das Einkaufsverhalten des Kunden im Wandel ist und auch der Hersteller sich diesem Wandel langfristig gesehen stellen muss. Ob die Hersteller allein oder im Verbund mit dem Handel das heiße Eisen anfassen werden, bleibt abzuwarten. ■Lesen SIe hier...... welche Gefahren Handel und die Hersteller im Online-Neuwagenverkauf sehen und welche Ansätze möglich wären, um die Rabattschlachten einzudämmen. Branchenexperte und Leiter des IFA-Instituts, Prof. Dr. Willi Diez, sieht die Gefahren, die vom Online-Geschäft mit dem Neuwagen ausgehen, identifiziert aber auch Chancen des neuen Vertriebskanals. AH: Herr Prof. Diez, wo sehen Sie die Gefahren von Neuwagengeschäften über das Internet?Prof. W. Diez: Die Gefahren liegen meiner Ansicht nach in den Lockvogelangeboten einiger Händler. Sie bieten Fahrzeuge, die teilweise in gar nicht ausreichender Menge vorhanden sind, viel zu günstig an und zwingen dadurch indirekt andere Händler dazu, nachzuziehen. In der Folge gerät das gesamte Rabattgefüge aus dem Lot und die Fahrzeuge werden mit minimaler oder überhaupt gar keiner Marge verkauft. Ein weiteres Problem ist die sinkende Service-Retention. Letztlich ist es der Servicebereich, in dem die meisten Umsätze im Autohandel getätigt werden. Verkauft ein Händler ein Neufahrzeug über das Internet, fällt ihm die Einnahmequelle über den Service weg, weil die Fahrzeuge in erster Linie überregionalen Absatz finden. Eine Kundenbindung, aus der sich zusätzliches Geschäft generieren lassen könnte, gibt es hier nicht.AH: Kann das Internetgeschäft denn auch als Chance gesehen werden?Prof. W. Diez: Nun, dem Händler bietet sich sicherlich die Möglichkeit, sich über den Online-Neuwagenverkauf von schwergängigen Fahrzeugen zu trennen. Das können Fahrzeuge sein, die schon bis zu 100 Standtage haben, weil einfach bestimmte Ausstattungsmerkmale oder Motorisierungen aktuell nicht nachgefragt werden. Hier hilft der Verkauf über das Internet dem Händler sicherlich, die Fahrzeuge schneller loszuwerden. Auch muss man sehen, dass sich über das Internet eine jüngere Kundschaft sehr gut erreichen lässt. Bei ihnen spielt die Online-Welt eine sehr wichtige Rolle. Ich glaube, dass der Internethandel grundsätzlich ein gutes Zusatzgeschäft darstellen könnte, würde es denn gelingen, diese gravierenden Preisnachlässe einzudämmen.AH: Wie kommen diese Rabatte zustande?Prof. W. Diez: Zum einen wollen einige Händler wie eingangs erwähnt ihren Lagerbestand verkleinern und nehmen eine sehr geringe oder sogar gar keine Marge in Kauf. Zum anderen steuert der Hersteller dem aber auch nicht entgegen, indem er zum Beispiel das Margensystem so anpasst, dass der Online-Neuwagen-Verkauf für den Händler unattraktiv wird.AH: Was könnten die Hersteller tun?Prof. W. Diez: Bekanntermaßen ist der Handlungsspielraum für Hersteller bei der Ausgestaltung ihrer Margensysteme im Hinblick auf die Eindämmung des Internetverkaufs recht gering. Die EU-Kommission würde beim Versuch, den Internetverkauf direkt einzuschränken, sofort Strafen verhängen. Einfluss nehmen könnten die Hersteller also nur über eine Anpassung der Margensysteme dahingehend, dass sie den Neuwagen-Internetverkauf für den Händler unattraktiv machen. Der weitere, wichtigere Schritt wäre sicherlich eine bedarfsorientierte Volumenpolitik, sprich, dem Handel auch nur so viele Fahrzeuge auf den Hof zu stellen, wie auch tatsächlich verkauft werden können. Das könnte einem Online-Verkauf mit hohen Rabatten den Wind aus den Segeln nehmen.AH: Wie könnte das geschehen?Prof. W. Diez: Eine Möglichkeit wäre die Begrenzung der Mengenboni mit gleichzeitiger Erhöhung der Boni für die Erfüllung qualitativer Standards. Das könnte dazu führen, dass der Händler gute Geschäfte, sprich mit hohen Bruttoerträgen machen müsste. Das nähme den Fokus weg vom Internetverkauf und würde ihn zum stationären Handel lenken. Möglicher Gedanke wäre auch die Einführung von Loyalisierungsboni. Ein Bonus, der hohe Kundenbindung belohnt, könnte den Verkauf an Kunden im regionalen Marktbetreuungsgebiet attraktiver machen. Würden die Hersteller Individual- und Mehrausstattungen bonifizieren, würde das ebenfalls dem Ladenverkauf zugute kommen. Unterm Strich wäre es sicherlich sinnvoll, den Volumendruck am Point-of-Sale zu reduzieren, ein Patentrezept aber gibt es bei dieser Problematik nicht.AH: Herr Professor Diez, herzlichen Dank für das Gespräch.Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft

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